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"Es gibt keine Patentrezepte"

Es sei Aufgabe des Westens, Ägypten bei der Demokratisierung zu unterstützen, betont der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Gerade die europäischen Staaten könnten Erfahrungen mit dem Umbruch von Diktatur zur Freiheit weitergeben.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Christoph Heinemann | 04.02.2011
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist jetzt Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, die heute beginnen wird, vormals Staatssekretär im Auswärtigen Amt und deutscher Botschafter in den USA. Guten Morgen.

    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Ischinger, wir haben eben mit Avi Primor gesprochen, dem früheren israelischen Botschafter. Er erinnerte an die Situation Chomeini im Iran. Als der Schah von Persien gestürzt war, da freuten sich viele, und dann kamen eben Ayatollah Chomeini und seine Mullahs. Wie kann die internationale Staatengemeinschaft dazu beitragen, dass nach den Iranern jetzt nicht auch noch die Ägypter vom Regen in die Traufe geraten?

    Ischinger: Ich denke, eine Erkenntnis, eine Schlussfolgerung aus den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte ist in der Tat richtig: Nicht jeder davongejagte Diktator liefert eine Garantie dafür, dass sofort der demokratische Frühling ausbricht. Die Krise fängt ja häufig erst dann richtig an, wenn das alte Regime geht oder gegangen wird. Also man darf nicht erwarten, dass mit der Erfüllung des Rufs, so wie ich das auch als Fernsehzuschauer sehe, weg mit Mubarak, dass mit der Erfüllung dieses Rufs die Probleme gelöst werden. Ägypten ist – das wissen wir alle – auf normale westliche demokratische Verhältnisse ganz, ganz schlecht vorbereitet. Erstens gibt es keine Patentlösung und zweitens müssen wir uns davor hüten zu glauben, wir könnten in Brüssel, in Washington oder in Berlin besser entscheiden, was gut ist für die Ägypter. Das müssen die schon selber entscheiden dürfen.

    Heinemann: Gibt es möglicherweise historische Vorbilder? Kann man die Protestwelle in den arabischen Staaten mit dem kommunistischen Kartenhaus vergleichen, das Ende der 80er-Jahre zusammenfiel?

    Ischinger: Alle Vergleiche hinken natürlich immer wieder, aber ich denke, das ist doch das Erbe und die Aufgabe Europas. Kein Kontinent, Herr Heinemann, hat in den letzten Jahrzehnten so viele eigene Erfahrungen machen können mit dem Umbruch von Diktatur, von Repression in Freiheit, in Demokratie wie die Staaten Europas, angefangen mit den Ostdeutschen über die Ungarn zu den Rumänen, die Polen. Also das ist doch die Berufung Europas, die Erfahrungen aus diesen Umbruchjahren weiterzugeben und dafür zu sorgen, dass die Menschen in Ägypten das Bewusstsein entwickeln können und hoffentlich entwickeln werden, dass Europa auf der Seite des Fortschritts, auf der Seite von mehr Offenheit, auf der Seite von mehr Rechtsstaat steht und auch immer stehen wird und stehen muss. Ich gebe zu, dass das für den Realpolitiker, der dafür sorgen muss, dass Menschen geschützt werden, dass nicht Chaos ausbricht, eine ganz, ganz schwierige Gratwanderung ist. Deswegen sage ich noch einmal: Man hüte sich vor allzu einfachen Schlagworten oder Patentrezepten. Die gibt es in dieser Lage nicht!

    Heinemann: Herr Ischinger, Sie sagten gerade, Europa steht auf der Seite des Rechtsstaates. Meinen Sie das jetzt auch im Sinne einer Wiedergutmachung für die jahrzehntelange Unterstützung korrupter und raffgieriger Despoten eben auch durch europäische Staaten, zum Beispiel Mubarak?

    Ischinger: Ich denke, auch wir Deutschen, nicht nur Europa insgesamt, haben doch sehr, sehr gute Erfahrungen in unserer eigenen jüngeren Geschichte. Denken Sie mal daran – die jüngere Generation weiß das vielleicht heute schon gar nicht mehr -, wie die deutschen politischen Stiftungen damals, als es in Spanien und in Portugal noch Diktaturen gab, dazu beitragen konnten, dass demokratische Parteien sich entwickeln konnten, dass sie Knowhow vermittelt bekamen, dass sie ausgebildet wurden, dass sie schließlich Wahlen gewonnen haben. Fragen Sie mal Javier Solana, einen spanischen Sozialdemokraten, warum es in Spanien so nach vorne ging. Das waren große Hilfen damals.

    Heinemann: Das stimmt. Aber das Beispiel Ägypten ist ja ein anderes. Bis vor ganz wenigen Wochen wurde Hosni Mubarak hier noch als leuchtendes Vorbild dargestellt. Diese Zusammenarbeit war ja viel enger als eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit vorher mit dem Franco-Regime zum Beispiel.

    Ischinger: Na ja, deswegen sage ich ja, das ist eine schwierige Gratwanderung. Natürlich war Ägypten über viele Jahrzehnte hinweg nicht nur für Israel, sondern für den Westen, für die Welt insgesamt ein wichtiges Schlüsselland in der Region. Es war das einzige arabische Land, das seinen Frieden mit Israel geschlossen hatte. Natürlich wollte und musste man zurecht mit diesem Land kooperieren. Das heißt doch aber nicht, dass man nicht den Ägyptern das Bewusstsein vermittelt, dass wir die ägyptischen Menschen und Bewegungen und Parteien, die sich, ich nenne es mal, nach mehr europäischen, nach mehr demokratischen Verhältnissen sehnen, dass wir denen nicht Signale der Unterstützung vermitteln. Das ist eine Gratwanderung!

    Heinemann: Ja. – Eine ganz praktische Frage noch zum Schluss: Der Suezkanal ist eine der wichtigsten Versorgungsrouten für Europa. Ist die Durchfahrt dauerhaft gesichert und was würde Europa sonst tun?

    Ischinger: Nichts ist dauerhaft gesichert und selbstverständlich wird einen angesichts der Ereignisse in der Region die Sorge erfassen, ob der Ölpreis jetzt noch weiter steigt. Er hat ja die 100-Dollar-Grenze schon überschritten. Natürlich wird es auch solche Sorgen geben. Ich sehe das eigentlich nicht, weil ich nicht sehe, dass sich aus den inneren Unruhen in Ägypten und in anderen Teilen der Region jetzt sozusagen ein militärischer Flächenbrand entwickelt. Jedenfalls ist zu hoffen, dass das nicht die Folge sein wird. Aber dass es hier Sorge über die Gesamtstabilität der Region gibt, natürlich, und deswegen, glaube ich, sind wir ja eigentlich genau zum richtigen Moment dabei, wenn sich heute in München 350 internationale Entscheidungsträger versammeln. Hier wird viel zu grübeln sein, hier wird viel zu diskutieren sein. Und ich sage noch mal, Herr Heinemann: Man darf es sich nicht zu leicht machen. Es gibt keine Patentrezepte, aber der Westen muss natürlich versuchen, möglichst nicht mit sieben verschiedenen Stimmen, sondern möglichst mit einer Stimme dafür zu sorgen, dass ein Übergang in Ägypten möglichst bald und möglichst ohne Blutvergießen und möglichst im Sinne von mehr Demokratie stattfindet.

    Heinemann: Und wir berichten in den nächsten Tagen aus München. – Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner internationalen Sicherheitskonferenz, die heute in München beginnt. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Ischinger: Schönen Dank, Herr Heinemann.