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"Es ist so unsinnig, diese Aktion"

Der Direktor des Generalsekretärs von Amnesty International, Steve Crawshaw, verurteilt den Zugriff von britischen Behörden auf die Zeitung "Guardian" scharf. Die Löschung der Festplatten mit NSA-Informationen sei unsinnig gewesen, weil diese immer noch existierten.

Steve Crawshaw im Gespräch mit Peter Kapern | 21.08.2013
    Peter Kapern: Irgendwie könnte die Szene auch aus einem Monty-Python-Film stammen: Da tauchen ein paar Schlapphüte in einer Zeitungsredaktion auf und zwingen den Chefredakteur, Festplatten zu zerstören, auf denen brisantes Material gespeichert ist. Die Superspione hatten sich offenbar nicht eine Sekunde mit der Frage beschäftigt, ob wohl noch Kopien des brisanten Inhalts existieren könnten. Der übergriffige und skurrile Auftritt der Geheimdienstler hat bei der britischen Zeitung "Guardian" stattgefunden, und er hat ein trübes Licht auf die Pressefreiheit auf der britischen Insel geworfen. Barbara Wesel dazu aus London:

    Die Guardian-Affäre - Pressefreiheit in Großbritannien wenig geschützt (MP3-Audio) Die Guardian-Affäre - Pressefreiheit in GB wenig geschützt (MP3-Audio)


    Peter Kapern: Bei uns am Telefon ist nun Steve Crawshaw, der Direktor des Generalsekretärs von Amnesty International und der ehemalige Korrespondent der Zeitung "Independent" in Deutschland. Guten Morgen, Mister Crawshaw!

    Steve Crawshaw: Guten Morgen!

    Kapern: Wie bewerten Sie die Aktionen der Geheimdienste beim "Guardian"?

    Crawshaw: Ja, also Ihre Korrespondentin hat ganz richtig gesagt, entweder das ist Monty Python, aber ich würde das eher als Kafka auch beschreiben. Dass man sieht, wo man das Gesetz ungesetzlich benutzt, das kann man so beschreiben. Das ist ein Problem - natürlich in diesen Jahren man hat schon gesehen, wie die Gefahr des Terrorismus, das kam dann zur Folter in der Bush-Ära, nicht wahr. Man sagte, alles war möglich, und jetzt, auf eine andere Art, wie man das mit der britischen Regierung, dass die glauben, alles ist möglich und, wie auch jetzt in Ihrem Bericht gesagt wurde, das hat immer Vorrang, Anti-Terrorismus, man kann dann alles machen. Man muss sagen, politisch ist es auch schwierig zu verstehen, weil es ist so unsinnig, diese Aktion, die sie gemacht haben. Und ich würde hoffen, wir würden hoffen, dass die Regierung dann irgendwie das jetzt sieht und irgendwie sich zurückzieht von dieser ganz unmöglichen Aktion.

    Kapern: Wenn Sie sehen, dass das unmittelbare Umfeld des Premierministers Cameron offenbar die Schlapphüte in Marsch gesetzt hat Richtung "The Guardian" – was besagt das über das Nervenkostüm, über den Zustand der Nerven der Regierung. Im Moment, da ja diese Snowden-Enthüllungen für so weltweite Schlagzeilen sorgen?

    Crawshaw: Das ist ganz richtig, ich glaube, das stimmt natürlich mit dem Internet überhaupt. Also einerseits wir fühlen, dass die möchten immer noch die Möglichkeit haben, das zu beherrschen, diese Informationen. Und wir leben jetzt in einer Welt, wo das nicht beherrschbar ist. Und Sie haben auch beschrieben die symbolische Aktion, die eigentlich auch ganz unsinnig, diese Zerstörung, wo sie sogar wussten – als ob sie nicht verstanden, dass das so nicht sein kann, hier zu zerstören. Und Informationen existieren noch. Und man muss auch sagen, sogar die amerikanische Regierung hat sich ein bisschen distanziert. Also hier haben wir wirklich ein Paradox, dass es die amerikanische Regierung ist so wütend über Snowden. Und der auch natürlich ist, muss man Bedenken haben, was die amerikanische Regierung gegen Snowden tun möchte. Aber sogar die Amerikaner, wo natürlich normalerweise Meinungsfreiheit und Redefreiheit ist sehr wichtig, sogar die haben Bedenken ausgedrückt, wie die britische Regierung jetzt reagiert hat. Ich hoffe, dass ein bisschen die Weltreaktion dann auch ein bisschen das enden könnte. In Großbritannien selbst ist auch große Betroffenheit, würde ich fast sagen, aber auch dann wirklich man muss staunen, dass also die Regierung denkt, dass so was möglich ist.

