Samstag, 20. April 2024

Archiv


"Es gibt natürlich Kontakte"

Die Stellvertreterin der europäischen Außenbeauftragten Catherine Ashton, Helga Schmid, hat vor dem heutigen EU-Gipfel in Brüssel die Zurückhaltung der EU in Ägypten verteidigt. Die EU könne nicht entscheiden, wer dort eine Übergangsregierung zu leiten habe, sagte sie.

Helga Schmid im Gespräch mit Christoph Heinemann | 04.02.2011
    Christoph Heinemann: In vielen arabischen Staaten geht es drunter und drüber, aber wo ist Europa beziehungsweise die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, fragen sich Europäer und fragen sich Abgeordnete des Europäischen Parlaments, egal ob grün oder schwarz.

    Reinhard Bütikofer: "Also zu sagen, das ist dilettantisch, ist noch freundlich. Manchmal sieht man einfach Europa gar nicht. Ein ganzes Wochenende lang war Frau Ashton nicht zu sehen. Man fragt sich, wofür man sie hat."

    Elmar Brok: "Gerade in dieser Krise im Mittelmeerraum sehen wir keine Verbesserung, dass Europa seine Rolle wahrnimmt, um eine friedliche demokratische Entwicklung dort zustande zu bringen. Hier gerade müssten wir eine führende Rolle haben, die wir nicht wahrnehmen."

    Heinemann: Reinhard Bütikofer von den Grünen und der Christdemokrat Elmar Brok. - Wir reichen die Frage weiter. Am Telefon ist Helga Schmid, die stellvertretende Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Dienstes, damit rechte Hand der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton. Guten Morgen, Frau Schmid.

    Helga Schmid: Guten Morgen!

    Heinemann: Frau Schmid, wofür haben wir eine EU-Außenbeauftragte?

    Schmid: Wir haben eine EU-Außenbeauftragte, die sehr präsent ist. Wir hatten gerade jetzt vor zwei Tagen den Besuch des neuen tunesischen Außenministers in Brüssel, des Außenministers der neuen Übergangsregierung, der auf Einladung von Frau Ashton nach Brüssel kam, und wir haben mit ihm sehr, sehr konkrete Projekte besprochen, die die Regierung bereits in Gang gebracht hat, um weitreichende Reformen im Menschenrechtsbereich, politischen Bereich, Wirtschaftsbereich umzusetzen. Ich war sehr beeindruckt von der Atmosphäre dieses Gesprächs, dem Geist der Versöhnung, aber auch dem großen Willen, zusammen mit der Europäischen Union die Modernisierung des Landes einzuleiten. Der Außenminister hat Frau Ashton nach Tunesien eingeladen, sie wird wahrscheinlich in den nächsten zehn Tagen dort hinreisen, und es gibt eine ganz, ganz enge Zusammenarbeit. Frau Ashton war die Erste, die ihn angerufen hat, nachdem die neue Übergangsregierung sich gestaltet hat. Wir haben eine Mission hingesandt letzte Woche. Am Wochenende bereits werden Experten nach Tunesien reisen, um Unterstützung anzubieten und zu geben für die Wahlvorbereitungen. Das sind Dinge, die vielleicht nicht immer in der Öffentlichkeit gesehen werden, aber die sehr, sehr wichtig sind, um gemeinsam mit Tunesien den Wandel voranzubringen.

    Heinemann: Stichwort "Reisen", Frau Schmid: Der Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europaparlament, Martin Schulz, hat gesagt, er fände es gut, wenn Catherine Ashton in Ägypten wäre. Wird sie am Nil Flagge zeigen?

    Schmid: Frau Ashton wird sicherlich bald nach Ägypten reisen. Aber es ist natürlich auch nicht damit getan, sofort zu reisen, wenn man nicht genau weiß, was man eigentlich in welcher Situation anbieten kann. Frau Ashton hat gestern Abend mit dem Vizepräsidenten Suleiman telefoniert und hat ihm wiederholt gesagt, dass die Gewaltanwendungen gegen friedliche Demonstranten sofort ein Ende haben müssen, und sie hat in enger Abstimmung mit den Außenministern, die sich hier am Montag dazu getroffen haben, nochmals ganz klar auf einen sofortigen Wandel, auf eine Einbindung aller Oppositionskräfte gedrängt, und wir sind natürlich in enger Abstimmung mit den anderen europäischen Ländern, mit den Amerikanern und anderen, um zu sehen, was die Europäische Union in den nächsten Wochen anbieten kann.

    Heinemann: Was man konkret in Ägypten tun könnte, das hat der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich bei uns im Deutschlandfunk gesagt. Er hat gesagt, wir müssen, Europa muss und Frau Ashton müsste öffentlich mit der Opposition sprechen in Ägypten.

    Schmid: Es gibt natürlich Kontakte, aber ich glaube, es geht jetzt erst mal darum, der Regierung das klare Zeichen zu geben, dass es keine weitere Gewalt geben darf und dass der Wandel jetzt sofort beginnen muss. Die Opposition hat sehr beeindruckend seit einer Woche ihren Willen - und zwar das sind alle Teile der Bevölkerung - zum Wandel gezeigt und ich glaube, wir müssen jetzt alles dafür tun, um zu sehen, dass dieses auch in die richtigen Bahnen geht und dass wir auch alles anbieten, um den Transformationsprozess, der unweigerlich ist, zu begleiten.

