Donnerstag, 28. März 2024

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"Es ist einfach lebensgefährlich, zurzeit in Teheran auf die Straße zu gehen"

"Ich nehme an, dass das Regime den Aufstand mit Brutalität niederschlagen wird", sagt der iranische Politikwissenschaftler Shahram Najafi, der aus Deutschland den Aufstand in seinem Heimatland beobachtet. Er verfolgt die Entwicklung im Internet - und fürchtet um die Gesundheit seiner Landsleute.

Shahram Najafi im Gespräch mit Friedbert Meurer | 23.06.2009
    Friedbert Meurer: Die Protest- und Oppositionsbewegung im Iran hat ein Gesicht bekommen, das einer jungen Frau mit dem Namen Neda. Ob sie wirklich so heißt, steht gar nicht einmal fest, aber ein kurzer Film geht um die Welt der zeigt, wie ein Mädchen in Jeans mit schwarzem Kopftuch und mit weißen Turnschuhen in der Innenstadt von Teheran plötzlich zu Boden fällt und blutet.

    O-Ton: YouTube: Ermordung der iranischen Studentin "Neda"

    Meurer: Das sind die Tonaufnahmen aus diesem Film. Einige Menschen versuchen, in der kurzen Sequenz der schwer Verletzten zu helfen. Kurz darauf stirbt das Mädchen. Das ist schockierend, das wühlt international auf wie kaum etwas aus den Demonstrationstagen vorher. Man weiß allerdings nicht, wer den Film gedreht hat. Journalisten können das Geschehen bislang nicht bestätigen. Wir wissen einfach nicht, was wirklich passiert ist. Shahram Najafi ist iranischer Politikwissenschaftler, zurzeit hier in Deutschland, wo er das Geschehen im Internet und ähnlichen Quallen verfolgt. Guten Morgen, Herr Najafi.

    Shahram Najafi: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Gibt oder gab es Neda wirklich?

    Najafi: Ja. Neda gab es wirklich. Das ist sehr gut dokumentiert inzwischen. Man hat Gespräche mit ihrem Verlobten inzwischen geführt und weiß, dass diese Aufnahmen von einem Freund, von einem Arzt geschehen sind. Der hat das selbst im Internet dokumentiert, dass sie zufällig in der Nähe waren, und er versuchte, Neda zu retten beziehungsweise die Blutungen zu stoppen, und das ist ihm nicht gelungen, während sein Freund die Aufnahmen, die wir im Internet gesehen haben, gemacht hat.

    Meurer: Woran ist Neda gestorben?

    Najafi: Sie ist durch eine Schusswunde in der Brust gestorben. Das hat gestern der Verlobte von Neda bestätigt. Sie war gar nicht auf den Demonstrationen laut seinen Angaben. Sie kommt zufälligerweise in die Demo rein, steigt aus dem Auto und wird dann von einem Scharfschützen in die Brust getroffen und stirbt kurz darauf direkt auf der Straße. Sie versuchen, die Leiche zurückzubekommen, was etwas schwierig ist, weil das Regime nicht zulassen wollte, dass es zu einer großen Trauerkundgebung kommt. Auch Trauerkundgebungen, die sie gestern abhalten wollten, werden verboten. Sie wird letztendlich sehr schnell auf einem Teil des Behescht Zahra begraben, wo offenbar einige andere Demonstrationsteilnehmer auch noch begraben worden sind.

    Meurer: Es gibt ja, Herr Najafi, diesen berühmten Film aus den Palästinensergebieten. Da wird ein palästinensischer Junge erschossen in den Armen seines Vaters. Jetzt gibt es mittlerweile Zweifel, ob das wirklich so passiert ist, oder ob das palästinensische Propaganda sei. Was kann uns hier so sicher machen, dass diese Informationen stimmen?

    Najafi: Das mit Neda könnte man wohl annehmen, weil das auch von offiziellen Seiten bestätigt ist, das Krankenhaus und so weiter. Es gibt allerdings in anderen Fällen Videos oder Aufnahmen, die wir nicht verifizieren können. In dem Fall von Neda könnte man das mit einer großen Wahrscheinlichkeit stehen lassen, dass es so geschehen ist, wie das gerade geschildert worden ist.

    Meurer: Wie wird im Internet und den Quellen, die Ihnen zugänglich sind, das Ausmaß der Repression der staatlichen Behörden oder der Paramilitärs im Iran geschildert?

