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"Es hat einen vernünftigen Kern"

Jerzy Montag weist auf die Vorteile des neuen elektronischen Einkommensnachweises "Elena" hin. So würden die Arbeitgeber künftig nicht mehr erfahren, welche staatliche Leistungen ihre Angestellten beantragten. Auf der anderen Seite berge die zentrale Speicherung Sicherheitsrisiken.

Jerzy Montag im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 02.01.2010
    Tobias Armbrüster: Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit Jerzy Montag, dem Sprecher für Rechtspolitik von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Guten Morgen, Herr Montag!

    Jerzy Montag: Einen schönen guten Morgen!

    Armbrüster: Bekommen wir 2010 den gläsernen Arbeitnehmer?

    Montag: Ja, die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Wir bekommen eine riesige, neue Datei auf Vorrat, und in welchem Umfang und mit welchen Sicherheiten solche Vorratsdatenspeicherungen zulässig sind, wird das Bundesverfassungsgericht uns höchstwahrscheinlich in diesem Monat noch ausführlich erklären, wenn die Kommunikationsvorratsdatenspeicherung vom Bundesverfassungsgericht bewertet werden wird.

    Armbrüster: Bleiben wir mal, Herr Montag, bei ELENA, diesem neuartigen System zur Datenerfassung von Arbeitnehmerdaten. Was sagen Sie zu diesem System?

    Montag: Es hat einen vernünftigen Kern, denn es ist ja unzweifelhaft – darüber wird seit vielen Jahren nun gesprochen und auch mit den Gewerkschaften und den Datenschützern diskutiert –, dass, wenn Arbeitnehmer gesetzliche, staatliche, soziale Leistungen in Anspruch nehmen, sie einen Großteil der jetzt in die Kritik geratenen Daten vorlegen müssen und zwar auf sogenannten Entgelt- oder Arbeitsbescheinigungen der Arbeitgeber. Der Arbeitgeber hat diese Daten heute schon und muss sie heute schon auf Anforderung des Arbeitnehmers den staatlichen Stellen vorlegen.

    Armbrüster: Aber jetzt soll das Ganze gespeichert werden in einem Zentralrechner.

    Montag: Das ist genau das Problem. Diese Speicherung hat sicherlich den Vorteil, dass in Zukunft die Arbeitgeber nicht mehr wissen werden, welche staatlichen Sozialleistungen ihre Arbeitnehmer in Anspruch nehmen. Dies ist auch datenschutzrechtlich ein Vorteil. Auf der anderen Seite haben wir die große Gefahr einer zentralen Speicherung von unglaublich vielen Daten aller Arbeitnehmer in Deutschland. Das muss kritisch noch einmal überdacht werden und ich bin froh, dass die Bundesregierung jetzt auf die Kritik hin auch aufgewacht ist, um einige Dinge, wie zum Beispiel Streikverhalten, Fehlverhalten, Abmahnungen, Kündigungsgründe aus dieser Speicherung zumindest herauszunehmen, weil dies zu weit geht.

    Armbrüster: Ich verstehe das noch nicht ganz, Herr Montag: Sie sagen jetzt, dieses neue System zur Datenerfassung, das schütze Arbeitnehmerdaten. Wie kann das funktionieren?

    Montag: Na, das schützt deswegen, weil heute, also, bis zum Jahr 2009, wenn ein Arbeitnehmer Wohngeld beantragen wollte, musste er zum Arbeitgeber gehen und sagen: Gib mir bitte eine Entgeltbescheinigung oder eine Arbeitsbescheinigung, in der diese Daten drinstanden, die jetzt gespeichert werden sollen, denn ich will ein Wohngeld beantragen. Jetzt, nach neuem Recht, wird der Arbeitgeber diese Daten an die zentrale Datei geben und ob diese Daten von der Wohngeldstelle in München oder in Berlin abgerufen werden oder nicht, das erfährt er nicht mehr. Dies ist sicherlich ein datenschutzrechtlicher Vorteil. Es wird auch die Flut von zig Millionen schriftlicher Bescheinigungen, die bisher jedes Jahr ausgestellt worden sind, eingeschränkt werden. Aber die Nachteile einer solchen zentralen Speicherung müssen im Auge behalten werden, sie sind gravierend.

    Armbrüster: Nun wurde das Gesetz zu ELENA schon im vergangenen Frühjahr verabschiedet, und zwar mit deutlich mehr Vorgaben als bloß diesen Datenangaben, die Sie jetzt genannt haben. Unter anderem sollten dort auch Streiktage erfasst werden und Abmahnungen eines Arbeitnehmers. Warum kommt die Empörung darüber erst jetzt? Hat die Opposition im Bundestag möglicherweise geschlafen?

    Montag: Ja, nein, die Empörung kommt deswegen erst jetzt, weil, als im Sommer im Bundestag über das Gesetz abgestimmt worden ist und als zum Jahresende der Bundesrat diesem Gesetz auch zugestimmt hat, die sogenannten Ausführungsbestimmungen, also das Kleingedruckte, noch nicht bekannt war. Als jetzt Anfang Dezember die entsprechenden Bundesministerien die Arbeitsanweisungen zum Handhaben dieser Datei auf den Tisch gelegt haben, stellten die Gewerkschaften aber auch die Datenschützer fest – auch für den Bundestag war das neu –, dass der Umfang dieser Daten 43 Seiten umfasst. Und erst da kamen auch die Diskussionen über die Speicherung von Streiks, von Kündigungsgründen, von Fehlverhalten in die Debatte. Ich persönlich und wir Grünen meinen, diese Datei muss überprüft und sie muss in ihrem Umfang ungeheuerlich abgespeckt werden. Wenn das funktioniert, dann stellt sich die nächste Frage, nämlich die Frage der Sicherheit dieser Daten. Da ist in der Anmoderation so getan worden, als ob die Rentenversicherungsanstalten oder auch Dritte an diese Daten herankommen könnten. Dies muss technisch – nicht nur rechtlich, sondern auch technisch – ausgeschlossen werden, zum Beispiel mit einer doppelten Verschlüsselung. Wenn das alles erfüllt wird, kann diese neue Datensammlung auch einen guten Zweck haben.

    Armbrüster: Seit gestern läuft ELENA, eine neue, zentrale Datenerfassung für Arbeitnehmer in ganz Deutschland. Darüber haben wir gesprochen mit Jerzy Montag, dem rechtspolitischen Sprecher der grünen Bundestagsfraktion. Vielen Dank, Herr Montag!

    Montag: Danke Ihnen, einen schönen Tag!