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"Es gibt auf die gleiche Frage fünf total richtige Antworten"

Mit dem Song "Nur noch kurz die Welt retten" war Tim Bendzko über 60 Wochen in den deutschen Charts. Viele feierten den damals 26-jährigen Berliner für seine Fähigkeit, unprätentiöse und originelle Texte mit eingängiger Musik zu machen. Ende Mai erschien nun Tim Bendzkos zweites Album "Am seidenen Faden".

Mit Anja Reinhardt | 01.06.2013
    Anja Reinhardt: Herr Bendzko, Sie haben vor Kurzem Ihren Rennführerschein gemacht – da müssen Sie mir mal erklären, warum Sie so was überhaupt machen wollten.

    Tim Bendzko: Das hat sich eigentlich per Zufall ergeben. Ich hab im letzten Jahr mit meiner Band bei der DTM (Deutsche Tourenwagen Meisterschaft) gespielt, und hab mich mit den Verantwortlichen ein bisschen angefreundet. Und da sind total tolle Sachen entstanden. Eine Sache war eben, dass die gesagt haben: 'Komm, Tim, möchtest Du nicht eine Rennlizenz machen?' und ich hab früher, immer wenn ich gefragt wurde, was denn wäre, wenn es mit der Musik nicht klappt, aus Spaß angefangen zu sagen: 'Ich werde Rennfahrer!' und da sagt man einfach nicht Nein, weil das eine absurde und interessante Erfahrung ist, weil das mit Autofahren, wie man das so kennt, überhaupt nichts zu tun hat. Aber ich hab die Lizenz noch gar nicht. Ich hab nur die Qualifikation zur Lizenz. Ich müsste das in Verbindung mit einem ärztlichen Gutachten noch beantragen. Dazu bin ich aber einfach noch nicht gekommen.

    Reinhardt: Ich finde aber, dass das insofern ganz gut zu Ihnen passt, als dass ich den Eindruck habe, dass sich Schnelligkeit als Prinzip so ein bisschen durch Ihr Leben zieht.

    Bendzko: Eigentlich überhaupt nicht! Wenn man sich überlegt, ich hab mit elf Jahren beschlossen, dass ich Sänger werden möchte und Songs schreiben will und unbedingt ein Album raus bringen möchte – und mit 26 kam es dann raus: Das ist ja alles, nur nicht schnell. Aber ich bin tatsächlich nicht der allergeduldigste Mensch auf der Welt. Und wenn ich dann für mich beschließe, irgendeine Sache machen zu müssen, dann ist das nicht morgen, sondern immer jetzt. Wenn ich irgendetwas mache, dann richtig. Dann muss das auch, so schnell es geht, fertig sein.
    Zum Beispiel: Ich bin vor anderthalb Jahren umgezogen und hab dann da eine Küche eingebaut. Und meine Eltern meinten: 'Tim, das ist doch jetzt alles ganz egal, das kannst Du doch auch noch nach Weihnachten fertigmachen!' Nee. An Weihnachten wird in dieser Küche gekocht, und dann ist die fertig. Dann ist die nicht halb fertig, sondern fertig. Und als meine Eltern dann an Weihnachten geklingelt haben, da hatte ich gerade den Staubsauger weggestellt. Da war gerade alles fertig.

    Reinhardt: Aber um noch mal auf das Prinzip Schnelligkeit zurückzukommen: Sie haben auch mal als Auto-Auktionator gearbeitet. Da muss man ja zumindest im Kopf ganz schön schnell sein, oder?

    Bendzko: Auf jeden Fall. Wenn man da nicht eine extreme Aufnahmefähigkeit hat, das ist dabei das Entscheidenste, man muss nicht zwangsläufig schlagfertig sein, aber man muss eine krasse Aufnahmefähigkeit haben. Man muss sich das so vorstellen: man steht da an so einem Pult, und dann stehen da vor einem auf hundert Metern Breite Menschen vor einem. Das heißt, die stehen außerhalb des eigenen Blickfeldes und halten nicht immer eine zwei Meter große Tafel hoch, sondern zwinkern einem nur zu. Das ist aber auch ein super Training für Schlagfertigkeit, wenn man sich vorstellt, dass da wirklich nur so Klischee-Autohändler stehen – und das ist wirklich komplett Klischee! – das ist schon krass, wenn man versuchen muss, sich da durchzusetzen. Dann wird ja auch gerne mal gesagt: ‚Ich hab gerade nicht geboten!’. Entschuldigung? Auf jeden Fall!

    Reinhardt: Da muss man dann auch streng sein, oder?