    Kapern: Aber es gibt in Großbritannien, wenn wir das von hier aus richtig beobachten, Mister Crawshaw, auch ein großes Schweigen. Wen kümmert es eigentlich auf der Insel noch, was die Regierung da unter Berufung auf den Kampf gegen den Terror alles treibt.

    Crawshaw: Das ist leider in jedem Land, ich glaube manchmal, weil man das sah das auch in Amerika mit Folter früher, dass irgendwie, wenn man dachte, das war gegen andere und nicht gegen unsere guten Bürger, dann irgendwie ging das. Und man protestierte zu wenig. Amnesty International natürlich hat ganz stark protestiert, und danach kam doch ein Verständnis, dass ist überhaupt nicht annehmbar, dass man einfach die Moral beiseitelässt. Ich glaube, hier ist ein bisschen was anders gewesen bei Snowden, und Ihr Bericht hat auch das ein bisschen gesagt, dass auch der normale Bürger sagt, ja, sie lesen alles das und sie glauben, das ist normal, dass alle E-Mails die ganze Zeit gelesen werden konnten. Man wusste es zwar, aber irgendwie war das für andere und nicht für normale Bürger. Aber es stimmt auch, dass "The Guardian" selbst, also die Zeitung, wo das Zentrum – hatte sehr viel darüber berichtet, aber nicht alle Zeitungen haben das als Hauptbericht gesehen. Und ich glaube, also von Amnesty International aus gesehen, aber allgemein ich glaube, man müsste hoffen doch, dass irgendwie Leute verstehen, wo die Gefahr steht, und die Regierung muss auf jeden Fall unter Druck in diesem Fall stehen.

    Kapern: Nun hat eine Politikerin der Grünen hier in Deutschland, Tabea Rösner heißt die, die hat gefordert, dass die EU-Kommission einschreiten soll auf der Insel zum Schutz der Pressefreiheit in Großbritannien. Wenn die EU-Kommission jetzt Grundrechte in Großbritannien durchsetzen muss, dann ist es endgültig vorbei mit Rule Britannia, oder?

    Crawshaw: Ich weiß nicht, ob das endgültig vorbei ist. Die Idee ist zwar nett, und wie gesagt, ich würde jeden Druck gerne sehen. Ich muss auch sagen, dass pragmatisch natürlich in Großbritannien, wie Sie wissen, der Verdacht gegen alles, was Europa heißt, ist so stark, dass das in der Presse wahrscheinlich auch helfen würde sozusagen, dass die Regierung da stark stehen würde. Aber es stimmt, der Druck müsste nicht nötig sein. Es ist interessant, dass man schon von dem Europäischen Gericht in den letzten Jahren schon eine ziemlich starke Kritik gesehen hat, eben von diesem selben, einem anderen Teil davon, aber auch dieses Anti-Terrorismusgesetzes. Es geht bis das Jahr 2000 zurück. Also es lag da immer, es wurde aber nicht so krass benutzt, wie wir das jetzt gesehen haben.

    Kapern: Steve Crawshaw, der Direktor des Generalsekretärs von Amnesty International und ehemaliger Korrespondent der Zeitung "Independent" in Deutschland. Mister Crawshaw, danke für das Gespräch, tschüs, schönen Tag!

    Crawshaw: Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.