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"Es gibt eine ganze Reihe von Knackpunkten"

Ulla Burchardt, die Bildungsexpertin der SPD, zweifelt, dass der Nachfolger der ZVS, hochschulstart.de, zum Wintersemester mit dem vollen Funktionsumfang an den Start gehen wird.

Ulla Burchardt im Gespräch mit Manfred Götzke | 05.01.2011
    Manfred Götzke: Ja, wenn es tatsächlich im April kommt. Ulla Burchardt, die Vorsitzende des Bildungsausschusses im Bundestag, die hat da nämlich so ihre Zweifel angemeldet, und sie ist jetzt am Telefon. Guten Tag, Frau Burchardt!

    Ulla Burchardt: Ja, guten Tag!

    Götzke: Frau Burchardt, warum könnte hochschulstart.de nicht rechtzeitig an den Start gehen?

    Burchardt: Also ich glaube, dass die Technik im April ausgebaut wird, dass es die Möglichkeit geben wird, dass die Hochschulen sich dort eintragen, ihre Studienangebote ins System stellen und die Studierenden eine ID-Nummer bekommen. Aber es gibt eine ganze Reihe von Knackpunkten. Das Ganze soll ja voll funktionsfähig sein zum Wintersemester 2011/12, wir werden sehen, ob die Technik sozusagen im ersten Versuch auch wirklich funktioniert, denn das wäre dringend nötig, wir hoffen das alle sehr. Aber damit das ganze System überhaupt seinen Sinn erfüllt, ist es eine entscheidende Voraussetzung, dass sich alle Hochschulen beteiligen.

    Götzke: Und da haben Sie Zweifel angemeldet, ob das der Fall sein wird?

    Burchardt: Ja, ich habe Zweifel. Es gab zwar 2009, nachdem der Bundestag die 15 Millionen für die technische Anschubfinanzierung in Aussicht gestellt hat – unter der Bedingung, dass sich alle Hochschulen beteiligen –, eine Erklärung der Hochschulrektorenkonferenz. Mittlerweile ist aber sehr offenkundig, dass es Finanzierungsschwierigkeiten oder -streitigkeiten gibt zwischen den Ländern beziehungsweise zwischen den Ländern und den Hochschulen: Wer soll die Kosten tragen? Und im Moment ist das Ergebnis dieses Streits, dass bei den Hochschulen die Bereitschaft, sich zu beteiligen, deutlich zurückgegangen ist zum einen, und zum anderen, dass das Full-Service-Verfahren, was den künftigen Bewerbern in Aussicht gestellt wurde und was Voraussetzung für die 15 Millionen des Bundes war, dass dieses so überhaupt nicht kommen wird, sondern wirklich nur ein Schmalspurverfahren, was ausschließlich darin besteht, dass man zu einem Abgleich von Mehrfachbewerbungen kommt. Und das ist mitnichten das Ende der Bürokratielast für die Bewerber, sondern die scheint nach wie vor weiter gegeben zu sein, sich an jeder einzelnen Hochschule bewerben zu müssen, beispielsweise: Es wird keine einheitliche Prüfung geben, weil die Finanzierung zwischen Ländern und HRK ungeklärt ist.

    Götzke: Warum sind Sie so sicher, dass so wenig Unis mitmachen werden?

    Burchardt: Also dass es so lange Jahre gedauert hat, bis wir überhaupt an diesen Punkt gekommen sind, also der Skandal der brachliegen gebliebenen Studienplätze und der Bürokratielasten der Studienbewerber ist seit vielen Jahren bekannt, und Länder und Hochschulrektoren haben sich über lange Jahre ja nicht einigen können, weil immer wieder sehr unterschiedliche Vorstellungen eingebracht worden sind, bis der Bund sich dann eingeschaltet hat. Wenn die ... für die Hochschulen nicht klar ist, wer die Finanzierung übernimmt, dann werden möglicherweise etliche auch sagen: Warum sollen wir für ein System bezahlen, wo wir als Einzel-Uni gar kein Interesse haben, wo es aber ein gesamtstaatliches Interesse gibt, dass das System funktioniert?

