Dienstag, 23. April 2024

Archiv


"Es ist tatsächlich eine Versündigung an den späteren Generationen"

"Unsere Wirtschaft, unser Staat, unsere Gesellschaft, sie leben vom Vertrauen", sagt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. Darum sei wichtig, dass die Parteien sich an ihren Versprechen messen ließen. Für eine bestimmte Partei haben sich die Bischöfe aber dennoch nicht ausgesprochen.

Robert Zollitsch im Gespräch mit Jochen Spengler | 23.09.2009
    Jochen Spengler: Derzeit tagt in Fulda die Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Anfang September hat die Konferenz einen Aufruf zur Bundestagswahl veröffentlicht, in dem unter anderem die Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise auf Grundlage einer festen Werteordnung und die Rückbesinnung auf die ethischen Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft verlangt werden. Am Telefon in Fulda begrüße ich den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und Erzbischof von Freiburg, Robert Zollitsch. Guten Morgen, Herr Zollitsch.

    Robert Zollitsch: Guten Morgen.

    Spengler: Herr Zollitsch, in Ihrem Wahlaufruf heißt es sinngemäß, Wählerinnen und Wähler erwarteten von den Parteien zurecht einen informativen Wahlkampf, in dem Inhalte und Ziele erkennbar werden. Werden die Parteien Ihrer Forderung gerecht?

    Zollitsch: Wenn wir an die ganze Wirtschaftskrise denken oder auch daran denken, wie hoch die Staatsverschuldung ist, dann habe ich den Eindruck, dass doch die Parteien diesen Fragen ausgewichen sind, und wir müssen die Bevölkerung informieren, denn das, was wir heute an Schulden machen, muss irgendwann mal zurückbezahlt werden und wir dürfen nicht alles den kommenden Generationen überlassen. Das ist unsere Sorge.

    Spengler: Das heißt, wir Bürger haben einen Anspruch darauf, vor der Wahl zu erfahren, mit welchen Einsparungen man die Staatsverschuldung abbauen will?

    Zollitsch: Die Bürger müssen wissen, wie die Parteien daran denken, dann tatsächlich Staatsverschuldung abzubauen, und ich habe den Eindruck, dass man dieser Frage noch weitgehend ausweicht, um offensichtlich nicht manche Leute abzuschrecken.

    Spengler: Dieser Schuldenberg, 1.600 Milliarden Euro, ist das eine Versündigung an nachfolgenden Generationen, wo auch Gesundbeten nicht hilft?

    Zollitsch: Es ist sicher eine große Belastung für die nachfolgenden Generationen und vor allem ist es schlimm, wenn wir nicht von Anfang an daran gehen zu schauen, wie wir den Schuldenberg jetzt schon abbauen, wie wir sofort daran gehen, und wir dürfen den nicht einfach den nachfolgenden Generationen überlassen. Wenn wir das so tun, dann ist es tatsächlich eine Versündigung an den späteren Generationen und das ist nicht hinnehmbar.

    Spengler: Es gibt ja Parteien, die trotz dieses Schuldenstandes Steuersenkungen versprechen. Gilt das achte Gebot sinngemäß, du sollst nicht lügen, auch für Politiker, oder kriegen die mildernde Umstände?

    Zollitsch: Es muss auch ein Politiker sich der Wahrheit stellen und muss auch die Wahrheit sagen. Natürlich kann man jetzt über die Frage, wie wir den Schuldenberg abbauen, verschiedener Meinung sein. Das sind jetzt Fragen, die gemeinsam anzugehen sind, und da muss man natürlich jedes Mal prüfen, was so ein Politiker verspricht, wie realistisch das ist. Es ist jetzt natürlich nicht meine Aufgabe, im einzelnen zu Steuermaßnahmen Stellung zu nehmen, aber ich muss an die Grundsätze erinnern, und daran sind auch die Parteien zu messen.

    Spengler: Herr Zollitsch, Sie haben in Ihrem Wahlaufruf geschrieben, dass die Bürger darauf vertrauen können müssen, dass Wahlaussagen nach den Wahlen Bestand haben. Vertrauen Sie auf Steuersenkungen?

    Zollitsch: Es ist ja tatsächlich in der Politik sehr wichtig, dass wir wissen, es geht jetzt nicht nur um technische Möglichkeiten und um schnelle Lösungen, sondern unsere Wirtschaft, unser Staat, unsere Gesellschaft, sie leben vom Vertrauen. Darum ist es tatsächlich wichtig, dass das, was die einzelnen Parteien versprechen, dass das, was sie ankündigen, dann auch so vermittelt wird, dass die Menschen spüren, aha, dahinter steckt eine Konzeption, auf die ich mich einlassen kann. Wenn das nicht der Fall ist, dann schadet das natürlich der Demokratie und es schwächt das Vertrauen.

    Spengler: Deshalb noch mal ganz persönlich an Sie die Frage: Vertrauen Sie darauf, dass es Steuersenkungen gibt?

    Zollitsch: Ich persönlich bin da skeptisch, weil ich mich frage, wie tatsächliche Steuersenkungen finanziert werden sollen, aber ich bin gespannt, welche Vorschläge konkret die Parteien dann machen werden.

