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"Es ist das geladene Gewehr"

Gestern wurde der Rettungsplan für Griechenland fertiggestellt. Im Notfall kann das Land nun bis zu 30 Milliarden Euro bekommen. Jean-Claude Juncker, Vorsitzender der Eurogruppe, sagt sinngemäß, die Maßnahme soll das gesamte Eurogebiet vor einer Schwächung schützen.

Jean-Claude Juncker im Gespräch mit Silvia Engels | 12.04.2010
    Silvia Engels: Ende letzter Woche hat sich die Finanzkrise in Griechenland erneut zugespitzt: Die Ratingagentur Fitch stufte die Bonität des Landes herab. Der Zinssatz, zu dem Griechenland das dringend benötigte, frische Geld auf den Kapitalmärkten bekommen kann, steigt, und zwar so stark, dass Griechenland das kaum noch schultern kann. Deshalb handelten die Finanzminister des Eurogebiets gestern in einer Telefonkonferenz letzte Details ihres Rettungsplans für Athen aus. Ergebnis: Griechenland kann im Notfall bis zu 30 Milliarden Euro abrufen. Mit dabei war gestern Jean-Claude Juncker, der Vorsitzende der Eurogruppe und Premierminister Luxemburgs. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Juncker!

    Jean-Claude Juncker: Guten Morgen nach Köln!

    Engels: Die griechische Führung hat gesagt, dass es die Gelder bis jetzt nicht direkt abrufen will. Wann ist dieser Notfall gegeben?

    Juncker: Dies kann ich Ihnen so nicht beantworten, nicht, weil ich es nicht wollte, sondern weil ich es nicht weiß. Es wird Sache der griechischen Regierung sein, die Anfrage auf Kreditgewährung an die europäische Eurogruppe zu richten, an die Kommission, an die Europäische Zentralbank. Wir haben gestern nicht beschlossen, dass der Mechanismus, dass die Hilfsinstrumente, die wir aufgestellt haben, zur Anwendung kommen. Dies wird nur dann passieren können, wenn die dementsprechende Initiative aus Athen kommt, und falls die käme, braucht es noch eine besondere Bewertung durch die Europäische Zentralbank und die Europäische Kommission. Und dann erst kann es das Aktivieren des Mechanismus geben, aber auch nur, wenn ein vorheriger, einstimmiger Beschluss der Eurogruppe erfolgt.

    Engels: Herr Juncker, Sie sprechen es an: Alle Euro-Finanzminister müssen zustimmen. Haben denn alle Kollegen die gleiche Vorstellung, wann die Schwelle für einen Notfall überschritten ist?

    Juncker: Ich gehe sehr davon aus, dass alle Kollegen dieselbe Vorstellung haben. Darüber haben wir uns gestern nicht austauschen müssen, weil dies zu bewerten gestern nicht anstand. Aber jeder weiß: Wenn die Anfrage aus Athen kommt, die einschlägigen Einschätzungen von der Europäischen Zentralbank und Europäischer Kommission übereinstimmend in die Richtung zeigen, dass der Ernstfall laut dieser Gutachten eingetreten ist und auch der Internationale Währungsfonds dem zustimmt, dann weiß jeder, dass der Mechanismus aktiviert werden muss.

    Engels: Aber de facto hat jeder einzelne Finanzminister der Eurogruppe in dieser Frage ein Vetorecht.

    Juncker: Das halte ich auch für einen nachvollziehbaren Sperrmechanismus, wenn es darum geht, einem Euroland via Kreditgewährung unter die Arme zu greifen, wenn es darum geht, eine Lösung, die so im Vertrag nicht vorgesehen war, sondern die wir eigentlich aus dem Stein hätten schneiden müssen, dann ist es normal – weil es ja auch um Steuergelder geht –, dass hier der Finanzminister über ein Vetorecht verfügt. Das ist ja nicht denkbar beispielsweise, dass man sich über die Weigerung von Herrn Schäuble, Bundesfinanzminister, hinwegsetzen könnte, falls er einer Kreditgewährung, mit deutschen Steuergeldern unterlegt, nicht zustimmen würde. Vor allem in Deutschland ist das noch klar, dass es der ausdrücklichen Zustimmung des Bundesfinanzministers bedarf, Herr Schäuble, der sich intensiv an der Lösung, die wir gestern erreicht haben, beteiligt hat und der ja vorgeschlagen hat, wie auch die Kanzlerin – zu Recht –, dass man über Vertragsänderungen nachdenken muss, um nicht wieder in eine ähnliche Lage hineinzugeraten wie die, in der wir uns zurzeit befinden. Wir brauchen über den griechischen Fall hinaus einen Lösungsmechanismus für derartige Fälle. Darauf hat die Bundesregierung größten Wert gelegt und daran wird auch gearbeitet.

