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"Es hat eindeutig eine Politisierung des Comic-Salons stattgefunden"

Auf dem Comic-Salon in Erlangen gebe es eine Vielzahl von Künstlerinnen und Künstlern aus der arabischen Welt, die in ihren Comics zur prekären nachrevolutionären Situation Stellung nehmen, sagt Angela Gutzeit, die sich vor Ort umgehen hat.

Angela Gutzeit im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 10.06.2012
    Der Comic-Salon in Erlangen findet alle zwei Jahre statt - inzwischen gibt es auch in Deutschland einen regelrechten Comic-Boom.
    Der Comic-Salon in Erlangen findet alle zwei Jahre statt - inzwischen gibt es auch in Deutschland einen regelrechten Comic-Boom. (picture alliance / dpa / Daniel Karmann)
    Burkhard Müller-Ullrich: Die arabische Welt war auch auf dem Comic-Salon in Erlangen sehr präsent, der an diesem Wochenende stattfand und die Vitalität dieser Kunstszene demonstrierte. Vor ein paar Jahren führte sie in Deutschland eher eine Randexistenz, die Zentren lagen in der angelsächsischen und frankofonen Welt. Doch jetzt gibt es einen regelrechten Comic-Boom bei uns; es ist eine Buchsparte, die noch Wachstum meldet und die sich vor der Digitalisierung nicht sehr fürchten muss, weil Comic-Liebhaber doch meist auch Sammler sind. Angela Gutzeit, Sie haben sich in Erlangen umgesehen, Sie sind um Spiderman nicht herumgekommen, denn dem ist zu seinem 50. Geburtstag eine Sonderschau gewidmet. Was sind denn sonst noch die Großtrends des diesjährigen – er findet ja alle zwei Jahre statt –, des diesmaligen Comic-Salons?

    Angela Gutzeit: Es zeigt sich zum einen eine sehr starke Diversifizierung der Comic-Szene. Das heißt, wir haben natürlich auf der einen Seite immer noch die Micky Maus, auf der anderen Seite aber auch den hoch artifiziellen Literatur-Comic, dann Spiderman, der hier eine große Ausstellung hat, 50. Geburtstag - natürlich gibt es da Fans und ist das unheimlich gut besucht -, aber auf der anderen Seite eben auch der Comic aus den realen Krisen- und Kriegsgebieten, und da kommen wir natürlich jetzt zu dem nächsten Trend, der hier wirklich deutlich im Mittelpunkt steht: Es hat eindeutig eine Politisierung des Comic-Salons stattgefunden, und das hat natürlich damit zu tun, dass bestimmte Länder mit ihren Künstlern hinzugekommen sind. Vor zwei Jahren war das zum Beispiel China, dieses Mal sind es die arabischen Länder, die hier im Mittelpunkt stehen, zum Beispiel libanesische Künstler, die den Bürgerkrieg in ihren Comics verarbeiten. Künstler und Künstlerinnen, übrigens auch eine ganze Menge Frauen bei den arabischen Künstlern aus, ich nenne mal, Ägypten, Tunesien, die so zu der prekären nachrevolutionären Situation in ihren Comics Stellung nehmen. Dazu gibt es auch eine riesengroße wunderbare Ausstellung. Viele Künstler auch aus afrikanischen Krisenstaaten, es gibt auch ökologische Themen, also das ist schon wirklich ein sehr interessanter Trend, der offensichtlich auch möglich geworden ist, weil das Goethe-Institut sich in den arabischen Ländern sehr engagiert und das auch fördert, dass die hier hinkommen konnten. Also es ist sehr interessant, wie die Künstler aus diesen Ländern, besonders aus dem arabischen Raum, versuchen, eine Infrastruktur aufzubauen, wie sie Zeitungen gründen, wie sie versuchen, auch immer noch bestimmte Tabus wie Sexualität, Religion zu umgehen oder nach und nach aufzubrechen. Sie verbreiten ihre Comics im Internet und es werden eben hier in Erlangen im Comic-Salon eine ganze Menge Kontakte geknüpft zu Verlagen und es wird natürlich versucht, auch diese Künstler zu fördern und von ihnen Bücher herauszubringen.

