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"Es ist ein schönes Weihnachtsgeschenk"

Für US-Präsident Barack Obama ist es ein außenpolitischer Erfolg am Ende eines wohl schwierigen Jahres. Buchstäblich in letzter Minute ist es ihm gelungen, im Senat in Washington doch noch eine Mehrheit für den Abrüstungsvertrag mit Russland zusammenzubekommen.

Christian Hacke im Gespräch mit Silvia Engels | 23.12.2010
    Christian Hacke, lange Jahre Professor für internationale Politik an der Universität von Bonn, ordnet das START-Abkommen ein. Nach dem Widerstand vonseiten der Republikaner vor allem gegen den Vertrag hat Silvia Engels ihn gefragt, ob er überrascht war, dass es am Ende dann doch noch geklappt hat.

    Christian Hacke: Doch, ein wenig schon, und natürlich angenehm überrascht. Es zeigt, dass die Realisten in der Republikanischen Partei doch noch die Oberhand gehabt haben, wenigstens in dieser außen- und abrüstungspolitischen Frage, und wir wissen ja, dass der Verteidigungsminister Gates, selbst Republikaner, bei seinen Parteifreunden dafür geworben hat, wir wissen auch, dass der frühere Präsident Bush und die beiden Außenminister, also Colin Powell und Condoleezza Rice, sich ebenfalls dafür eingesetzt haben. Also wir hatten es hier mit Republikanern zu tun, die im außenpolitischen Blickfeld maßgehalten haben und gewusst haben, wenn dieser Vertrag fällt, dann wäre das wirklich tragisch für die Sicherheitslage der USA und ihr Ansehen in der Welt.

    Silvia Engels: Dann schauen wir mal kurz auf die Inhalte. Das mutet ja eher technisch an. Da sollen nukleare Sprengköpfe innerhalb der nächsten sieben Jahre von je 2200 auf 1550 reduziert werden, die Zahl der Trägersysteme soll auf jeweils 700 begrenzt werden. Sind das die wichtigsten Aspekte?

    Hacke: Also, Frau Engels, das ist alles nicht revolutionär. Das muss man sagen. Das war im Trend. Wenn Sie die Trägersysteme nehmen, da hat man sich in der Mitte getroffen. Die Russen wollten eigentlich nur 500 Trägersysteme, dass man also die Grenzen noch weiter herunterschraubt, weil ihre eigenen Langstreckenraketen ziemlich verrottet sind. Das war das eigene Interesse. Wenn die Amerikaner aufgrund ihrer sehr viel besseren Raketen sich lieber bei, sagen wir mal, 1300 angesiedelt hätten, so hat man sich da getroffen.
    Auch die Reduktion von 2200 auf 1550 Atomsprengköpfe ist nicht übermäßig. Ich sage es mal überspitzt: Die Modernisierung macht's möglich, und zwar in beiden Bereichen. Im nuklearen Bereich die Miniaturisierung, aber natürlich auch die enorme Modernisierung der konventionellen Waffen, ihrer Durchschlagskraft. Sie können in die Tiefe, sie können dicke Dinge durchsprengen. Das alles hat auch die Bedeutung von Nuklearwaffen und strategischen Nuklearwaffen relativiert, sodass man sich relativ einfach auf diese Zahlen einigen konnte.

    Engels: Das heißt, ein echter Fortschritt von Obama hin auf dessen formuliertes Ziel einer atomwaffenfreien Welt ist das eigentlich nicht?

    Hacke: Das sind ja beides Ziele, die Obama, wie ich finde, sehr klug ausgewogen hat: einmal dieses Idealistische mit Blick auf eine nuklearwaffenfreie Welt, wo er selbst ja auch ganz realistisch gesagt hat, das wird zu unserer Zeit nicht zu erreichen sein und vielleicht auch später, vielleicht auch gar nicht, aber es ist eine Vision. Und vergessen wir nicht: Ich glaube, die Hauptbedeutung dieses Vertrages liegt einmal im Innenpolitischen, aber zum Zweiten eher auch im Symbolischen. Er hat eine tiefe Symbolik, denn vergessen wir nicht: Die USA hatten ja unter George W. Bush in vielerlei Hinsicht, auch in der Abrüstungsfrage, an Vorbild verloren, und das hat er wiedergewonnen. Er hat wieder die USA zur Nummer 1 gemacht, die antreibt zu Abrüstung, Nicht-Weiterverbreitung, und das ist der andere Punkt: Er hat eben die Russen mit ins Boot gezogen. Beide Mächte können sich jetzt besser darstellen vor den anderen mit der Forderung nach Nicht-Weiterverbreitung von Nuklearwaffen, und das ist auch von einer gewissen Symbolik.

