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"Es ist bedauerlich, dass sich das Ausland hier einmischt"

Kurt Waldheim war österreichischer Spitzendiplomat sowie UN-Generalsekretär. Somit war er prädestiniert dafür, Bundespräsident seines Landes zu werden. Doch dann holte ihn während des Wahlkampfs 1986 seine NS-Vergangenheit ein. Allerdings bestritt er jene Verstrickung mit dem Nazi-Regime. Präsident wurde er dennoch.

Von Otto Langels | 08.06.2011
    "Man hat mich also hingestellt, als ob ich ein Nazi gewesen wäre, der ich nicht war, im Gegenteil. Wir sind Verfolgungen ausgesetzt gewesen durch das damalige Regime",

    erklärte Kurt Waldheim zu den Vorwürfen, er sei Mitglied nationalsozialistischer Organisationen gewesen. Die NS-Vergangenheit Waldheims bestimmte den Wahlkampf des promovierten Juristen, der sich 1986 um das Amt des österreichischen Bundespräsidenten bewarb.

    Der 1918 geborene Kurt Waldheim hatte nach dem Zweiten Weltkrieg Karriere als Diplomat und Politiker gemacht. Er vertrat Österreich als Botschafter in Kanada und bei der UNO, war von 1968 bis 1970 Außenminister seines Landes und anschließend zehn Jahre Generalsekretär der Vereinten Nationen.

    Für sein Leben vor 1945 begannen sich Medien und Historiker zu interessieren, als die Österreichische Volkspartei den parteilosen Waldheim als Präsidentschaftskandidaten aufstellte. Erste Presseveröffentlichungen bezichtigten ihn der Mitgliedschaft im NS-Studentenbund und SA-Reiterkorps.

    "Ich war nicht Mitglied dieser Organisationen."

    Die Wehrmachtskarte Waldheims belegte freilich das Gegenteil. Zudem war er während des Zweiten Weltkriegs Wehrmachtsoffizier in einer Einheit gewesen, die auf dem Balkan Kriegsverbrechen verübt hatte. Eine direkte Teilnahme an Massakern oder Deportationen, wie sie Berichte von Journalisten und des Jüdischen Weltkongresses nahelegten, war ihm jedoch nicht nachzuweisen.

    Kurt Waldheim betrachtete sich deshalb als Opfer einer gezielten Diffamierungskampagne. Er stellte die Anschuldigungen im Wahlkampf als ausländische "Schmutzkübelkampagne" dar und traf damit den Nerv vieler Österreicher, die sich mit an den Pranger gestellt fühlten.

    "Meine Damen und Herren, es ist bedauerlich, dass sich das Ausland hier einmischt."

    Zu den Vorwürfen selbst erklärte Kurt Waldheim, er habe im Krieg als Soldat nur seine Pflicht erfüllt und "fallweise" an Veranstaltungen des NS-Studentenbundes teilgenommen. Auch sei er kurzfristig in einem SA-Reiterkorps mit geritten, aber nicht in Uniform - was den Bundeskanzler Fred Sinowatz von der Sozialistischen Partei zu der legendären Bemerkung provozierte:

    "Der SPÖ ist es wirklich völlig egal, ob Waldheim bei der SA war. Wir nehmen zur Kenntnis, dass er nicht bei der SA war, sondern nur sein Pferd."

    Die SPÖ hatte mit Gesundheitsminister Kurt Steyrer einen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufgestellt, er unterlag jedoch Waldheim in der Wahl vom 4. Mai 1986.

    "Nachdem mir knapp 50 Prozent der Wähler ihr Vertrauen geschenkt haben, zeigt sich doch deutlich, dass das Programm akzeptiert wird, das heißt Moral, Fairness, Leistung, Anständigkeit."

    Da Waldheim die absolute Mehrheit verfehlt hatte, kam es am 8. Juni zu einer Stichwahl, in der er sich mit knapp 54 Prozent der Stimmen durchsetzte. Kurt Waldheim war damit der erste Präsident Österreichs, der nicht von der SPÖ nominiert worden war.

    "Ich gelobe, dass ich meine Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen werde, so wahr mir Gott helfe."

    Wegen des Umgangs mit seiner Vergangenheit blieb Kurt Waldheim außenpolitisch isoliert. Er erhielt nur wenige Einladungen zu Staatsbesuchen, die USA erteilten ihm ein Einreiseverbot als Privatperson. Eine internationale Historiker-Kommission kam 1988 zu dem Ergebnis, Waldheim sei nicht persönlich an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen, habe deren Durchführung aber durch seine Berichte als Wehrmachtsoffizier erleichtert und im Wahlkampf versucht, seine militärische Vergangenheit zu verharmlosen. Zermürbt verzichtete der Präsident auf eine mögliche zweite Amtszeit.

    "Ich möchte Ihnen also heute mitteilen, dass ich mich nach reiflicher Abwägung der Interessen unserer Republik, der Erfahrungen der vergangenen Jahre, aber auch meiner persönlichen Zukunftsvorstellungen dazu entschlossen habe, für eine neuerliche Wahl zum Bundespräsidenten nicht zur Verfügung zu stehen."

    Das Verdienst des 2007 verstorbenen Kurt Waldheim war es, dass er unbeabsichtigt das Selbstbild der Alpenrepublik veränderte. Die Österreicher, die sich zuvor in ihrer Mehrheit als erste Opfer Hitlers gesehen hatten, begannen sich mit der NS-Vergangenheit und den eigenen Verstrickungen in das Nazi-Regime auseinanderzusetzen.