    Götzke: Das heißt, Ihrer Meinung liegt der Schwarze Peter jetzt bei den Bundesländern?

    Burchardt: Ja, sowohl als auch, also das ist eine ganz unendliche Geschichte, wo sowohl seitens der Hochschulrektorenkonferenz wie seitens der Länder nicht entschieden genug, nicht deutlich genug agiert worden ist. Aber ganz entscheidend ist, dass die Zulassung vernünftig im Interesse der jungen Leute und auch der zur Verfügung stehenden Ressourcen in diesem Staat geregelt werden muss. Wir haben seit der Föderalismusreform eine Bundeskompetenz für Zulassung, und wenn es nach wie vor nicht vernünftig, nicht effizient geregelt wird, dass Bewerber zügig an der richtigen Stelle landen, keine Studienplätze unbesetzt bleiben und die Bürokratie abgebaut wird, dann muss der Bund von dieser Kompetenz Gebrauch machen, dann muss die Bundesministerin handeln. Es geht nicht, dass wir Geld zur Verfügung stellen vom Bund, und irgendetwas damit passiert, was nicht im Sinne der Geldgeber ist und auch nicht im Sinne dessen, was Länder und Hochschulrektoren immer begründet haben.

    Götzke: Sie haben die Probleme jetzt angesprochen. Was wird den Erstsemester erwarten zum kommenden Wintersemester? Wie kann er sich bewerben, was sollte er tun?

    Burchardt: Also nach wie vor wird es für die meisten notwendig sein, sich an jeder einzelnen Hochschule zu bewerben, wie in der Vergangenheit auch, und jede einzelne Hochschule wird die Prüfung der Unterlagen übernehmen. Und wenn man das einmal miterlebt hat – ich habe das bei meiner eigenen Tochter miterlebt und konnte es wirklich nicht fassen, welcher Bürokratieaufwand da notwendig ist, wenn man sich an verschiedenen Hochschulen bewerben muss, weil jede Hochschule eigene Vorstellungen hat, wie viele Dokumente beglaubigt werden müssen, wie viel in Foto ... wievielfacher Fotokopie ausgefertigt werden müssen. Jede Hochschule hat unterschiedliche Vorstellungen, und die Bewerber müssen dann für jede einzelne Hochschule ihre Päckchen zusammenstellen, auch mit den entsprechenden Kosten unter Umständen, Beglaubigungskosten, Portokosten, und, und, und. Das wird nach wie vor nicht einfacher werden.

    Götzke: Das Chaos könnte also erhalten bleiben, wenn sich die Länder und die Unis nicht einigen, die Hochschulen. Bis wann müssen sie sich denn einigen, damit es noch klappen könnte mit hochschulstart.de?

    Burchardt: Sie müssten sich eigentlich jetzt ... mit dem technischen Anlauf müsste eigentlich auch geregelt werden, dass das Full-Service-Verfahren, was versprochen worden ist den Bewerbern, von der Bewerbung bis zur Zulassung alle Informationen und auch eine Beratung zu bekommen, dass das auch eingelöst wird. Dafür muss mehr Geld in die Hand genommen werden, wir sehen ein erfolgreiches System in England, dazu muss man aber auch die Stiftung mit mehr Personal ausstatten, es geht nicht, dass man an der Stelle sparen will, und das Ganze führt zu dem abgespeckten Verfahren, und es kommt nicht das dabei raus, was man versprochen hat.

    Götzke: Vielen Dank, Ulla Burchardt, die Bildungsexpertin der SPD im Gespräch zum hochschulstart.de, der Nachfolger der ZVS sollte eigentlich zum Wintersemester an den Start gehen, aber es sieht brenzlig aus, ob das noch funktionieren wird.