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"Es ist kurz vor zwölf in Frankreich"

Frankreich verliert sein Spitzenrating bei Moody's - zurecht findet Volkswirt Clemens Fuest. Das Land sei nicht wettbewerbsfähig und anstatt Staatsausgaben zu kürzen, würden massiv Steuern erhöht. Noch bleibe Zeit zum Umsteuern, bevor die Kapitalmärkte weiter Vertrauen verlören.

Moderation: Silvia Engels | 20.11.2012
    Silvia Engels: Heute beraten in Brüssel die Euro-Finanzminister in einer Sondersitzung über die Griechenland-Hilfe. Seitdem vergangene Woche auch von der Troika, bestehend aus IWF, EU-Kommission und Weltbank, bestätigt wurde, dass Griechenland wohl mehr Zeit braucht, um die Rückzahlungsverpflichtungen einzuhalten, ist klar, dass alles für die Gläubiger nun wirklich teurer werden wird. Zugeschaltet ist uns Professor Clemens Fuest, er lehrt an der Universität Oxford und der Volkswirt ist zugleich auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium. Guten Morgen, Herr Professor Fuest!

    Clemens Fuest: Schönen guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Ist mittlerweile ein Verzicht der öffentlichen Geldgeber auf Teile der Kredite, die nach Griechenland schon geflossen sind, unvermeidlich?

    Fuest: Ja wenn man sich die Fakten anschaut, also die schwache Wirtschaftsentwicklung in Griechenland und den Schuldenstand, der sich ja Richtung 190 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Griechenland bewegt, dann ist völlig klar: Das Land kann seine Schulden nicht zurückzahlen. Und jetzt ist die Frage, was tut man. Man kann natürlich versuchen, durch ein paar Buchungstricks die Sache noch mal hinauszuschieben. Man kann auch sagen, wir verlängern einfach die Kredite und setzen die Zinsen sehr, sehr niedrig. Auch dann kann man noch mal einen Schuldenerlass hinauszögern. Aber letztlich ist klar, das Land zahlt seine Schulden nicht zurück, und ich denke, dann sollte man auch so ehrlich sein und sagen, man muss jetzt einen Teil erlassen.

    Engels: Das heißt, um es zusammenzufassen: Ob man nun per Schuldenschnitt tatsächlich die Gläubigerforderungen aus den Büchern streicht, oder ob man Zinsen reduziert, das ist egal. De facto wird jetzt auch für den deutschen Steuerzahler das erste Mal richtig Geld weg- und ausgefallen sein?

    Fuest: Ja, so ist das.

    Engels: Dem Vernehmen nach setzt aber die deutsche Seite nach wie vor darauf, dass Griechenland beispielsweise neues Geld zur Verfügung bekommen soll, damit Athen eigene Staatsanleihen, die schon gehandelt werden, billiger zurückkaufen kann und so die Staatsschuld reduziert. Macht das die Belastung kleiner für die Gläubiger?

    Fuest: Nein, das macht die Belastung nicht kleiner. Das ist eben einer dieser Buchungstricks. Die Europäische Zentralbank hat eben bestimmte Anleihen gekauft und hat jetzt eigentlich das Recht, von Griechenland dafür das Geld zurückzubekommen, und jetzt sagt man, na ja, dann verkauft man den Griechen einfach diese Anleihen zu einem niedrigeren Kurs. Wirtschaftlich ist das genau das Gleiche wie ein Schuldenerlass, das macht keinen Unterschied.

    Engels: Ist das jetzt eine unvermeidliche Situation, in die man nach und nach hineingerutscht ist, oder hat man an irgendeiner Stelle umsteuern können?

    Fuest: Ja vorher umzusteuern, war sehr, sehr schwierig. Man hätte natürlich vorher die Kredite stoppen können, dann wäre allerdings das Land aus der Eurozone ausgeschieden, und niemand weiß, was dann passiert wäre. Es könnte sein, dass dann eine noch viel schwerere Wirtschaftskrise eingetreten wäre, als sie jetzt schon eingetreten ist. Das heißt, man kann nicht sagen, das wäre jetzt Konkursverschleppung. Das wird ja häufig behauptet. Bei einem Land ist das eben nicht so einfach wie bei einem privaten Schuldner. Es war einfach so, dass das Land schon 2010 im Grunde in einer aussichtslosen Situation war, und man hat jetzt versucht, die Situation zu beherrschen. Man hat versucht zu verhindern, dass negative Auswirkungen auf den Rest der Eurozone kommen. Es war aber schon 2010 klar, dass das Geld, das man nach Griechenland schickt, wohl nur noch teilweise zurückkommt, wenn überhaupt.

    Engels: Es ist ja schon bemerkenswert, dass noch im Sommer sowohl Politik als auch viele Experten argumentiert haben, ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone sei wirtschaftlich verschmerzbar. Warum ist man davon offenbar wieder abgerückt?

    Fuest: Ja ob der so verschmerzbar ist, das ist eben nicht so klar. Einmal gibt es die wirtschaftliche Frage, würden dann vielleicht die Kapitalmärkte auch bei Portugal denken, dass das Land austritt, oder bei Spanien etwa und diesem Land das Vertrauen auch entziehen. Man weiß es nicht so genau. Es ist nicht klar, dass das passiert, aber auf jeden Fall würde man ein großes Risiko eingehen. Und dann gibt es die politische Seite: Was wäre das für ein politisches Signal, wenn Griechenland austritt. Da gibt es auch eine hohe Rechtsunsicherheit und das hat man vermeiden wollen und stattdessen das Land in der Eurozone gelassen. Ich glaube, so den objektiv richtigen Weg gibt es da nicht. Die Politik hat sich eben so entschieden. Man muss sehen: Wenn das Land ausgeschieden wäre, hätte es eben auch seine Schulden nicht zurückzahlen können. Es ist also nicht so, dass man die Verluste vermeiden kann, wenn man sagt, Griechenland soll austreten. Die Verluste gäbe es dann auch.