    Bendzko: Man muss eine sehr klare Linie fahren, und wenn man beschlossen hat, eine Sache zu machen – das ist wie ein Schiedsrichter beim Fußball – dann muss man die auch verteidigen können. Man darf sich c nicht angreifbar machen, dann hat man einfach keine Chance. Als ich angefangen haben zu auktionieren, haben mehrere andere angefangen, und da sind wirklich einige dran zugrunde gegangen. Da muss man wirklich Talent für haben, sonst geht man zugrunde. Und auch bevor ich angefangen haben zu auktionieren, da hat mich eh die ganze Firma gehasst. Ich hab als Aushilfe angefangen, ganz unten in der Kette und nach wenigen Wochen war ich der Auktionator in dem Laden. Was dann die zweithöchste Position war, die man in dem Laden haben kann, und das haben nicht so viele gern gesehen. Da wurde unter der Gürtellinie geschossen. Und da musste ich wirklich mal standhaft bleiben, weil ich dachte: Die werden schon sehen, wie gut das läuft.

    Reinhardt: Neid ist doch wahrscheinlich eine Sache, mit der Sie häufiger in Berührung kommen, oder?

    Bendzko: Es ist ja eine ewige Diskussion, ob wir in Deutschland eine Neidgesellschaft sind. Ich hab schon gemerkt, als der Erfolg dann exorbitant wurde, dass sich das von Unterstützung und Begeisterung dann doch auch mal Neid dazu kam. Dass sich das schon so ein bisschen gewandelt hat. Am Anfang, als es mit "Nur noch kurz die Welt retten" losging und die ganze Musikbranche: ‚Oh, endlich wieder echte Musik, die funktioniert!’ Und dann hat es so gut funktioniert, dass es plötzlich wieder keine echte Musik war.

    Reinhardt: Sie meinen jetzt die Sachen, die über Sie geschrieben wurden und mit denen Journalisten Sie konfrontiert haben?

    Bendzko: Nee, das ist noch mal eine andere Baustelle. Ich meine jetzt nur innerhalb der Musikbranche, und da merkte man: 'Jetzt reicht es aber auch mal, jetzt ist der ein bisschen zu erfolgreich.' Aber das ist bei der Presse genau das Gleiche. Da hieß es am Anfang: 'Ach toll, jetzt kommen wieder deutschsprachige Sachen, handgemacht und so.' Und umso erfolgreicher das wurde, umso mehr wurde das dann verklärt. Von wegen: 'Das ist totaler Kommerz, und nur weil die Radiosender das spielen, ist das erfolgreich.' Aber nee Freunde, es wurde im Radio gespielt, weil die Leute das tatsächlich haben wollten!

    Reinhardt: Wie geht man denn mit so was um? Ihre Reaktion wird ja gewesen sein, dass Sie sich wahnsinnig gefreut haben, weil, als es losging, da ging es ja wirklich von null auf Hundert los.

    Bendzko: Das lässt man tatsächlich nicht an sich ran. Es gibt unglaublich wenige Menschen, die einschätzen können, was da passiert ist. Natürlich nur die, die von Anfang an dabei sind und die das auch jeden Tag mitbekommen. Jemand, der das irgendwann Mal im Fernsehen sieht, für den ist das ja viel komprimierter als für mich. Dieser steile Aufstieg, von dem immer gesprochen wird, diese Rasanz, die war für uns einfach gar nicht da. Weil der Song ist, nicht von heute auf morgen auf Platz zwei in die Charts eingestiegen, sondern es hat Monate gedauert, bis das da war. Also, ich hatte wie gesagt Ende 2011 das Gefühl, dass sich das so ein bisschen dreht und witzigerweise hab ich das Gefühl, dass es sich auch schon wieder zurückgedreht hat, weil der ein oder andere wohl schon gemerkt hat, dass wir nicht nur ein Lied hatten. Sondern, genau dieses, dass die Leute gemerkt haben, es funktioniert nicht nur über einen Song hinweg, sondern das ganze Album funktioniert, und zwar immer wieder. Das beste Beispiel ist da jetzt dieses "The Voice Kids"-Dings. Da sieht man, wie ich 30 Sekunden einen Song singe, was dazu führt, dass das Album sonst wohin schießt in die Charts. Und da sieht man, dass da doch mehr da ist als "Nur mal kurz die Welt retten". Das beschäftigt mich einfach gar nicht, weil für mich schon auf dem ersten Album klar war, dass ich Songs schreiben kann, die mir gefallen und die Hand und Fuß haben.