    Engels: Wie wichtig ist also dieses Abkommen, Herr Hacke, für den generellen Kurs der US-Außenpolitik, besonders gegenüber Russland?

    Hacke: Also hier sind zwei Teufel im Detail, die man nicht übersehen darf. Das Erste ist die Frage der Raketenabwehr, und hier haben die Russen eine Auffassung, dass sie sagen, Offensiv- und Defensivwaffen liegen so eng beieinander, die sind miteinander verbunden, also darf es hier auch keine Raketenabwehrsysteme geben. Die Amerikaner, vor allem die Republikaner, aber auch bei den Demokraten, sind der anderen Auffassung, dass nämlich dieses START-Abkommen Raketenabwehrsysteme erlaubt, und das wird der Knackpunkt sein der nächsten Jahre, der nächsten zwei Jahre auch in der Innenpolitik. Und dann kommt natürlich noch hinzu, dass darüber hinaus das Moment der taktischen Nuklearwaffen auch in dem Abkommen nicht erfasst ist. Hier haben die Russen aus guten Gründen gezwickt und wollen hier auch keine Verhandlungen so lange, weil sie gerade in Europa ein massives Übergewicht haben an taktischen Nuklearwaffen. Hier muss der Präsident was tun, auch aus innenpolitischen Gründen, auch aus prinzipiellen abrüstungspolitischen Gründen. Also es sind genügend Sorgen vorweg. Damit, mit diesem Vertrag, sind nicht die Probleme gelöst. Es ist ein schönes Weihnachtsgeschenk. Aber im nächsten Jahr und in den Jahren darauf hört die Arbeit nicht auf.

    Engels: Sie haben es angedeutet: Was bedeutet der START-Vertrag denn für die europäische Sicherheit?

    Hacke: Ja, das ist schwer. Das ist schwer zu sagen. Konkret hatten wir ja die Diskussion um die taktischen Nuklearwaffen, und wir haben ja hier auch bei der deutschen Forderung, die sehr massiv war vom Außenminister, sagen wir mal, eine gewisse Förderung von Spaltungstendenzen in der NATO. Die große Mehrheit wünscht natürlich eine Beibehaltung von taktischen Nuklearwaffen, vor allem, solange die Sowjets beziehungsweise die Russen noch sehr viel mehr haben. Aber hier, denke ich, wird umgedacht werden müssen, dass das im Paket gesehen wird, und hier wird auch der amerikanische Präsident gefordert werden, sowohl von den eigenen, also im eigenen Land von den Republikanern, als auch aufgrund der Inbalance bei den taktischen Nuklearwaffen, hier nachzuziehen. Das wird wohl unausweichlich sein. Und die Europäer sollten hier, denke ich, sehr verdeckt und vor allem in vertraulicher Atmosphäre die Dinge behandeln und nicht öffentlich vorpreschen. Das würde weder den Interessen der Europäer, noch denen der Amerikaner, noch der Atlantischen Allianz dienen, denke ich.

    Engels: Doch für die Atmosphäre zwischen USA und Russland ist das doch auch ein Symbol?

    Hacke: Ist auch ein Symbol, aber wie gesagt: zurzeit in der Sicherheitspolitik und in der Abrüstungspolitik ein großes gemeinsames Symbol dieser Vertrag, aber die konkreten Arbeiten und die konkreten Gegensätze – Stichwort Raketenabwehr, taktische Nuklearwaffen, Modernisierung von Nuklearwaffen –, die sind weiterhin auf dem Tisch und es wird jetzt enger werden, weil die Interpretationen des Vertrages nun das Entscheidende werden.

    Barenberg: Der Bonner Politikwissenschaftler Christian Hacke im Gespräch mit meiner Kollegin Silvia Engels.