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"Es ist ihr verfassungsmäßiges Recht, friedlich zu protestieren"

Die Anhänger des ehemaligen Präsidenten Mursi dürften protestieren, solange sie nicht zur Gewalt greifen, sagt Mohamed Higazy, ägyptischer Botschafter in Berlin. Er betont, es habe keinen Putsch gegeben. "Das Militär hat sich als Hüterin der Revolution bewiesen."

Mohamed Higazy im Gespräch mit Jasper Barenberg | 14.08.2013
    Christine Heuer: Auch sechs Wochen nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten ist die Lage explosiv. Heute Nacht gab es wieder Straßenschlachten in Kairo zwischen Gegnern und Anhängern Mursis, ein Mensch kam dabei zu Tode. Die Protest-Camps der Islamisten sind aber trotz mehrfacher Ankündigung noch nicht geräumt worden. Warum nicht? Warum zögert die ägyptische Regierung? Das hat mein Kollege Jasper Barenberg gestern Abend den ägyptischen Botschafter in Deutschland, Mohamed Higazy, gefragt.

    Mohamed Higazy: Das Recht, friedlich zu protestieren, wird allen Bürgern gesichert, solange sie nicht zur Gewalt greifen. Die Regierung legt größten Wert darauf, mit allen Mitteln dieses Recht auf friedlichen Protest zu schützen, außer für jene, die zur Gewalt schreiten. Kommt es zu Gewalt, dann wird natürlich im Rahmen der bestehenden Gesetze durch die Regierung die Situation bewältigt.

    Jasper Barenberg: Das heißt, die Regierung könnte am Ende auch ganz darauf verzichten, die Camps zu räumen?

    Higazy: Vorrang hat für die Regierung stets die Sicherheit aller Bürger. Deshalb sind alle Parteien zu einem umfassenden Prozess eingeladen, der alle politischen Kräfte einbeziehen soll, der auch am 3. Juli in der Erklärung dargelegt worden ist, nach diesen massiven Protesten, die am 30. Juni begannen, wo 33 Millionen Ägypter teilgenommen haben, die sich für ein demokratisches Ägypten ausgesprochen haben.

    Barenberg: Das Innenministerium schätzt ja offenbar, dass bei einer gewaltsamen Räumung drei- bis fünftausend Demonstranten getötet werden könnten. Welche Rolle spielt das in den Überlegungen der Regierung?

    Higazy: Diese Zahl ist zu hoch gegriffen. Die ägyptische Regierung ist sehr darauf bedacht, Frieden und Ordnung im Land aufrechtzuerhalten. Die Regierung hat ja deswegen die Oppositionsparteien und darunter auch die Muslimbruderschaft eingeladen, an einem all umfassenden Verständigungsprozess teilzunehmen, wie er in unserem Fahrplan niedergelegt ist. Wir sind jetzt in der ersten Phase dieser Road Map. Ein ziviler Präsident wurde eingesetzt, ein Richter am Obersten Gerichtshof. In der zweiten Phase wird die Macht auf eine Zivilregierung übergehen. In der dritten Phase wird ein Rat an erfahrenen Verfassungsrichtern bestimmte Änderungen an der Verfassung vorschlagen. In der vierten Phase wird ein Ausschuss aus 50 hochrangigen Vertretern wichtiger gesellschaftlicher Gruppen diesen Entwurf beraten, der dann anschließend in einer Volksabstimmung vorgelegt wird. Darauf soll dann eine Parlamentswahl und schließlich eine Präsidentenwahl folgen. Der gesamte Prozess soll sechs bis neun Monate dauern. Alle Parteien sind aufgefordert, sich an diesem Prozess zu beteiligen.

    Barenberg: Sie wissen, dass die Muslimbrüder nicht einverstanden sind mit diesem Plan. Sie sagen, dass die Streitkräfte am 3. Juli eine demokratisch gewählte Regierung gestürzt haben.