    Und ich hab das große Glück ganz viele Menschen getroffen zu haben, denen das auch so geht damit, also dass sie das auch mögen. Und da darf man sich einfach nicht verrückt machen. Wenn man sich nur mit den Sachen beschäftigt, die nicht gut sind, das wäre einfach Unsinn. Was ich erleben darf, jetzt ja schon im dritten Jahr, ist einfach völlig verrückt. Und dann ist man doch froh und genießt das, anstatt darüber nachzudenken, dass irgendwer einem das nicht gönnt.

    Reinhardt: Sie haben zusammen mit Lena Meyer-Landrut in einer Jury gesessen, und sie hat ja so was Ähnliches erlebt, für Sie ging es ja noch mal schneller mit dem Erfolg, dann aber auch mit sehr viel Neid. Gibt es da Punkte, wo man merkt, man hat da auch so eine gewisse Gemeinsamkeit?

    Bendzko: Gerade Lena, das ist ja das Beispiel dafür, wie man es nicht machen darf, was Presse und so angeht. Das ist eine Schande, wirklich, für das ganze Land, so mit jemandem umzugehen. Erst gewinnt sie diesen ESC mit 19 Jahren und sorgt dafür, dass im ganzen Land sommermärchenmäßig so ein Zusammenhalt stattfindet und sich alle zusammen über eine Sache freuen können. Und dann passiert genau das, dann ist es irgendwann ein bisschen viel. 'Boah, jetzt ist die aber ganz schön erfolgreich, das finden wir nicht mehr gut.' Und was dann medienmäßig passiert ist, das ist eine Frechheit. Natürlich war sie zwischendurch auch mal ein bisschen drüber, was aber klar ist, wenn man so viel hat, dann ist es schwierig, damit umzugehen. Und noch mal: Sie war gerade 19. Aber jetzt ist ja gerade wieder genau das Gleiche passiert, wenn ich da so eine Schlagzeile sehe in der "Bild": 'Silbereisen glänzt und Lena redet nur Blech.' Das ist einfach eine Frechheit. Das war total sympathisch, da hat sie eben diesen einen Fehler gemacht, aber alle fanden das sympathisch und nett. Warum man dann auf einem 21-jährigen Menschen rum hauen muss in der Hoffnung, dass die eigene Zeitung mehr verkauft. Das ist einfach eine Frechheit.

    Reinhardt: Sie haben Theologie studiert – spielt das für Sie heute immer noch eine Rolle?

    Bendzko: Was ich auf jeden Fall mitgenommen habe und was sich eher noch verstärkt, ist das Hinterfragen, dass ich einfach alles und jeden permanent hinterfrage. Wenn mir jemand sagt: 'Der hat dies und das gemacht', dass ich dann immer die Option in meinem Hirn habe, dass es möglicherweise auch hätte anders sein können. Und ich bin entspannter, was Antworten angeht. Ich weiß, es gibt auf die gleiche Frage fünf total richtige Antworten.

    Reinhardt: Spielt denn das Hinterfragen auch eine Rolle, wenn Sie Texte schreiben?

    Bendzko: Ja, es ist ja auch der Albumtitel, "Am seidenen Faden". Ich bin extrem skeptisch, und Skepsis ist für mich eben dieses Hinterfragen-Ding. Das heißt nicht, dass ich alles schlecht rede und superkritisch bin – also ich bin schon kritisch – aber nicht im negativen Sinn. Ich bin nicht so ein Neinsager. Auf keinen Fall. Aber dieses klassische Zwei-Seiten-der-Medaille-Dings, das gilt einfach für alles. Bei ganz vielen tollen Sachen weiß ich, dass man das hinterfragen muss, viele Sachen, wie bei mir die Musik, sind eben Glück und Zufall, da braucht man sich nichts drauf einbilden. Aber auch andersrum, viele Sachen, die aber negativ sind, haben am Ende einen positiven Effekt. Und ich weigere mich vehement, zeigefingermäßig Songs zu schreiben, von wegen: Ihr müsst das tun, dann wird alles gut. Weil ich das nämlich selbst für mich gar nicht weiß. Und meine Einstellung sich permanent ändert. Aber beim Hinterfragen kann ich pauschal sagen: Das kann niemandem schaden.

    Reinhardt: Fragen heißt ja auch nicht, dass man sofort eine Antwort haben muss.

    Bendzko: Eben. Mir geht es nicht darum, dass man auf alles eine Antwort haben muss. Da bin ich total entspannt geworden. Aber man muss die Fragen stellen. Es ist noch nicht mal wichtig, welche Frage, aber man muss erst mal eine stellen.

    Reinhardt: Herr Bendzko, vielen Dank für das Interview!

    Bendzko: Danke fürs Gespräch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.