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"Es ist kein Zufall, dass das in Algerien passiert"

Der algerische Geheimdienst habe nach dem Bürgerkrieg gezielt islamistische Banden aufgebaut, um die Bevölkerung zu terrorisieren, sagt der Politikwissenschaftler Werner Ruf. Dass mit den Geiselnehmern in der Sahara nun ein Ausleger dieser aktiv wurde, sei kein Zufall.

Werner Ruf im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 18.01.2013
    Jasper Barenberg: Verhandlungen hat die Regierung von Algerien von Anfang an strikt abgelehnt mit den islamistischen Terroristen, die vor zwei Tagen ein Gasfeld im Osten des Landes angegriffen und dabei auch Dutzende Ausländer in ihre Gewalt gebracht haben, als Reaktion auf die Militäroperation französischer Soldaten im Nachbarstaat Mali. Stattdessen hat Algier jetzt Bodentruppen und Kampfhubschrauber in Marsch gesetzt. Doch bei dem Versuch, die Geiseln zu befreien, sind offenbar viele Menschen ums Leben gekommen. Wie viele genau, das ist weiterhin unklar, wie überhaupt gilt: verlässliche Informationen sind weiter Mangelware.
    Über die Militäroperation der algerischen Streitkräfte hat mein Kollege Tobias Armbrüster mit dem Politikwissenschaftler Werner Ruf gesprochen und den langjährigen Kenner der Region gefragt, ob die Geiselnahme ein Warnsignal dafür ist, dass der Funke aus Mali auf andere Länder in der Region überzuspringen droht.

    Werner Ruf: Ich würde mal so sagen: Es soll das Warnsignal sein und es ist kein Zufall, dass das in Algerien passiert, denn die Gruppe, die das gemacht hat, ist eine sehr dubiose Geschichte. Das sind die Nachfolger der ehemaligen GSPC, der Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat, die sich inzwischen in El Kaida des islamischen Maghreb umbenannt haben und die immer an der langen Leine des algerischen Geheimdienstes geführt worden sind. Und der Mensch, der dieses Unternehmen gestartet hat, Mokhtar Belmokhtar, ist ein alter Agent des Geheimdienstes.

    Tobias Armbrüster: Sie meinen, es gibt nach wie vor Verbindungen zwischen dieser Terroristengruppe und dem algerischen Geheimdienst?

    Ruf: Dessen bin ich ganz sicher, und es gab in Algerien eine lange Auseinandersetzung. Bis unmittelbar vor Gewährung der Überflugrechte hatte Algerien sich gegen jede Militärintervention gewendet. Das heißt, starke Kräfte innerhalb dieses Staatsapparates waren dagegen, und die stärksten Kräfte sind nun mal der Sicherheitsdienst. Und dann hat wohl Bouteflika aufgrund einer Geste gegenüber Frankreich entschieden, dass diese Überflugrechte gewährt werden, und von daher ist es eigentlich kein Zufall, dass postwendend in Algerien was passieren musste.

    Armbrüster: Wie stark sind denn die Islamisten in Algerien?

    Ruf: Die Islamisten ist ein großes Spektrum und ich meine, das was wir heute sehen, dieser Terror im gesamten Sahelraum, ist auch die Folge des algerischen Bürgerkrieges und der dortigen Auseinandersetzungen, wo damals – das klingt jetzt sehr verschwörungstheoretisch; ich weiß aber, man könnte das in vielen Einzelheiten nachweisen – der algerische militärische Sicherheitsdienst islamistische Banden aufgebaut hat, um die Bevölkerung zu terrorisieren, um die politischen Islamisten zu diskreditieren. Und das ist einer der Ausläufer und der Ausleger davon, die jetzt da in Algerien aktiv geworden sind.

    Armbrüster: Wie groß ist denn der Rückhalt, sage ich mal, bei der normalen Bevölkerung?

    Ruf: Null! - Null! – Absolut null! – Aber es reicht eben, dass diese Gruppen da sind, und man darf nicht vergessen, dass diese Gruppen seit über zehn Jahren den gesamten saharischen Raum kontrollieren, dass sie leben wie die Made im Speck. Die größte Drogenhandelsroute aus Kolumbien geht über Westafrika und die Sahara nach Europa. Sie nehmen permanent Geiseln. Sie haben derzeit etwa 65 entführte Menschen in ihrer Hand, wo sie Lösegelder erpressen. Das satteste Lösegeld haben sie erpresst, als sie 2003 die deutschen, österreichischen und Schweizer Touristen entführt haben. Also das ist alles eine gute Einnahmequelle, und dazu kommen die Einnahmen über das Schleusen von schwarzafrikanischen Migranten ans Mittelmeer. Auch die werden dort zur Kasse gebeten.

    Armbrüster: Welche Rolle spielen denn dann für diese Terroristen tatsächlich politische oder religiöse Motive?

    Ruf: Ich denke, dass viele der Leute, die da mitmachen, der Anhänger, tatsächlich sich von einem wahabitischen Salafismus haben anstecken und überzeugen lassen. Die Terroristen, wie wir sie nennen, bieten ihnen eine soziale und ökonomische Perspektive in diesem Elendsgebiet, das der Sahel darstellt. Und das sind dann schon überzeugte Täter, die dann tatsächlich in Mali oder sonst wo die Sharia einführen, Hände abhacken, die Mausoleen von islamischen Heiligen zerstören und so weiter und so weiter.

    Armbrüster: Wenn Sie jetzt schon Mali ins Spiel bringen, welche Verbindungen gibt es denn zwischen den Islamisten in Algerien und denen in Mali?

    Ruf: Das ist eine sehr kuriose Geschichte, denn Mali wie auch Niger und Burkina Faso sind Länder, in denen eigentlich Tuareg in diesen Gebieten leben, und die Tuareg haben mit den Arabern, die aus dem Norden kommen, nichts zu tun. Aber durch das Zusammenbrechen oder das Zerstören des libyschen Staates sind viele Tuareg-Stämme, die damals für Gaddafi gekämpft haben, nun, weil sie heimatlos geworden sind, zurückgekommen und haben versucht, ein eigenes Staatswesen zu gründen, den Staat Azawad ausgerufen, also einen Tuareg-Staat, und das beschränkt sich natürlich nicht auf Mali, sondern es greift über vor allen Dingen nach Niger. Niger ist der drittgrößte Uran-Produzent, in Niger gehört das Land quasi der französischen Atomfirma Areva, die der größte Atomanlagenproduzent in der Welt ist, und da kommen massive Interessen ins Spiel. Also das, was Frankreich in Mali macht, ist im Grunde genommen eine Prävention, um Niger für französische Interessen zu sichern.

    Armbrüster: Aber das heißt, Sie wären nicht überrascht, wenn wir sozusagen ähnliche Dramen in den kommenden Tagen oder Wochen auch in anderen Staaten der Region erleben werden?

    Ruf: ... auch in anderen Staaten der Region erleben werden, und ich wäre nicht überrascht, wenn terroristische Akte auch auf Europa übergreifen, denn es gibt eine ungeheuere Migrationsdichte aus diesem Raum vor allem in Frankreich, aber auch im restlichen Europa, und die Büchse der Pandora, die da aufgemacht worden ist, die wird schwer wieder zuzumachen sein.

    Barenberg: Der Politikwissenschaftler Werner Ruf im Gespräch mit meinem Kollegen Tobias Armbrüster.

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