    Heinemann: Wir wollen uns kurz anhören, was Frau Ashton zur Krise in Ägypten gesagt hat:

    "Wir müssen angemessen und ruhig reagieren. Es ist sehr wichtig, dass Europa die Menschen in der Region unterstützt. Dafür müssen wir alle hart arbeiten."

    Heinemann: Frau Schmid, diese Äußerung wird nicht in die Geschichtsbücher eingehen, wie vermutlich alles, was Frau Ashton bisher gesagt hat. Kann sich Europa Sprechblasen dieser Art gegenwärtig leisten?

    Schmid: Was Frau Ashton in mehreren Erklärungen seit einer Woche gesagt hat, war ganz klar die Aufforderung zum Wandel, das war die Aufforderung, diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die für die Gewaltanwendungen verantwortlich sind, und das war ganz klar die Aufforderung, sofort jetzt den Dialog mit der Opposition aufzunehmen. Es ist ja nun auch so, dass man sich Zeit nehmen muss, um Ereignisse zu beurteilen. Wir haben nicht am ersten Tag uns sofort gemeldet, aber wir haben uns am zweiten und dritten Tag gemeldet und seitdem war die Stimme Europas hörbar. Es war die Initiative von Frau Ashton, dass sich der Außenministerrat letzten Montag mit Ägypten befasst hat. Heute treffen sich die Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Frau Ashton wird zum Thema Ägypten einführen. Also ich glaube, sie ist doch durchweg in dieser Sache präsent.

    Heinemann: Wir wollen hören, was die Menschen dort selbst von Europa erwarten, etwa der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad, der sich gestern bei uns hier im Deutschlandfunk geäußert hat.

    "Wenn man tatsächlich Demokratie und Freiheit will, dann muss man die Ägypter unterstützen, und zwar aktiv. Der deutsche Außenminister hat gesagt, Gewalt gegen Zivilisten oder gegen Demonstranten ist inakzeptabel. Was bedeutet das? - Jeder, jedes Kind kann so einen Satz von sich geben. Was bedeutet das auf dem Boden der Tatsachen? - Wir wollen Aktionen sehen!"

    Heinemann: Also: "Wir wollen Aktionen sehen!" Welche Aktionen hat Europa anzubieten?

    Schmid: Europa ist seit Langem eng mit Ägypten verbunden. Wir haben ja nun im Rahmen der Nachbarschaftshilfe des Barcelona-Prozesses ein Programm, das bereits jetzt nicht nur Wirtschaftsreformen unterstützt. Wir geben ja keine Militärhilfe, wir unterstützen die Wirtschaftsreformen, wir haben große Programme im Bereich Erziehung, Gesundheit, und wir unterstützen den Aufbau einer unabhängigeren Justiz, Programme im Menschenrechtsbereich. Wir sind natürlich immer nur so erfolgreich, wie der Partner uns erlaubt, auch diese Projekte umzusetzen. Jetzt besteht die Chance, hoffentlich wie in Tunesien, auf einen weitgehenden Wandel, der zu mehr Freiheit, der zu mehr Bürgerrechten und der zu mehr sozialer Gerechtigkeit auch führt. Das ist, glaube ich, das klare Signal, das wir gegeben haben.

    Europa ist manchmal vielleicht etwas langsamer in den Entscheidungen. Das liegt daran, dass wir 27 sind, und es dauert natürlich auch, bei 27 zu einem einheitlichen Konsens zu kommen. Aber es sind, wenn Sie sich das ansehen, durchweg die Europäer, die nach Krisen im Lande präsent sind, Wiederaufbau betreiben oder den demokratischen Aufbau von Strukturen und Rechtsstaatlichkeit unterstützen. Ich glaube, das ist etwas, was Europa sehr gut macht und was auch sehr anerkannt ist, und das wissen, glaube ich, auch die Menschen in Ägypten.

    Heinemann: Europa könnte sagen, Mubarak verschwinde, Europa könnte sagen, wir frieren deine Konten ein, und Europa könnte sich bei den Demokraten in Ägypten entschuldigen dafür, dass man drei Jahrzehnte lang mit einem Despoten zusammengearbeitet hat.

    Schmid: Ich glaube nicht, dass es an Europa ist zu sagen, wer die Übergangsregierung tragen soll. Es wird sicherlich eine breit angelegte Übergangsregierung geben. Wer das sein soll, das ist, glaube ich, die Entscheidung der Ägypter selber.

    Heinemann: Sie sagten eben, es ist nicht Europas Sache zu bestimmen, wer an der Regierung ist in Kairo. Aber Europa könnte doch sagen, wer nicht.

    Schmid: Wie gesagt, ich glaube es nicht, dass es unsere Angelegenheit ist zu sagen, wer oder wer nicht die Gestaltung eines Landes innehaben soll. Es ist unsere Sache zu helfen. Am Montag ist von einer Transformationspartnerschaft gesprochen worden bei den Außenministern.

    Heinemann: Das ist übrigens so ein echt europäischer Begriff!

    Schmid: Nein! Ich glaube, dass das genau den Kern dessen trifft, was wir machen sollen. Wir bieten unsere Unterstützung an, unsere Hilfe, und zwar partnerschaftlich, wie wir das bereits mit Tunesien machen, wo die Dinge ein bisschen weiter sind und wo wir bereits konkret an der Vorbereitung der nächsten Wahlen, die hoffentlich frei und fair werden, und am Übergang des Systems arbeiten.

    Heinemann: Helga Schmid, die stellvertretende Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Schmid: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören!