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"Es ist gut für Israel, wenn wir endlich einen Staat haben"

Israel schaffe "Fakten am Boden", deshalb könnten die Palästinenser nicht auf Friedensverhandlungen warten, sagt Sumaya Farhat-Naser, Friedens- pädagogin im Westjordanland. Es sei den Versuch wert, über einen Anerkennungsantrag bei den Vereinten Nationen Verbesserungen zu erreichen.

Sumaya Farhat-Naser im Gespräch mit Friedbert Meurer | 22.09.2011
    Friedbert Meurer: Diese Woche hat die Generaldebatte in der UNO-Vollversammlung begonnen, und diese Versammlung in New York wird in diesem Jahr dominiert von einem Thema: Die Palästinenser wollen die UNO-Vollmitgliedschaft und damit die staatliche Anerkennung. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas will morgen diesen Antrag einreichen, hat er jedenfalls angekündigt. Wenn es dazu kommt, will Israel mit Sanktionen reagieren und auch die USA sagen nein, es sei noch zu früh, und wollen, sollte es zu einem Ja in der Vollversammlung kommen, ihr Veto im Sicherheitsrat einlegen. Wir gehen nun ins Westjordanland, dort beobachten und erwarten viele Palästinenser gespannt, was denn diese Woche wohl in New York passieren wird. Auch Sumaya Farhat-Naser. Sie lebt in Birseit bei Ramallah, eine palästinensische Friedenspädagogin, und sie ist 2002 vom deutschen PEN-Zentrum mit der Hermann-Kesten-Medaille ausgezeichnet worden. Guten Morgen, Frau Farhat-Naser!

    Sumaya Farhat-Naser: Guten Morgen.

    Meurer: Finden Sie es gut, dass Präsident Mahmud Abbas morgen vor der UNO-Vollversammlung die UNO-Mitgliedschaft und staatliche Anerkennung Palästinas beantragen will?

    Farhat-Naser: Ja, ich finde es gut. Es ist höchste Zeit, dass etwas in Bewegung kommt. Und wir wissen, dass es sehr schwer sein wird. Dennoch: Es lohnt sich der Versuch. Denn damit ist verbunden nicht nur, dass wir unser Recht auf einen souveränen Staat fordern, sondern es ist ein Versuch, der UN als größte Staatengemeinschaft zu sagen, hier soll eine UN-Resolution vom Jahre '47 verwirklicht werden, hier soll als Hauptziel der Friedensprozess verwirklicht werden, denn seit 18 Jahren sagen wir, es sollen zwei Staaten für zwei Völker sein. Und vor allem dieser Schritt zeigt: Strategisch gehen die Palästinenser einen neuen Weg. Sie sind für Verhandlungen, sie sind für diplomatische Wege und sie sagen ganz klar, gegen Gewalt und gegen Krieg. Und auch wenn dieser Versuch nicht so ausgehen würde, wie man es sich hier hofft, sondern man hat es praktiziert, es ist ein Schritt, der dahin führen könnte, dass die Verhandlungen, die stattfinden werden, viel ernster genommen werden, und vor allen Dingen, dass Europa ...

    Meurer: Entschuldigung, Frau Farhat-Naser. Wir haben eben einen Ausschnitt kurz gehört aus der berühmten UNO-Vollversammlung von 1947, und damals haben die Araber und die Palästinenser nein gesagt. Und viele Kritiker sagen in Israel, die Palästinenser haben zu viele Chancen verpasst, um einen Staat zu bekommen. Was entgegnen Sie?

    Farhat-Naser: Niemals ist es zu spät für den Frieden. Jetzt ist die Zeit reif, dass wir sagen: ja. Und das sagen die Palästinenser seit über 20 Jahren. Und deshalb muss man hinschauen. Es ist gut für Israel, wenn wir endlich einen Staat haben und wir können in Frieden leben. Stellen Sie sich vor, es würde Israel sein, der erste Staat, der Palästina anerkennen würde, was das bedeutet für die Stabilität, für den Frieden, für die Versöhnung. Und deshalb: Man darf nicht immer zurückgehen auf die Geschichte und sagen, ihr habt das nicht gemacht und so weiter. Man kann dasselbe über Israel sagen. Schluss mit Anschuldigungen, sondern zu sagen, von heute an wollen wir zwei Staaten für zwei Völker, die auf gleicher Augenhöhe sich empfinden, miteinander reden. Die Verhandlungen bis jetzt sind gescheitert, weil man uns allein gelassen hat, Israel mit so viel Macht, politisch, militärisch, wirtschaftlich, medienmäßig und moralisch, gegenüber den Palästinensern, die unter Besatzung sind und alles total abhängig.

    Meurer: Da die Kanzlerin nein sagt, fühlen Sie sich auch von Deutschland allein gelassen?

    Farhat-Naser: Natürlich! Deutschland hilft in der wirtschaftlichen Entwicklung, das ist großartig, wir schätzen das sehr, aber wir brauchen politische Unterstützung, damit der Konflikt politisch beendet wird und Versöhnung beginnt, und nicht zu sagen, wir geben euch, damit ihr nur am Leben bleibt. Es muss ein würdiges Leben sein, es muss ein freiheitliches Leben sein, es muss ein Leben ohne Krieg und ohne Feindseligkeit sein, und hier brauchen wir die Hilfe der anderen.

