Donnerstag, 18. April 2024

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"Es hat offenbar damals besser funktioniert als heute"

Der Politologe Professor Hubert Kleinert, ehemals Landesvorsitzender der Grünen, weist darauf hin, dass es auch bei den Großdemonstrationen in den Achtzigern gegen Nachrüstung oder Atomenergie einen "autonomen Block" gegeben habe. Anders als heute habe er aber nicht so auf sich aufmerksam machen und durch die friedlichen Demonstranten "domestiziert" gewesen.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 08.06.2007
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Studentenproteste von '67, '68 jähren sich gerade zum 40. Mal. Viel hat sich seitdem verändert in Deutschland, aber eines ist geblieben: die Menschen protestieren noch oder soll man sagen wieder in diesen Tagen und auch diesmal geht es wieder um eine gerechtere Welt. Proteste sind das allerdings, die viel stärker mit Gewalt zusammenzuhängen scheinen als damals. Was hat sich also verändert? - Darüber spreche ich mit dem Politikwissenschaftler Professor Hubert Kleinert von der Fachhochschule für Verwaltung des Landes Hessen, besser bekannt als einer der Grünen der ersten Stunde, ehemaliger Landesvorsitzender der Partei in Hessen und Ex-Mitglied des Bundestages. Herr Kleinert, wenn Sie jetzt die Bilder sehen von den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm, fühlen Sie sich da an früher erinnert, an die Zeit der Friedensdemonstrationen, die Anti-AKW-Bewegung, an Brokdorf, an die Startbahn West?

    Hubert Kleinert: Sicher kommen einem auch solche Gedanken. Das ist ja ganz klar. Wobei ich sagen muss, dass es doch auffällige Unterschiede gibt gegenüber dieser Zeit in den 70er und vor allem auch in den frühen 80er Jahren, wenn ich etwa an die Friedensbewegung denke. Man kann ja sagen, was man will, über diese Bewegung, die es damals gegeben hat, aber es hat doch eine klarere Trennung gegeben auch zwischen den sagen wir friedlichen und den weniger friedlichen Teilen, beziehungsweise es gab dort zwar auch autonome Blöcke, wie man das damals nannte, aber die waren eindeutig domestiziert durch die friedlichen Demonstranten und haben dann nicht so auf sich aufmerksam machen können, wie das zumindest am Wochenende der Fall war. Also da gibt es schon auch deutliche Unterschiede. Ein weiterer Unterschied ist natürlich auch die Größenordnung. Damals hatte man doch etwas andere Größenordnungen. Es waren sehr viel mehr Menschen auf der Straße.

    Heckmann: Wie ist es denn damals gelungen, Störer und Chaoten fern zu halten?

    Kleinert: Soweit ich mich richtig erinnere, haben die Organisatoren jedenfalls bei diesen Großdemonstrationen, die es Anfang der 80er Jahre gab in Bonn, ganz großen Wert darauf gelegt, auch eine Art internen Ordnerdienst zu haben, der sehr genau darauf geachtet hat, dass diese, die es damals ja auch schon gab, mit schwarzen Klamotten und Vermummungen ... Autonomer Block nannte man das glaube ich damals schon, wenn ich mich richtig erinnere. Da gab es welche in Göttingen, in Berlin und so. Es gab ein sehr, sehr eingehendes Bemühen der Veranstalter selbst, da eine gewisse Disziplinierung zu schaffen, und das hat auch zumindest bei diesen Großdemonstrationen ganz gut funktioniert. Es hat offenbar damals besser funktioniert als heute.

    Heckmann: Und Sie würden sagen, dass die Abgrenzung der Attac-Bewegung heute von den Gewaltbereiten nicht hinreichend war?

    Kleinert: Den Eindruck musste man ja nun wirklich zumindest haben nach den Bildern am Wochenende. Ich bin jetzt nun kein Spezialist für die Bewegung der Globalisierungsskeptiker oder -kritiker heute und weiß auch nicht im Einzelnen, was da im Vorfeld gewesen ist. Ich kann Ihnen nur sagen, damals hat man sich sehr, sehr viel Mühe gemacht, um solche Gewaltbilder zu verhindern im Vorfeld schon. Ich brauche ja jetzt hier nicht noch mal auszuführen - das war ja ganz offensichtlich -, dass solche gewalttätigen Gruppierungen einer solchen Bewegung natürlich einen Bärendienst erweisen.

    Heckmann: Wenn es so ist, dass die Abgrenzung nicht ausreichend gewesen ist, was könnten dafür die Gründe sein?

    Kleinert: Da müsste ich jetzt spekulieren, ob das jetzt Naivität ist, ob man sozusagen aus falschen Solidarisierungsvorstellungen heraus meint, eine Einheitsfront bewahren zu müssen, die es ja faktisch sowieso nicht gibt. Das ist vielleicht auch noch so ein wichtiger Punkt. Was ich so ein bisschen vermisse ist ein klares Forderungskonzept, auf das sich jetzt verschiedene Gruppen zu einigen in der Lage wären. Das hatte man früher in dieser Zeit. Das ist mir nicht recht deutlich. Es gibt eine Vielzahl von einzelnen Diskussionssträngen und Forderungen in dieser globalisierungskritischen Bewegung, die ich unterschiedlich einschätzen würde, wenn Sie etwa denken an die Forderung zur Öffnung unserer Märkte für landwirtschaftliche Produkte aus der Dritten Welt. Das halte ich für eine sehr vernünftige Forderung, eine überfällige Forderung. Es gibt anderes, aber so ein ganz klares Paket, auf das sich jetzt die verschiedenen Gruppen geeinigt hätten, wo man sagen kann, das ist die inhaltliche Substanz - das fehlt. Wenn man versuchen würde, so etwas zusammenzustellen, würden sich wahrscheinlich ja auch Unterschiede zeigen, die dann auch wieder klarere Trennlinien von bestimmten auf Randale hin orientierten Gruppen ermöglichen. Da sehe ich gewisse Schwächen in dieser globalisierungskritischen Bewegung, die ja auch vom Umfang her, zumindest was da auf der Straße zusammenkam, so furchtbar beeindruckend auch nicht war.

    Heckmann: Eine Schwäche - ganz kurz, Herr Kleinert -, die wie zu erklären ist?

    Kleinert: Bitte!

    Heckmann: Eine Schwäche, Herr Kleinert, die wie zu erklären ist?

    Kleinert: Da kann ich jetzt nur Vermutungen anstellen. Es ist natürlich sicherlich bei dem Großthema Globalisierung sehr viel schwieriger, operative Forderungen oder einen Katalog von operativen Forderungen zusammenzustellen, als beispielsweise bei so einem Thema wie NATO-Nachrüstung oder Nutzung der Atomenergie. Da hat man einen relativ klaren Punkt und einen relativ klaren definierbaren Gegenstand des Protestes. Da kann man sagen, wir wollen nicht, dass das stationiert wird, oder wir wollen nicht, dass das Programm zum Ausbau der Atomenergie realisiert wird. Das ist bei der Globalisierung und der Vielschichtigkeit des Problems und der inneren Widersprüchlichkeit des Problems natürlich sehr viel schwieriger. Das kann ein Grund sein. Ich denke aber, dass für die Zukunft solcher Bewegungen es sehr wichtig sein wird, dass ein klarer Trennstrich gezogen wird.

    Heckmann: Wir müssen hier abbrechen, da die Nachrichten folgen, Herr Kleinert. Zur Protestkultur war das Hubert Kleinert, der Politikwissenschaftler und ein Grüner der ersten Stunde. Danke für das Gespräch!

    Kleinert: Bitte schön!