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"Es gibt für uns nur noch Freiheit oder Tod"

Erwin Schmid beeindruckt der unbändige Willen der libyschen Rebellen, weiter gegen Gaddafi vorzugehen, obwohl sie militärisch unterlegen sind. Sie wollten aber nicht den Tod des Machthabers - doch ein Zurück gäbe es nicht mehr.

25.03.2011
    Silvia Engels: Die NATO will nun das Kommando zur Durchsetzung der Flugverbotszone über Libyen übernehmen, Sie haben es in den Nachrichten gehört. Ungeachtet dessen setzte westliche Alliierte ihre Luftangriffe auf Militärstellungen und Truppen des libyschen Machthabers Gaddafi auch in der Nacht fort. Am Boden kämpfen weiterhin Aufständische gegen die Armeeteile, die hinter Gaddafi stehen. Im Zentrum des Konflikts stand gestern die im Westen gelegene Stadt Misrata. In der Hunderte Kilometer weiter östlich gelegenen Stadt Bengasi ist es dagegen ruhiger geworden. Die Stadt gilt als Zentrum der Aufstandsbewegung gegen Gaddafi, und dort in Bengasi erreichen wir unseren Kollegen des Schweizer Rundfunks, Erwin Schmid. Guten Morgen, Herr Schmid.

    Erwin Schmid: Guten Morgen!

    Engels: Wie hat sich die Lage in Bengasi entwickelt, seitdem Gaddafis Truppen von der Stadt durch alliierte Angriffe zurückgeschlagen wurden?

    Schmid: Nun, hier im Osten haben die Rebellen dank der Unterstützung aus der Luft langsam wieder Oberhand gewonnen. Sie haben ja auch begonnen, Terrain wieder gutzumachen und wieder Richtung Westen vorzustoßen. Allerdings sind sie da bislang nur bis zur strategisch wichtigen Stadt Idschdabiya, rund 160 Kilometer westlich von Bengasi, gekommen. Die Stadt ist seit vier Tagen heftig umkämpft. Am Boden sind die Rebellen natürlich nach wie vor militärisch unterlegen, sie sind schlecht organisiert, haben keine eigentliche Armee, und sie haben feststellen müssen, dass der Marsch Richtung Westen nicht mehr so einfach vor sich gehen wird, wie noch beim ersten Mal vor zwei Wochen.

    Engels: Welche Meinungen gibt es denn unter den Aufständischen über das weitere strategische Vorgehen, angesichts dieser Entwicklung?

    Schmid: Die Aufständischen sind sich sehr wohl bewusst, dass sie eben am Boden nach wie vor militärisch unterlegen sind. Man hofft nun, dass der Regierung, sagen wir, irgendwann Munition, Treibstoff und Verpflegung ausgehen wird. Man hofft, dass diese Truppen vom Nachschub abgeschnitten sind. Die Rebellen sagen aber, sie wollten Gaddafis Anhänger nicht töten, sie wollten versuchen, sie zum Aufgeben zu bewegen. Gerade in Idschdabiya haben sie einen Imam als Vermittler eingesetzt und hoffen, dass es da in den nächsten Tagen dazu kommen wird, dass effektiv Regierungssoldaten auf die andere Seite überlaufen. Das Ziel der Rebellen bleibt allerdings klar. Ein Sprecher des Militärrates sagte gestern, wir können nur ein Ziel haben, das bleibt: Tripolis zu erreichen. Aber die Rebellen sind sich bewusst, dass dies viel länger dauern wird, als es in den ersten beiden Wochen dieses Aufstandes noch den Anschein machte.

    Engels: Lassen sich denn unter den Aufständischen verschiedene, wo möglich mittlerweile widerstreitende Lager erkennen, abgesehen vom gemeinsamen Ziel gegen Gaddafi?

    Schmid: Das war anfänglich vor allem der Fall, als die Rebellen gespalten waren in der Frage, ob sie internationale Einsätze hier dulden, oder sogar anfordern wollen. Man hat sich ja dann geeinigt darauf, dass man Luftschläge sehr wohl anfordert und unterstützt, aber keine Truppen, keine fremden Truppen auf libyschem Boden will. Das ist nach wie vor der Konsens unter den Rebellen. Ich habe eher das Gefühl, dass das eine Frage der Organisation war, anfänglich, und dass man da jetzt eher zu einer gemeinsamen Linie gefunden hat. Von Zerfallserscheinungen bei den Rebellen kann ich im Moment nichts spüren.

    Engels: Herr Schmid, in Bengasi lebt ja auch einfache Bevölkerung. Es sind ja nicht nur die Aufständischen dort. Wie sehen die Menschen den Konflikt dort gegen Gaddafi und die jüngste Entwicklung?

    Schmid: Ich habe in den letzten drei Wochen mit sehr vielen Leuten hier gesprochen und ich bin immer wieder beeindruckt, mit welcher Entschlossenheit die Leute, auch die einfachen Bewohner der Stadt, nicht nur die Kämpfenden des Landes, auch die zivile Bevölkerung diesen Kampf gegen Gaddafi angehen. Für die Leute von Bengasi gibt es in dieser Lage im Moment schlicht kein Zurück mehr. Ich frage die Leute immer wieder, habt ihr nicht Angst, Angst, dass das Ganze nur ein Traum war, dass es ein böses Erwachen gibt, dass Gaddafi vielleicht einmal mit aller Macht zurückschlagen wird, und dann bekomme ich immer wieder die gleiche Antwort zu hören: Es gibt für uns nur noch Freiheit, oder Tod. Man muss sich einmal in die Lage dieser Leute versetzen. Die konnten während 40 Jahren nicht sagen, was sie denken, und auf einmal haben sie diese Freiheiten, freie Meinungsäußerung, freie Presse, freie Wissenschaft, Versammlungsfreiheit. Das alles gab es ja nicht unter Gaddafi und jetzt spüren die Leute, wie ein Leben ohne Gaddafis Terror aussehen könnte. Das gibt eine unglaubliche Energie, eine Entschlossenheit, bis zum letzten Tropfen Blut, wie sie sagen, dafür zu kämpfen. Hergeben wollen sie diese Freiheiten nicht mehr.

    Engels: Erwin Schmid, der Kollege des Schweizerischen Rundfunks, den wir heute Morgen in der libyschen Stadt Bengasi erreicht haben. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen, und für die schlechte Telefonverbindung zum Satellitentelefon bitten wir um Verständnis. Wir danken, dass Sie überhaupt die Zeit sich nehmen konnten. Vielen Dank, Herr Schmid.

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