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"Es ist eine Mäßigung dieser Rhetorik dort zu erwarten"

Der Schock sitzt tief in Amerika, sagt Politikwissenschaftler Andrew Denison. Die Trivialisierung der Waffengewalt und zu viel symbolische Wildwest-Elemente in der politischen Rhetorik seien nach dem Attentat auf die Abgeordnete Giffords ein großes Thema.

Andrew Denison im Gespräch mit Karin Fischer | 10.01.2011
    Karin Fischer: Amerika ist geschockt nach dem Attentat auf die demokratische Abgeordnete Gabrielle Giffords in Arizona. Über die Motive des Täters kann man heute nur spekulieren. Dass sie politisch waren, gilt aber als ausgemacht, und eine mögliche Ursache dieses Ausbruchs von Hass auf Andersdenkende soll das Klima in den USA sein, das durch irrationale politische Rhetorik regelrecht aufgeheizt wurde. - Andrew Denison ist Politikwissenschaftler und Gründer und Betreiber des Forschungsinstituts Transatlantic Networks. Ihn habe ich gefragt: Herr Denison, sehen Sie das auch so? Ist das politische Klima in den USA vergiftet?

    Andrew Denison: Ja, da ist eine Menge Gift drin in der politischen Diskussion der USA Anfang 2011 mit zehn Prozent Arbeitslosigkeit, mit sehr viel Frust, mit einem Demokraten an der Macht, ein Schwarzer noch dazu, vielleicht etwas radikal auch. Das heißt, für viele Republikaner, konservativ geneigte Leute, Leute, die dem Staat misstrauen, ist es Zeit, wo wir wirklich sagen können, dass sie ihre Stimme laut hören lassen und das im ganzen Land auch zu Verstimmungen führt. Aber eindeutig ist diese Intensität seit Langem nicht mehr der Fall, unter Clinton vielleicht, könnte man sagen, bei der Oklahoma-Bombe 1995. Das war was Ähnliches, aber die Zeit ist schon eindeutig.

    Fischer: Politiker und andere Amtsträger erhalten vermehrt Morddrohungen, und Sarah Palin hat eine Website unterhalten, auf der unter anderem Giffords Wahlbezirk im Fadenkreuz eines Zielfernrohrs gezeigt wurde. Palin wollte so zeigen, wen sie bei den Parlamentswahlen im Herbst gerne ausgestochen hätte, und inzwischen hat sie diese Seite auch wieder zurückgezogen. In einem Land, in dem Waffenbesitz zur Regel gehört, ist das vielleicht kein so guter Bildeinfall?

    Denison: Ich glaube leider, dass Sarah Palin mit diesem Bildeinfall, mit dieser Symbolik des Zielfernrohrs mehr gewonnen als verloren hat. Denn leider ist es so, dass unter den Republikanern mehr als unter den Demokraten es eine Zelebrierung der Waffenkultur gibt als Zeichen der Selbstverteidigung. Dass man fähig ist, einen zu starken Staat zurückzudrängen. Dass der große Staat, der jetzt auch so viel Geld ausgibt in einer Wirtschaftskrise, sich zurückhalten soll, sonst setzt sich die Bürgerwehr dagegen. Das ist ein gewisser Mythos. Aber als Metapher für politische Auseinandersetzungen, diese Wildwest-Metapher, kommt es gut an bei den Wählerschaften, die republikanisch wählen gehen, wenn sie motiviert sind.

    Fischer: Was macht denn die Amerikaner so wütend, die Wirtschaftskrise, die Politik Obamas, oder ist es auch eine solche konservative Rhetorik, die über die Strenge schlägt, wie sie beispielsweise von FOX-News jetzt schon seit sehr langer Zeit in übler Weise praktiziert wird?

    Denison: FOX-News spielt eine Rolle. Die Medien sind natürlich Sprachrohr und Verstärker. Viel intensiver, denke ich, ist aber die Möglichkeit, Gemeinschaften zu schließen über das Internet und da die Hetzpropaganda schneller herumzuschicken. Clinton hat gesagt, als letztes Jahr der Jahrestag von dieser furchtbaren Attacke in Oklahoma '95 war, es ist ähnlich wie damals die Stimmung, nur das Internet macht die alle viel mächtiger. Die rechte Seite benutzt diese Symbolik. Ich denke aber, gleichzeitig können wir sagen, es gibt viele Republikaner wie Demokraten, die jetzt schockiert doch mal draufschauen und sich fragen, wenn es nicht Hass war, war es nicht wenigstens eine Trivialisierung der Waffengewalt und zu viel symbolische Wildwest-Elemente in der Rhetorik. Der Schock sitzt tief in Amerika, kein Zweifel. Auf der anderen Seite: Wäre das ein illegaler Mexikaner gewesen, der geschossen hat, und hätte vielleicht auch ein Mitglied der Tea-Party getroffen oder so was, dann wäre die politische Deutung und Konsequenz natürlich eine andere. Aber in diesem Fall, denke ich, führt das Pendel zurück. Es ist eine Mäßigung dieser Rhetorik dort zu erwarten.

    Fischer: Der Politikwissenschaftler Andrew Denison zum Klima in Amerika nach und vor dem Attentat in Arizona.