    Najafi: Es ist gerade die Zeit der massiven Einschüchterung. Gerade das Internet, was für uns als erste Nachrichtenquelle in den letzten Tagen diente, ist mit massiven Repressionen belegt. Internet-Leitungen werden lahm gelegt, die Leute werden verfolgt. Gerade Twitter ist ein Dienst, der mit Kurznachrichten sehr schnell die Leute versucht zu informieren, und man versucht, Twitter-Mitglieder beziehungsweise Leute, die darüber ihre Nachrichten ins Netz stellen, mit ihren IPs zu verfolgen. Man schickt Leuten SMS oder Sprüche auf ihren Anrufbeantworter per Zufallsauswahl, wonach die Menschen auf ihrem Anrufbeantworter dann einen Spruch haben, sie wären bei den Demonstrationen beobachtet worden, dass es die letzte Warnung sei und das nächste Mal droht ihnen Verhaftung oder sonstiges. Oder es gibt SMS auf alle möglichen Handys, die einen ähnlichen Inhalt haben.

    Meurer: Wie sehr kann unter diesen Umständen Internet, Handy und so weiter noch als Informationsquelle funktionieren?

    Najafi: Sehr schwer. Die Nachrichten nehmen in den letzten Stunden und Tagen kontinuierlich ab. Es werden immer weniger Nachrichten verbreitet, obwohl immer noch genug Nachrichten übers Netz kommen. Aber ich hatte das Gefühl, dass das etwas abgenommen hatte. Es kann auch durchaus möglich sein, dass die Anzahl der Demonstranten gestern abgenommen hat und dadurch auch die Nachrichten, die darüber uns erreicht haben, abgenommen haben.

    Meurer: Herr Najafi, was glauben Sie, wie es in den nächsten Tagen und Wochen weitergeht im Iran?

    Najafi: Das ist wirklich ins Reich der Spekulationen zu verweisen. Man konnte in den letzten Tagen absolut keine Voraussagen machen, wie es weitergeht, und das wird auch demnächst unmöglich bleiben zu versuchen, etwa irgendwelche Spekulationen zu machen. Ich bin allerdings sehr pessimistisch, dass dieser Aufstand zu irgendeiner Art Erfolg führen wird. Ich nehme an, dass das Regime den Aufstand mit Brutalität niederschlagen wird. Das einzige was bleibt ist, dass ein Riss durch das System der islamischen Republik entstanden ist, und dieser Riss wird möglicherweise weiterhin bestehen bleiben, auch wenn sie die Demonstrationen niederschlagen.

    Meurer: Wir lesen ja, dass es in der Machtclique, in den verschiedenen Machtzentren im Staat Iran Risse gibt. Das stimmt Sie nicht optimistisch? Darin liegt keine Chance für die Reformbewegung?

    Najafi: Darin liegt natürlich eine Chance für die Reformbewegung, aber auf langjährige Sicht gesehen. Ich denke nicht, dass die Reformbewegung, auch wenn sie jetzt für Donnerstag zu Kundgebungen aufgerufen haben, auch wenn sie heute zum Generalstreik aufgerufen haben, sofort ersichtlichen Erfolg zeigt. Wenn die Massenproteste niedergeschlagen werden von der Polizei, dann wird dieser Riss möglicherweise langfristig eine Entwicklung mit sich bringen, wo sich das Regime nicht mehr an der Macht halten kann, aber kurzfristig möglicherweise nicht.

    Meurer: Den Pessimismus, den Sie anklingen lassen, Herr Najafi, finden Sie den auch wieder in den Äußerungen und Zitaten, die Sie vorfinden bei Twitter, Facebook oder anderen Internet-Plattformen?

    Najafi: Das kann ich nicht behaupten. Da ist man noch sehr optimistisch und ich wollte jetzt auch diesen Optimismus, den die Leute haben, nicht kaputt reden, aber ich glaube, dass da etwas Optimismus den Leuten nicht schadet, aber auch etwas mit offenen Augen die Sache zu beobachten ist. Die Chancen sind wirklich gering, dass die Leute wirklich mutig weitermachen. Die meisten Leute sind schon zu ihrer Arbeit zurückgekehrt, die meisten Leute sind durch die Repressionen und durch die Angstwelle, die Terrorwelle, die das Regime in die Städte gebracht hat, verängstigt und nach Hause gegangen, nicht mehr auf die Straße gegangen, die Angst um ihren Job, Angst um ihr Leben vor allem. Es ist einfach lebensgefährlich, zurzeit in Teheran auf die Straße zu gehen. Auch wenn man nicht direkt in einer Demonstration ist, auch wenn sich nur drei bis fünf Leute an einer Kreuzung unterhalten, werden sie niedergeschlagen, auch wenn das weit weg von Demonstrationen ist, und das schafft eine Situation der Angst und des Terrors, was die Menschen einfach davon abhält, weiterzumachen.

    Meurer: Der iranische Politikwissenschaftler Shahram Najafi beobachtet von Berlin aus das Geschehen im Iran. Danke und auf Wiederhören!

    Najafi: Danke! Auf Wiederhören.