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"Es ist gut, dass es nicht wieder ein Europäer ist"

Dass nicht alle Welt Wunder von einem neuen Papst erwartet, wünscht sich Wolfgang Thierse (SPD), Vizepräsident des Bundestages und Mitglied im Zentralrat der Katholiken ist. Eine so alte Institution wie die Kirche "lässt sich nur sehr langsam verändern", so Thierse.

Wolfgang Thierse im Gespräch mit Jasper Barenberg | 14.03.2013
    Jasper Barenberg: Am Telefon begrüße ich Wolfgang Thierse, Mitglied im Zentralrat der Deutschen Katholiken. Schönen guten Morgen!

    Wolfgang Thierse: Guten Morgen!

    Barenberg: Herr Thierse, für viele ist die Wahl von Jorge Mario Bergoglio ja mindestens eine Überraschung. Ist sie für Sie vielleicht sogar eine Sensation?

    Thierse: Also es ist eine wirkliche Überraschung und das freut mich schon, weil es eine Überraschung ist, angesichts der vielen Spekulationen und der Namen, die genannt worden sind. Man sieht, dass diese uralte Institution wirklich auch zu jähen Wendungen in der Lage ist.

    Barenberg: Sie haben sicherlich ja auch sich Vorstellungen gemacht, wer es werden könnte, was Sie für Erwartungen haben an den nächsten Papst, welche Figur, welche Statur er haben müsste. Wie schätzen Sie jetzt ein, wie die Wahl zu diesem Franziskus ausgegangen ist?

    Thierse: Es ist gut, dass es nicht wieder ein Europäer ist wie 2000 Jahre lang, sondern ein Südamerikaner. Dort auf diesem Kontinent leben die meisten Katholiken. Es ist erstaunlich und begründet Hoffnung, dass er sich Franziskus nennt. Das ist eine programmatische Namenswahl: ein Heiliger der Armut, ein Heiliger des Sozialen, ein Heiliger der Bewunderung und eines erstaunlichen Verhältnisses zur Natur. Es ist dann ein Bischof, der ein großes Bistum geleitet hat, der also etwas von Pastorale versteht, und nicht zuletzt – auch das ist ja immer wieder vermerkt worden, ich wusste das gar nicht – zum ersten Mal ein Jesuit. Also mindestens vier Überraschungskomponenten, die Erwartungen hervorrufen.

    Barenberg: Welche sind das bei Ihnen?

    Thierse: Ich wünsche mir schon – und vielleicht ist das mit dem Namen Franziskus auch schon signalisiert – einen Bischof, der sich kollegial verhält, der sich beraten lässt, einen Papst, der nicht das, was ja seinen ästhetischen Sinn hat, aber den Reichtum der römischen Zentrale vor allem repräsentiert, sondern der vielleicht für weniger Zentralismus einsteht und der den nationalen Bischofskonferenzen – er war schließlich lange Zeit Vorsitzender einer solchen – mehr Rechte gibt. Die verstehen mehr davon, was die Kirche vor Ort braucht, was die pastoralen Notwendigkeiten sind.

    Barenberg: Warum, Herr Thierse, ist das so wichtig, diesen römischen Zentralismus einzudämmen zugunsten auch mehr Selbständigkeit für die Ortskirchen?

    Thierse: Ich glaube, dass zum Begriff des Katholischen Vielfalt, Vielgestaltigkeit gehört. Man kann eine Kirche von 1,2 Milliarden Mitgliedern, die in so unterschiedlichsten Situationen lebt, nicht über einen Kamm scheren. Und es kommt ja auch hinzu, dass die Kurie – ich will mich ganz vornehm ausdrücken – in den letzten Jahren keine sonderlich glückliche Figur gegeben hat. Da sind so viele Kommunikationsfehler passiert. Man hat den Eindruck, dass man dort nicht sehr genau weiß, was anderswo wirklich los ist. Also das tut der Kirche schon Not und gut, dass sie sich auf diese eigene tatsächliche Vielgestaltigkeit auch ausdrücklich einlässt.

    Barenberg: Er kommt von außen, dieser neue Papst. Er kennt sich nicht besonders gut aus in der Kurie, darf man jedenfalls annehmen. Wie wichtig wird es also sein, um die Kirche besser zu managen, wie ich es mal ausdrücken will, dass er sich mit guten Beratern umgibt, um all das zu erreichen, was Sie eben formuliert haben: mehr Transparenz, mehr Kenntnis über die Dinge, die vorgehen in der katholischen Kirche?

    Thierse: Also das ist selbstverständlich notwendig. Seit dem zweiten Vatikanischen Konzil verstehen wir doch die Kirche als wanderndes Volk Gottes, nicht als einen hierarchischen Verein, ein wanderndes Volk, das unterschiedliche Aufgaben und Funktionen hat, Bischöfe, Laien, auch das Papstamt, aber doch nicht gegeneinander, doch nicht in der Weise, dass die Ortskirchen Angst vor der Zentrale haben müssten oder dürften. Das darf nicht sein, also ist es vernünftig, die Kurie zu reformieren. Da wird es, wie das bei jedem Papstwechsel ist, auch Personalwechsel geben müssen, das ist nicht sensationell. Ich füge aber sofort hinzu: Ich wünsche mir auch, dass nicht alle Welt nun wieder wahre Wunder von einem neuen Papst erwartet, wie ein Phönix aus der Asche, der alles schlagartig ändert. Eine solche alte Institution und so vielgestaltig und widersprüchlich, wie sie ist, sie lässt sich nur sehr langsam verändern und sie wird sich auch nur sehr langsam verändern.

    Barenberg: Zum Schluss noch mal nachgefragt, Herr Thierse. Aber die Wahl, die die Kardinäle getroffen haben, verstehen Sie schon als Signal, dass man sich dieser Angst, dieser Entfremdung im Kirchenvolk bewusst ist und ein anderes Erscheinungsbild nach außen und Veränderung gerne haben möchte?

    Thierse: Also das kann man so verstehen und der neue Papst hat das ja sofort bestätigt. Die Art und Weise, wie er zum ersten Mal öffentlich aufgetreten ist als Papst, ohne jede triumphale Geste, weiß gekleidet, er verbeugt sich fast vor den versammelten Gläubigen auf dem Petersplatz, er bittet sie um ihr Gebet und um ihren Segen, bevor er sie segnet. Also wenn man Gesten ernst nimmt – und das kann man ja gelegentlich und in der katholischen Kirche gibt es ein hohes Formbewusstsein auch für die Bedeutung von Gesten -, dann finde ich das sehr sympathisch.

    Barenberg: Wolfgang Thierse, der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, auch Mitglied im Zentralrat der Deutschen Katholiken. Herr Thierse, danke für das Gespräch heute Morgen.

    Thierse: Auf Wiederhören!

    Barenberg: Auf Wiederhören.

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