    Meurer: Was wird besser, wenn Mahmud Abbas morgen den Antrag stellt, für die Lebensbedingungen der Palästinenser? Es drohen Sanktionen von Israel und selbst der Geldhahn aus den USA könnte zugedreht werden.

    Farhat-Naser: Ich glaube nicht. Das sind Drohungen und das ist eine Schande, dass man einem Volk droht, und das zeigt, wo ist die Macht, in welchen Händen. Selbst wenn sie das täten, als erstes ist es eine Schädigung für Israel. Israel hat die Verantwortung für alle Menschen in den besetzten Gebieten. Und nicht nur das, sondern moralisch kann es weder Israel, noch Amerika, noch Europa verantworten, und das wäre nur für eine kurze Zeit. Das werden wir überleben und nachher muss der Weg in Richtung Besserung, in Richtung Menschlichkeit weitergehen.

    Meurer: Wären Sie, Frau Farhat-Naser, notfalls damit zufrieden, wenn die Palästinenser den sogenannten Vatikanstatus in der UNO erhalten würden, also damit indirekt als Staat anerkannt werden, aber kein UNO-Mitglied sind?

    Farhat-Naser: Ja! Das wäre zum Beispiel der Kompromiss, der von Frankreich jetzt kommt. Es ist ein Versuch, einfach diese Verhärtung weich zu machen, und ich glaube, selbst wenn Mahmud Abbas morgen den Antrag stellt, es wird nicht morgen oder jetzt abgestimmt, sondern ich glaube schon, dass es ein paar Wochen verschoben wird. Aber zumindest bleibt die Sache auf der Agenda, und das ist schon für sich gut und natürlich ist es ein Schritt, wenn wir einen Beobachterstatus haben in der UN. Von hieraus können wir weiter aufbauen.

    Meurer: Die Hamas im Gazastreifen lehnt diese ganze Geschichte in der UNO ab. Warum eigentlich?

    Farhat-Naser: In erster Linie, weil man fanatisch ist für parteipolitische persönliche Angelegenheiten. Sie wollen sie sein, die an der Politik in Zukunft mitarbeiten. Aber sie sind beleidigt zum Beispiel in erster Linie, weil Mahmud Abbas sie nicht in die Diskussion involviert hat, und das ist klar, weil man ganz schwere Auseinandersetzungen hat und so weiter. Aber letztendlich auch im Gazastreifen, die Menschen sowieso, aber auch die Regierung im Gazastreifen ist für die Zwei-Staaten-Lösung, und da können sie nicht nein sagen. Es ist nur parteipolitischer Fanatismus für die eigene Partei.

    Meurer: Geht es der Hamas auch darum, dass sie nicht indirekt Israel anerkennen wollen?

    Farhat-Naser: Ja, das ist auch ein … es ist ein Prozess. Sie sind noch nicht so weit. Sie sagen, es muss Gegenseitigkeit sein und so weiter. Aber sie würden nicht dagegen etwas tun, und das ist schon eine kleine Neutralisierung der Situation.

    Meurer: Noch mal ganz kurz zur Position der deutschen Bundesregierung. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gesagt, keine einseitigen Schritte, also erst Friedensvertrag mit Israel, dann staatliche Anerkennung. Guido Westerwelle, der Außenminister, vertritt dieselbe Position, ist im Moment in New York. Ganz kurz: Was würden Sie den beiden sagen, wenn Sie ihnen gegenüberständen?

    Farhat-Naser: Ich weiß, die Bundesrepublik hat eine Politik, die ich nicht mit freiheitlicher Entscheidung bedeute, sondern sie sind gezwungen, das zu tun, was Israel wünscht, und zwar aufgrund der Geschichte und so weiter. Einseitigkeit? Wie oft hat Israel einseitige Schritte gemacht. Da sagt niemand was. Zweite Sache: Wenn ein Partner in dem Konflikt nicht weiterkommt, dann müssen die anderen Staaten dazu beitragen, dass es gemacht wird. Und natürlich müssen alle beiden Partner einverstanden sein und so weiter. Aber wenn es nicht geht, dann muss man einen anderen Weg gehen, und deshalb nicht warten, bis die Verhandlungen stattfinden, denn Israel schafft Fakten am Boden, damit die Gründung eines Palästinastaates unmöglich gemacht wird, und alle schauen zu. Das ist der Grund. Deshalb ich wünschte, dass in Deutschland die Regierung für Menschenrechte, für Menschenwürde, für Freiheit, für Demokratie, auch für die Palästinenser eintritt, für Sicherheit in Israel, aber auch die Sicherheit der Palästinenser, sich für ihre Zukunft einsetzt und klare Worte sagt.

    Meurer: Sumaya Farhat-Naser, palästinensische Friedenspädagogin in Birseit im Westjordanland. Schönen Dank und auf Wiederhören.

    Farhat-Naser: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.