    Higazy: Sie gestatten, dass ich Sie korrigiere. Hier hat keine Machtübernahme stattgefunden. Nein: 33 Millionen Ägypter haben ihrem Willen Ausdruck verliehen, in der zweiten Welle dieser Revolution, die am 25. Januar 2011 ausgebrochen war. Sie haben für die nämlichen Ziele dieser Revolution sich starkgemacht, nämlich Würde, Demokratie und soziale Gerechtigkeit durchzusetzen.

    Barenberg: Es war doch Armeechef General al-Sisi, der die Verfassung aufgehoben hat und eine neue Regierung eingesetzt hat.

    Higazy: Nun, zwar hat General al-Sisi diese Erklärung vorgetragen, aber sie drückte den gemeinschaftlichen Willen aller Parteien aus, die sich zu diesem geschriebenen Dokument zusammengefunden haben und die während der Erklärung auch vorgestellt wurden. Zwei namhafte Vertreter der Al-Azhar-Universität waren ebenfalls zugegen. Die orthodoxe Kirche Ägyptens hat Zustimmung signalisiert. Mohammed el-Baradei, ein weltweit anerkannter ägyptischer Politiker, war ebenfalls mit von der Partie. Alle diese genannten Persönlichkeiten haben ihre Zustimmung zu dieser Erklärung gegeben.

    Barenberg: Wie definieren Sie also einen Militärputsch?

    Higazy: Man darf es nicht einen Putsch nennen, wenn 33 Millionen Bürger ihrem Verlangen Ausdruck verleihen und auf die Straßen gehen. Die Militärführung hat die Macht an einen zivilen Richter übergeben, und zwar kurz danach. Eine Zivilregierung ist eingesetzt worden. Es werden jetzt gewisse Änderungen an der Verfassung ausgearbeitet. All das wird dann in Wahlen zur Abstimmung gestellt werden, die zum Parlament und zu einem neuen Präsidenten führen werden. Das alles soll sechs bis neun Monate dauern - keineswegs ein Putsch.

    Barenberg: Was Sie also sagen ist: Wenn die Anhänger von Mursi friedlich bleiben und friedlich demonstrieren, können sie ihre Proteste fortsetzen?

    Higazy: Nun, es ist ihr verfassungsmäßiges Recht, friedlich zu protestieren. Solange sie keinen Schaden und keine Gewalt ausüben, können sie friedlich protestieren. Sollten sie zur Gewalt greifen, so muss im Rahmen der Gesetzgebung dagegen dann vorgegangen werden.

    Barenberg: Lassen Sie uns noch einmal über die Streitkräfte sprechen. Die Streitkräfte haben in der Vergangenheit eine wichtige Rolle in der Politik Ihres Landes gespielt. Jetzt scheint es, als seien sie zurück an der Macht. Welche Rolle wird das Militär in Zukunft spielen?

    Higazy: Ich darf Sie auch hier korrigieren. Das Militär hat sich als Hüterin der Revolution bewiesen, die am 25. Januar 2011 ausbrach. Das Volk setzt sein Vertrauen deshalb in diese nationale Armee, die wirklich als Wahrerin der Interessen des Landes gesehen wird. Das Militär hat gewissermaßen die Führung nach diesen anderthalb Jahren, seitdem die Revolution ausgebrochen war, wieder in die Hände des Volkes zurückgegeben. Es wurde an einen gewählten Präsidenten die Macht gegeben und das Militär wurde nur tätig, um einen gewaltsamen Zusammenprall zwischen den Ägyptern zu verhindern. Was wir hier gesehen haben ist, wie das Militär den Willen des Volkes, der sich am 25. Januar 2011 manifestierte, wieder ins Recht gesetzt hat. Es ist im Grunde der Volkswille, der darauf besteht und der hier jetzt alles daran setzt, um eine moderne demokratische Gesellschaft in Ägypten durchzusetzen, in der kein Platz für Diktatoren oder für religiös begründete Autokratie vorhanden ist.

    Heuer: Der ägyptische Botschafter in Deutschland, Mohamed Higazy, im Interview mit meinem Kollegen Jasper Barenberg.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.