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"Es ging so schnell wie möglich"

Peter Billing hat sich gegen die Kritik verwahrt, die EU-Hilfe für Haiti sei schleppend angelaufen. Er macht die begrenzten Kapazitäten vor Ort für etwaige Verzögerungen bei den Hilfslieferungen verantwortlich.

Peter Billing im Gespräch mit Mario Dobovisek | 18.01.2010
    Mario Dobovisek: Die internationale Hilfe läuft an, wenn auch nur schleppend, wir haben es gehört. Eine große Rolle dabei spielen sicher die USA, allein schon aus ihrer geografischen und auch historischen Nähe heraus. Aber auch aus der Europäischen Union kommen Helfer, Gerät und Lebensmittel. Am Telefon begrüße ich Peter Billing, bei der Europäischen Kommission ist er Chef der Einsatzzentrale des europäischen Katastrophenschutzes. Guten Tag, Herr Billing!

    Peter Billing: Guten Tag!

    Dobovisek: Ja, welche Hilfe leistet Europa denn derzeit für Haiti?

    Billing: Wir haben derzeit 19 Mitgliedstaaten, die Hilfe leisten, mit steigender Tendenz. Wir haben unter anderem elf Such- und Bergungsteams, fünf Feldkrankenhäuser, sieben Ambulanzstationen, jede Menge Ärzteteams, Wasserreinigungsanlagen und fast 1000 Zelte derzeit in der Pipeline.

    Dobovisek: Ist es für Such- und Rettungsmannschaften nicht inzwischen schon ein bisschen spät am Tag sechs nach der Katastrophe?

    Billing: Ja, natürlich werden die Aussichten, Menschen lebend aus den Trümmern zu bergen, von Stunde zu Stunde geringer. Wir haben aber in den letzten Tagen außergewöhnlich gute Erfolge erzielt. Über 80 Menschen konnten aus den Trümmern geborgen werden, lebend geborgen werden. Insofern ist das schon sehr gut. Natürlich mit fortschreitender Tendenz wird sich dann auch die Search- und Rescue-Phase, wie wir sagen, dann ändern müssen.

    Dobovisek: Also die Phase des Suchens und des Rettens.

    Billing: Ja.

    Dobovisek: Europa hat 2001 einen Mechanismus geschaffen, um in Katastrophenfällen schneller Hilfe leisten zu können. Warum lief der Haiti-Einsatz trotzdem so schleppend an, Herr Billing?

    Billing: Wir haben in der Tat 2001 das Gemeinschaftsverfahren für den europäischen Katastrophenschutz geschaffen. Ich würde nicht sagen, dass wir jetzt, dass das Ganze schleppend angelaufen ist. Es ging so schnell wie möglich, ich kann Ihnen ein paar Beispiele sagen: Wir hatten am Mittwoch bereits mit Belgien und Luxemburg zusammen ein erstes Flugzeug geschickt. Natürlich durch die begrenzten Kapazitäten vor Ort, die Schäden, die mangelnde Infrastruktur, ist natürlich zum Beispiel der Flughafen in Port-au-Prince ein, wie soll man sagen, ein Flaschenhals, der die Verteilung und die Ankunft der Hilfe behindert.

    Dobovisek: Der Flughafen wird ja derzeit kontrolliert von den Vereinigten Staaten, von dem Militär. Wer kontrolliert oder wer koordiniert denn die Hilfe insgesamt?

    Billing: Die Hilfe insgesamt wird von den Vereinten Nationen koordiniert, die UNDAC und UN-OCHA, wie sie heißen. Wir leisten hier unseren Beitrag mit unserem Expertenteam, das in enger Kooperation Hand in Hand mit der Operationszentrale der VN in Haiti kooperiert.

    Dobovisek: Nun ist es aber so, dass der Katastrophenschutz der Vereinten Nationen und auch der der EU so konzipiert ist, dass sie an bestehende Zivilschutzstrukturen und auch funktionierende Regierungen andocken. Doch was, wenn auch die lokale Regierung betroffen ist, wie jetzt in Haiti?

    Billing: Ja, das ist natürlich ein wesentlicher Punkt, der die ganze Hilfsaktion erschwert, und wir müssen hier natürlich neu denken und dann uns auf die Strukturen verlassen, die noch funktionieren beziehungsweise funktionsfähig gemacht werden können. Es wird da sehr intensiv gearbeitet an der Öffnung von humanitären Korridoren nach Santo Domingo in die Dominikanische Republik. Es wird intensiv gearbeitet an der Wiederherstellung des Kommunikationssystems und an anderen Dingen.

    Dobovisek: War die internationale Gemeinschaft auf eine Krise, auf eine Katastrophe wie diese nicht vorbereitet?

    Billing: Ich würde sagen, wir sind auf jeden Fall besser vorbereitet als vor fünf Jahren, als der Tsunami im Dezember 2004 passierte. Wir haben auf europäischer Ebene zumindest sehr viele Anstrengungen unternommen, um die Situation zu verbessern, die Koordinierung zu verbessern. Ich kann Ihnen auch ein paar Beispiele geben: Wir haben in der Zwischenzeit Einsatzmodule geschaffen, die interoperabel sind, das heißt, Sie können zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten kooperieren. Wir haben die Ausbildung wesentlich verbessert, wir können heute Transportkostenunterstützung leisten, finanzielle Unterstützung, was auch jetzt eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten in Anspruch genommen haben. Und wir haben zudem eine Reihe von Pilotprojekten aktiviert, die sozusagen eine schnelle Einsatztruppe im Embryonalstadium darstellen. Zusammen mit Italien haben wir hier ein mobiles Hospital entsandt und zusammen mit Frankreich ein Wasseraufbereitungsmodul.

    Dobovisek: Das betrifft hauptsächlich die ich sage mal die offizielle Hilfe, also die der ja mehr oder weniger Regierungsorganisationen. In Deutschland sind das zum Beispiel Feuerwehren oder auch das Technische Hilfswerk. Es gibt aber auch viele Nichtregierungsorganisationen, die eben das Gleiche tun. Wie funktionieren da die Absprachen, dass da nichts Doppeltes passiert?

    Billing: Ja, vor Ort wird das natürlich alles von den Vereinten Nationen koordiniert. Es gibt sogenannte Cluster, also wo bestimmte fachliche Gruppen zusammensitzen, die sich dann einigen, wer welchen Bereich abdeckt, wer welche Orte besucht, wer welche Themen untersucht.

    Dobovisek: Wir haben vorhin gehört, die Sicherheitslage ist relativ angespannt, die Einsatzkräfte müssen geschützt werden von Soldaten der Vereinten Nationen und auch der USA. Ist das das, was Sie sich unter einem funktionierenden humanitären Einsatz vorstellen?

    Billing: Ja natürlich kann man das so nicht sagen. Es ist in der Tat so, dass die Sicherheitsrisiken zunehmend ein Problem werden. Wir tun, was unsere Teams angeht, das Menschenmögliche. Wir haben uns unter den Sicherheitsschirm der Vereinten Nationen platziert, derzeit sprechen wir hier von Phase drei von fünf. Insofern sind wir derzeit noch in relativ sicherem Terrain.

    Dobovisek: Peter Billing von der Europäischen Kommission, dort Chef der europäischen Katastrophenschutzzentrale, dem sogenannten Monitoring and Information Center. Vielen Dank für das Gespräch!

    Billing: Bitte schön!