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"Es hat uns kalt erwischt"

Winter in Deutschland: Kilometer- und stundenlang schlittern sommerbereifte Autos durch die Landschaft. Warnungen der Wetterdienste und Winterreifentests sind erfolgreich ignoriert. ADAC-Sprecher Saalmann überrascht das nicht.

02.12.2010
    Gerwald Herter: Deutschland ein Wintermärchen. Hätte Heinrich Heine nur gewusst, was Schnee und Eis für Flugpassagiere, Bahnreisende und Autofahrer bedeuten. Wie sieht es heute Morgen aus auf den Straßen? – Otto Saalmann vom ADAC weiß das. Ich bin nun mit ihm verbunden. Guten Morgen, Herr Saalmann! – In der Nacht hat es wieder geschneit. Führt das heute wieder zu einem wahren Verkehrschaos?

    Otto Saalmann: Ja. Man muss natürlich sagen, dass der Wintereinbruch schon ziemlich heftig war. Das heißt, mehr oder weniger ist ganz Deutschland betroffen. Es gibt Schwerpunkte, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Teile Bayerns, vor allen Dingen Nordbayern. Zum einen ist es so, dass die Glätte auch die Autobahnen erwischt hat. Auch dort geht es nur langsam voran. Es gibt immer noch Probleme auch mit quer stehenden LKW. Betroffen sind aber auch Flughäfen, vor allen Dingen München, Frankfurt mit Flugausfällen. Dann auch die Bahn, die hat Probleme. Es gibt umgestürzte Bäume auf Oberleitungen. Im Augenblick ist es schon so, dass man sagen muss, es hat uns kalt erwischt.

    Herter: Also auf jeden Fall vorsichtig fahren. – Aber es liegt ja nicht überall sehr viel Schnee. Dennoch führt der erste Schnee wie in dieser Woche und am Wochenende jedes Mal wieder zu erheblichen Behinderungen. Warum ist das so, Herr Saalmann?

    Saalmann: Ich glaube, das hängt einfach damit zusammen, dass der erste Schnee, die erste Woche mit Schnee an den Autofahrer natürlich besondere Anforderungen stellt. Das heißt, man muss sich völlig auf eine neue Situation wieder einstellen. Na klar, man hat nicht den ersten Winter, den man erlebt, aber es ist doch so, dass man sich erst mal wieder daran gewöhnen muss. Man hat schlechte Sicht, man hat natürlich die Glätte, man weiß noch nicht so recht, wie das Auto reagiert, man fährt sehr vorsichtig, es geht nur sehr langsam voran. Dann reagieren natürlich auch viele falsch. Das bedeutet, es kommt dann zu Unfällen, es kommt natürlich auch zu Pannen, auch das ist klar. Dadurch gibt es natürlich dann immer wieder Sperrungen, es gibt Staus. Also das dauert einfach immer eine Weile, bis sich das wieder einigermaßen normalisiert hat, wobei man sagen muss, der Wintereinbruch, der war natürlich in diesem Jahr schon recht stark.

    Herter: Der letzte Winter, der war ja nun besonders hart, auch in Norddeutschland. Da ging dann das Streusalz aus. Gehen Sie davon aus, dass solch ein Engpass nun wieder bevorsteht?

    Saalmann: Das können wir nicht sagen. Das ist im Augenblick noch nicht zu beurteilen. Es ist so, das wissen wir auch, dass die Räum- und Streudienste mehr oder weniger ununterbrochen im Einsatz sind. Die Autobahnen, die haben natürlich erste Priorität, das ist klar, aber auch in den Kommunen ist es so, dass mehr oder weniger hier rund um die Uhr geräumt und gestreut wird. Jetzt heißt es natürlich von vielen Autofahrern, da ist nicht geräumt, da ist nicht gestreut; das stimmt insofern nicht. Bloß aufgrund des Schnees, der wirklich runterkam, da kamen die schlicht und einfach nicht mehr nach. Wenn die an einer Stelle fertig sind und zur nächsten gefahren sind, dann war es auf der anderen schon wieder zu. Also es war so: sie können nicht überall sein. Das ist nun mal einfach ganz klar. Problematisch ist es dann auch manchmal auf den Autobahnen, wenn es gekracht hat, wenn vorne alles zu ist, dass sie nicht mehr durchkommen, dass wirklich die Pflüge beziehungsweise auch die Streufahrzeuge da echte Probleme haben. Umso wichtiger ist es natürlich, dass man dann auch diese Rettungsgasse, die berühmte, freilässt, damit die Räumfahrzeuge überhaupt vorkommen.