    Müller-Ullrich: Ist denn der Comic für die Araber eine Form, sagen wir mal, Anschluss an die westliche Popkultur zu finden, oder sind in diesen sehr politischen Erzählungen Elemente, die man eben nur im Comic ausdrücken kann?

    Gutzeit: Ich würde sagen, Popkultur habe ich jetzt in der Ausstellung nicht in diesem Maße gefunden, obwohl es ganz verschiedene Ausdrucksformen gibt. Aber sie sind, man muss sagen, wirklich sehr stark bildhaft, sehr kontrastreich, sehr häufig auch in Schwarz und Weiß, wobei sozusagen das Krasse der ganzen politischen Situation die Kämpfe im Libanon 2006 und so weiter sind. Man sieht sehr deutlich das Grauen sozusagen, was da aus diesen Zeichnungen herausspringt. Es ist schon sehr individuell, muss ich sagen, aber von Popkultur würde ich jetzt in diesem Falle nicht so sehr sprechen, auch nicht unbedingt von einer amerikanischen Beeinflussung.

    Müller-Ullrich: Man sieht aber zunächst mal nur Fantasien eines Zeichners, die Bilder haben ja keine Beweiskraft, das ist ja im Grunde eine Form von visueller Belletristik.

    Gutzeit: Das ist visuelle Belletristik. Es hat häufig auch was Traumhaftes, es werden bestimmte Abfolgen in diesen sogenannten Panels vorgestellt, wo Gewaltszenen, Demonstrationen wie auch immer deutlich gemacht werden. Also insofern ist es wirklich Bildergeschichte und kommt häufig, wie ich das jetzt gesehen habe, auch in der Ausstellung, mit relativ wenig Text aus. Das ist eigentlich auch eine sehr große Qualität, finde ich.

    Müller-Ullrich: Es werden ja Preise vergeben, die berühmten Max-und-Moritz-Preise, sowie für die Independent-Szene dann noch Alternativpreise, aber wir können nicht alles besprechen, vielleicht nur eine kleine Auswahl.

    Gutzeit: Die Einzelpreise Max und Moritz, die wurden am Freitag vergeben in einer großen Gala. Da möchte ich ganz gerne den Preis für den besten internationalen Comic nennen. Den hat der Amerikaner Joe Sacco bekommen für sein Comic "Gaza". Da sieht man auch schon wieder eine politische Orientierung. Dieser Comic thematisiert das Massaker an der palästinensischen Bevölkerung in Gaza, überhaupt die Situation dort. – Ein weiterer Preis, den ich nennen möchte, ist der beste deutschsprachige Comic für den Berliner Zeichner Simon Schwartz. Der hat einen sehr voluminösen Band vorgestellt mit dem Titel "Packeis", eine Graphic Novel über die erste Reise zum Nordpol.

    Übrigens wollte ich noch hinzufügen, dass es eine sehr starke Tendenz mittlerweile auch gibt zur Graphic Novel, ich habe jetzt gerade den Begriff genannt, eigentlich weg vom Comicstrip, obwohl es das auch noch gibt, aber stark hin zur geschlossenen großen Erzählung. – Ein weiterer Preis ist für Flix für den besten Comic-Preis. Das ist ein Berliner, ein sehr guter Berliner Künstler, der heute im Berliner "Tagesspiegel" die 24. Folge seines Sunday Strips – so heißt es ja im Amerikanischen – "Schöne Töchter" veröffentlicht. Da geht es um das Verhältnis von Männern und Frauen. Also man kann wirklich sagen, der Comic ist mittlerweile in Deutschland wirklich angekommen, ist etabliert, akzeptiert, gewinnt zurzeit auch neue Leserschichten, ist in fast allen großen Feuilletons präsent und wird auch von den großen Verlagen mittlerweile aufgenommen. Zum Beispiel Suhrkamp hat gerade eine Comic-Sparte eröffnet und wird als Nächstes von Uli Lust "Marcel Beyers Flugkunde" herausbringen, und das ist schon eine sehr interessante Tendenz.

    Müller-Ullrich: Vielen Dank - das war Angela Gutzeit mit Eindrücken vom 15. Internationalen Comic-Salon Erlangen.