    Engels: Herr Juncker, bleiben wir noch beim Fall Griechenland: Schon morgen will ja die Athener Regierung eine neue Staatsanleihe auf den Markt bringen, um sich neues Geld zu verschaffen. Wenn es nicht gelingt, diese Anleihe so zu platzieren, wie Griechenland sich das zu einem gemäßigten Zinssatz vorstellt – ist das dann schon der Zeitpunkt, an dem der Rettungsplan greift?

    Juncker: Es wird wesentlich davon abhängen, welche Schlussfolgerungen die griechische Regierung aus einem derartigen Vorgang ziehen würde. Ich muss noch einmal betonen: Wir haben nicht beschlossen, dass wir den Mechanismus aktivieren. Dies unterliegt der Einschätzung der griechischen Regierung, die die Frage ... , was die monieren. Die griechische Regierung wird dann entscheiden müssen, ob sie den Antrag auf Hilfe stellt. Dies ist kein Mechanismus, der von uns aus in Bewegung gesetzt werden wird, er muss zuerst von Athen gewollt sein, bevor er in Brüssel – um es einfach auszudrücken – ausgelöst werden kann.

    Engels: Erst vor gut zwei Wochen hatten ja die europäischen Staats- und Regierungschefs diesen Rettungsplan grundsätzlich beschlossen. Nun ist er mit Leben gefüllt. Aber eigentlich war ja schon vor zwei Wochen die Hoffnung, dass dieser Plan gar nicht gebraucht würde, weil das Signal allein die Märkte beruhigen würde. Waren Sie damals zu blauäugig?

    Juncker: Wahrscheinlich waren wir damals zu schnell der Auffassung gewesen, dass die Finanzmärkte schneller feststellen würden, dass der Satz, dass die Eurozone sich solidarisch Griechenland gegenüber verhalten wird, ernst gemeint wäre. Jetzt war der Eindruck doch der die letzten Tage, dass die Finanzmärkte auf ein Zeichen warten würden dergestalt, dass der prinzipiell beschlossene Plan mit Leben erfüllt würde. Das haben wir gestern gemacht, wir haben im Detail festgelegt, wie der Hilfsmechanismus aussehen wird und wann er ausgelöst wird. Die Märkte wissen jetzt: Das ist kein Gedicht, was die Finanzminister geschrieben haben. Es ist das geladene Gewehr.

    Engels: Herr Juncker, es wurde ja schon viel darüber diskutiert, dass möglicherweise auf diesem Weg Griechenland geholfen wird, auf der anderen Seite nun aber bilaterale Kredite fließen könnten – und das wäre eigentlich ein Verstoß gegen die Regelungen für den Euro, das heißt, die Währung des Euro könnte weicher werden. Was entgegnen Sie?

    Juncker: Ich entgegne, dass dem nicht so ist. Wir stellen hier ein Instrument auf die Beine, das sicherstellen soll, dass es nicht zu einer Fragilisierung des gesamten Eurogebietes kommt. Dies ist eine Abwehrmaßnahme, falls sie denn ergriffen würde, die nicht nur Griechenland in eine Lage versetzen soll, sich zu günstigerem Zinssatz finanzieren zu können, sondern den gesamten Euroraum gegen diese einsetzende Fragilisierung schützt. Das Zweite ist, dass dies ein Instrument ist, das Griechenland bilaterale Kredite zukommen lässt, Kredite allerdings, die verzinst sind. Was der deutsche Steuerzahler nach Griechenland via bilateralem Kredit in Bewegung setzen wird, ist kein Geld, das einfach über die Theke geschoben wird, sondern das ist Geld, das dem deutschen Steuerzahler wieder zurückbezahlt werden muss und das ist außerdem ein Kredit, eine Kreditausstattung, die subventionslos ist: Das wird nicht subventioniert, sondern es wird zu relativ hohen Zinssätzen das ganze Geschäft abgewickelt. Insofern ist dies nicht ein Verstoß gegen die Regel von Artikel 125 des Maastrichter Vertrages, die besagt, dass kein Land für die Verbindlichkeit in anderer Länder einstehen muss. Dies ist eine vertragskonforme, marktkonforme, subventionslose, den Steuerzahler nicht belastende Regel.

    Engels: Jean-Claude Juncker, der Vorsitzende der Eurogruppe und Premierminister Luxemburgs. Vielen Dank für diese Einschätzungen zum Notfallplan für Griechenland.

    Juncker: Bitte sehr!