    Engels: Nun entscheidet ja die EU nicht allein über den Kurs gegenüber Griechenland. Der IWF verantwortet ja derzeit gemeinsam die Hilfsprogramme für Griechenland mit und der IWF drängt die EU zu einem klaren Schuldenschnitt, die EU vermeidet das. Rechnen Sie, dass in der Folge der Internationale Währungsfonds aus dem gemeinsamen Hilfsprogramm aussteigt?

    Fuest: Ich glaube nicht, dass er aussteigt. Man versucht, sie dabei zu halten. Der IWF stellt ja sehr viel Expertise bereit. Der IWF unterliegt auch nicht den politischen Zwängen und dem politischen Druck, dem die nationalen Regierungen in Europa unterliegen. Deshalb ist es gut, wenn man ihn dabei hat. Ich denke, man wird ihn auch im Boot halten. Man wird da irgendeinen Kompromiss finden. Im Grunde hat der IWF Recht darauf zu bestehen, dass man einen Schuldenschnitt macht. Der IWF sagt, das Land muss auch eine vernünftige wirtschaftliche Perspektive haben. Aber ich denke, am Ende gibt es einen Kompromiss und der IWF bleibt dabei.

    Engels: Immer mehr frisches Geld muss in irgendeiner Form nach Griechenland beziehungsweise auf alte Forderungen muss verzichtet werden. Wenn man diesen Ausgangspunkt einmal nimmt, gilt ja immer noch das Argument, dass auch die Gläubiger auf der anderen Seite immer mehr Lasten tragen müssen. Muss man in diesem Zusammenhang auch die Herabstufung der Kreditwürdigkeit Frankreichs durch die Ratingagentur Moody's, die wir heute früh vermeldet haben, sehen?

    Fuest: Aus meiner Sicht ist Südeuropa nicht das Hauptproblem bei Frankreich. Natürlich muss Frankreich Lasten mittragen. Das Hauptproblem ist aber die Politik in Frankreich selbst. Man hat sich entschieden, in Frankreich in der aktuellen Lage massiv Steuern zu erhöhen, statt Staatsausgaben zu kürzen. Das Land hat eine sehr hohe Staatsquote, eine hohe Staatsverschuldung. Das Land ist nicht wettbewerbsfähig. Das heißt, diese Herabstufung ist in erster Linie verursacht durch eine völlig falsche Wirtschaftspolitik in Frankreich und nicht durch Südeuropa. Das kommt natürlich hinzu. Aber weil wir eben die Probleme in Südeuropa haben, müsste eigentlich Frankreich besonders darauf achten, eine vernünftige, eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik zu machen. Die Regierung konzentriert sich da aber auf Umverteilungsziele und hat der Bevölkerung erzählt, dass man die hohen Staatsausgaben, die man heute hat, einfach weiterführen kann. Das ist alles realitätsfremd und dafür gibt es jetzt die Quittung.

    Engels: Rechnen Sie denn damit, dass Frankreich, wenn es will, noch umsteuern kann, oder setzt sich da ein Automatismus durch die Spekulation der Finanzmärkte in Gang?

    Fuest: Ich glaube, dass die Lage viel gefährlicher ist als viele glauben. Trotzdem kann das Land noch umsteuern. Im Moment sind ja die Kapitalmärkte ruhig. Die Zinsen, die Frankreich zahlen muss, sind niedrig. Es ist drei Minuten vor zwölf in Frankreich, wenn das Problem ist, dass man eben jetzt die Bedrohung noch nicht so spürt. Jetzt hat eine Ratingagentur mal eine Note gesenkt. Mein Gott, wird man sich in Frankreich sagen, ist nicht so schlimm. Ratingagenturen mag man da sowieso nicht. Die Schwierigkeit ist: Wenn die Kapitalmärkte mal das Vertrauen verlieren, dann sind sehr drastische Maßnahmen notwendig, um das wieder herzustellen. Das heißt, es ist kurz vor zwölf in Frankreich. Noch ist Zeit umzusteuern, aber sehr viel Zeit bleibt nicht mehr.

    Engels: Was würde eine weitere Herabstufung Frankreichs fürs Gesamtgefüge in der Euro-Schuldenkrise bedeuten?

    Fuest: Das würde bedeuten, dass die Krise sich verschärft. Frankreich ist ja eigentlich einer der Gläubigerstaaten. Das heißt, das Vertrauen auch in Spanien und Italien würde erschüttert, wenn Frankreich weiter herabgestuft wird, weil ja die Kapitalmärkte damit rechnen, dass Frankreich, unter anderem Frankreich, diese Länder stützt. Also die gesamte Krise in der Eurozone würde sich verschärfen und sehr schnell würde auch Deutschland in Schwierigkeiten geraten, denn Deutschland müsste Frankreich stützen, wenn es da Probleme gibt.

    Engels: Professor Clemens Fuest von der Universität Oxford, der Volkswirt ist auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.

    Fuest: Danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Der Ökonom Clemens Fuest ist Professor für Unternehmensbesteuerung an der Universität Oxford
    Der Ökonom Clemens Fuest ist Professor für Unternehmensbesteuerung an der Universität Oxford (picture alliance / dpa / ZEW)