    Herter: Winterreifen, ein anderes Thema, sind durch die neuen schärferen Regelungen angeblich knapp geworden. Was sagt der ADAC dazu?

    Saalmann: Es kann Knappheiten bei bestimmten Modellen geben. Es ist so, dass wir bis jetzt noch nicht erlebt haben, auch in den vergangenen Jahren nicht, dass jemand ohne Winterreifen nach Hause gehen musste. Diese Winterreifen-Verordnung, die haben wir ja in einer etwas anderen Form bereits seit vier Jahren. Es kann natürlich sein, deswegen sagen wir auch immer, bereits im Oktober darum kümmern, dass ein bestimmtes Modell, vor allen Dingen zum Beispiel die Siegertypen aus unseren Tests, aus den Tests der Stiftung Warentest, dass die unter Umständen dann wirklich vergriffen sind. Da muss man dann umsteigen auf ein anderes gleichwertiges Modell, im Zweifelsfalle auch auf einen Ganzjahresreifen. Auch der ist ja erlaubt. Aber grundsätzlich würde ich mal sagen, eine echte Knappheit, sodass man sagt, einige bekommen gar keinen Winterreifen mehr, ist eigentlich eher unwahrscheinlich.

    Herter: Diese neue deutsche Regelung ist ja kritisiert worden. Im nächsten Jahr soll eine EU-Bestimmung hinzukommen. Welche Auswirkungen, Herr Saalmann, sind da zu erwarten?

    Saalmann: Wenn diese EU-Bestimmung kommt? – Das Problem ist, dass man nicht genau festmachen kann, was sind winterliche Fahrbedingungen. Man hat es jetzt versucht, man hat es konkretisiert, man hat gesagt, ja, das ist Schnee, Schneematsch, Eisglätte, Reifglätte etc., aber natürlich gibt es immer so Zwischensituationen. Die andere Seite ist: Was ist ein Reifen? Problematisch beim Reifen ist, dass jeder Reifen gilt, der die M&S-Kennzeichnung hat, also Matsch und Schnee, oder die Schneeflocke mit den drei Berggipfeln. Die Bezeichnung M&S ist leider nicht geschützt. Das heißt, auch schlechtere Winterreifen können diese Bezeichnung haben. Wir kennen das aus unseren Tests, wenn Reifen aus China oder Korea kommen. Da steht dieses M&S zwar drauf, aber von der Qualität her unterscheiden die sich doch sehr, sehr stark von einem Markenreifen. Jetzt müsste man also einen Reifen entwickeln oder genaue Bedingungen erklären, wie denn so ein Reifen beschaffen sein muss. Die Unterschiede sind schon klar. Wenn man so einen Billigreifen irgendwo aus dem Fernen Osten nimmt und vergleicht ihn mit einem Markenreifen – wir haben da mal so einen Bremsversuch gemacht, das heißt mit einem Markenreifen bei 100 km/h auf nasser Straße Vollbremsung; da standen sie mit dem Markenreifen 20 Meter eher als mit so einem minderwertigen Reifen. Also man kann nur eines sagen: Wer auf einen Markenreifen zurückgreift, der ist auf der sicheren Seite. Finger weg von diesen Schnäppchen aus dem Fernen Osten, das bringt nichts, die sind ihr Geld nicht wert. Aber rein rechtlich gesehen ist man auf der sicheren Seite, wenn man eben einen Reifen hat, der die M&S-Kennzeichnung hat.

    Herter: Otto Saalmann war das vom ADAC über den Winter auf deutschen Straßen. Vielen Dank!

    Saalmann: Danke auch.