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"Es gibt keinen sozialen Frieden"

Italien verliert durch Steuerhinterziehung 46 Milliarden Euro jährlich - das schätzt der italienische Rechnungshof. Im Kampf gegen die Steuersünder setzt die Regierung auf ein neues Computersystem. Das erlaubt es, das in der Steuererklärung angegebene Jahreseinkommen mit den tatsächlichen Ausgaben eines Bürgers gegenzurechnen.

Von Tilmann Kleinjung | 27.11.2012
    Mario Monti als oberster Kriegsherr. Gestern hat Italiens Ministerpräsident bei einem Treffen mit italienischen Managern noch einmal deutlich gemacht, dass er die Steuerhinterziehung mit allen Mitteln bekämpfen will.

    "Was Steuerhinterziehung betrifft, sind wir im Kriegszustand. Es gibt keinen sozialen Frieden, keinen Frieden zwischen Bürgern und Staat, wenn dieses Phänomen nicht hart bekämpft wird."

    In der Öffentlichkeit werden vor allem die spektakulären Aktionen der italienischen Finanzpolizei wahrgenommen, der Guardia di Finanza. Fahndung im Wintersportort Cortina d'Ampezzo. Kontrolliert werden ausschließlich Besitzer teurer Luxuslimousinen. Dasselbe passiert im Sommer im eleganten Portofino am Meer mit den Luxusyachten. Warum, erklärt Gianluca Campana vom zentralen Kommando der Finanzpolizei in Rom.

    "Beim Besitzer einer Yacht oder einer Luxuslimousine kann ich leicht die Bankdaten überprüfen und all das dann mit dem in der Steuererklärung angegeben Einkommen vergleichen. Und falls das nicht deckungsgleich ist, können wir die Differenz einfordern."

    Die Differenz zwischen einem luxuriösen Lebensstil und dem beim Finanzamt deklarierten Einkommen. Nicht immer ist das so leicht wie bei offen zur Schau gestelltem Reichtum. Um gut getarnte Steuerhinterziehung zu entlarven, verlässt sich die Finanzpolizei auf die Hilfe von "Serpico", das ist ein extrem leistungsstarker Rechner, der nichts anderes tut, als den lieben langen Tag ununterbrochen Daten zu vergleichen.

    "Man registriert alle Ausgaben eines Steuerpflichtigen, zum Beispiel teure Reisen. Das ist möglich, weil mittlerweile alle Unternehmen, Einkäufe über 3600 Euro elektronisch ans Finanzamt melden müssen. Durch diesen Abgleich der laufenden Ausgaben ist es möglich, besonders auffällige Abweichungen festzustellen."

    Tenente Colonellelo Gianluca Campana spricht für eine mächtige Organisation. Die Guardia di Finanza hat bei bloßem Verdacht auf Steuerhinterziehung vollen Zugriff auf Kontendaten. Auch ohne richterliche Erlaubnis. Das Image der Finanzpolizei ist schlecht, vor allem bei Selbstständigen und Kleinunternehmern, die sich von den schmucklos grau uniformierten Polizisten regelrecht verfolgt fühlen.

    "Es gibt Stichproben. Wenn es der Zufall will, wenn draußen ein Finanzbeamter steht und jemand ohne Kassenbon hier rauskommt, wird der Kunde angehalten, und wir bekommen dann eine Geldstrafe und die Ankündigung einer erneuten Überprüfung."

    Marco betreibt eine Bar im Zentrum von Rom. Sein Hauptgeschäft macht er mit Kaffee, die Tasse kostet 90 Cent. Für jeden verkauften Espresso muss Marco über die Registrierkasse einen Kassenbon ausstellen. Nur so lässt sich nachweisen, dass tatsächlich auch die erforderliche Mehrwertsteuer entrichtet wird. Und nun, da Mario Monti die Daumenschrauben anzieht, muss Barbesitzer Marco penibel darauf achten, dass auch wirklich jeder Kunde mit Bon den Laden verlässt.

    "Die sagen ständig: Dieses Steuersystem und die ständige Suche nach neuen Geldquellen helfen, den Schuldenberg abzubauen, von dem man immer noch nicht weiß, wer für ihn verantwortlich ist. Irgendjemand ist Schuld und wir zahlen dafür."

    Nirgendwo in Europa ist die Steuerlast so hoch wie in Italien. 68 Prozent ihrer Einnahmen müssen Unternehmen im Schnitt an den Fiskus abführen. Und die italienische Regierung hat mittlerweile erkannt, dass der effektivste Kampf gegen Steuerhinterziehung Steuersenkung ist. Ihre neueste Idee: Rechnungen für Handwerker und Dienstleistungen sollen künftig (wie in Deutschland) von der Steuer abgesetzt werden können. Das senkt die Steuerlast und zwingt gleichzeitig die Dienstleister, offizielle Rechnung auszustellen. Die Bereitschaft, Steuern zu zahlen, sei ja prinzipiell vorhanden, sagt Gianluca Campana von der Finanzpolizei.

    "Der Steuerhinterzieher gilt in Italien nicht mehr als besonders clever. Er schadet dem ehrlichen Wettbewerb und holt sich Geld aus den Taschen von uns allen."