    Spengler: Wir sprechen im Deutschlandfunk mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, mit Robert Zollitsch, zum Beispiel darüber, dass viele Bürger enttäuscht sind von den Parteien, von dem Wahlkampf, von den kleinen Antworten auf die großen Probleme, und einige ziehen für sich die Schlussfolgerung, ich gehe aus Protest nicht wählen. Wieso sagen die Bischöfe in ihrem Wahlaufruf, dass Wahlenthaltung keine vernünftige und konstruktive Antwort sei?

    Zollitsch: Einerseits kann man verstehen, dass manche sagen, ich ziehe mich enttäuscht zurück. Aber der, der sich enttäuscht zurückzieht und nicht zur Wahl geht, der verzichtet auf die Möglichkeit, mitzubestimmen. Darum ist es wichtig, dass man bei den verschiedenen Parteien auch auswählt und sich dann überlegt, welche Parteien, welche Programme kommen dem am nächsten, wie ich mir das vorstelle, denn die ideale Partei, die immer alle meine Wünsche umsetzt, die wird es in dieser Form nicht geben und darum appellieren wir an die Bürgerinnen und Bürger und ich tue das auch selber, zur Wahl zu gehen und wirklich dadurch auch zu zeigen, wir wollen mitgestalten und wir nehmen das höchste Recht, das wir in der Demokratie haben, das Wahlrecht auch wirklich wahr.

    Spengler: In dem Fernsehduell Merkel-Steinmeier, Herr Zollitsch, ist das Wort "christlich" nicht einmal aufgetaucht. Ist das ein gottloser Wahlkampf?

    Zollitsch: Ich würde jetzt den Wahlkampf nicht als gottlos bezeichnen. Das wäre ein hartes Urteil. Aber ich vermisse tatsächlich die Besinnung auf die zentralen christlichen Werte, wie ich etwa auch das Thema Bildung vermisst habe, weil das auch ein wichtiges Zukunftsthema ist. Darum ist es schon wichtig, dass wir auch die Parteien daran erinnern, worauf wir von ihnen Antworten erwarten. Das ist nicht nur unser Recht, das ist unsere Pflicht.

    Spengler: Ich möchte noch mal an den Februar erinnern. Da war die Bundeskanzlerin mit folgender Aussage zu vernehmen:

    O-Ton Angela Merkel: Ich glaube, es ist schon eine Grundsatzfrage, wenn durch eine Entscheidung des Vatikans der Eindruck entsteht, dass es die Leugnung des Holocaust geben könnte. Es geht hier darum, dass von Seiten des Papstes und des Vatikans sehr eindeutig klargestellt wird, dass es hier keine Leugnung geben kann, und diese Klarstellungen sind aus meiner Sicht noch nicht ausreichend erfolgt.

    Spengler: Herr Zollitsch, wie irritierend war für Katholiken diese Papst-Kritik?

    Zollitsch: Ja, diese Kritik ging tatsächlich nicht von den Tatsachen aus, denn über die Haltung des Papstes, gerade von Papst Benedikt zum Holocaust, da kann überhaupt kein Zweifel bestehen und er hat das auch mehrfach ganz deutlich gesagt. Und dass man dann natürlich aus der Tatsache, dass jetzt aus fehlender Kenntnis über Äußerungen von Bischof Williamsen nun trotzdem die Exkommunikation aufgehoben wurde, schließen darf, dass der Papst und der Vatikan keine klare Stellung hätte, das, muss ich sagen, war einfach ein Missverständnis und es ist zu bedauern, dass man dann auf solch einer Basis eine solche Stellungnahme abgibt. Das hat natürlich eine Reihe von Katholiken enttäuscht, ich war auch verwundert.

    Spengler: Fühlen sich denn die Katholiken von der evangelischen Bundeskanzlerin vertreten, ist sie für sie wählbar?

    Zollitsch: Ich habe nicht den Eindruck, dass die Katholiken sich da vertrieben fühlen, aber es ist sicher wichtig, dass auch die Parteien zeigen, wie Christen in ihnen eine Heimat haben, wie sie mitwirken können, und da kommt es immer darauf an, möglichst die Leute auch so anzusprechen, dass sie verstehen, dass ihre Anliegen und ihre Sorgen aufgenommen sind.

    Spengler: Und warum empfehlen die Bischöfe eigentlich nicht mehr wie früher die Wahl der Parteien mit dem C im Namen?

    Zollitsch: Wir erleben, dass es nun Christen in verschiedenen Parteien gibt und dass sich auch Christen in verschiedenen Parteien engagieren. Das halte ich durchaus für einen Fortschritt. Es gibt natürlich dann immer auch Parteiprogramme, die jetzt den Vorstellungen der beiden christlichen Kirchen näher sind oder weniger nahe. Das hängt auch von einzelnen Punkten ab. Aber wir wollen, dass die Bürger als mündige und erwachsene Menschen selber entscheiden, wen sie wählen, und wollen dann durch entsprechende Inhalte sie an das erinnern, was wir für wichtig halten.

    Spengler: Vertritt denn derzeit eine Partei das in Reinkultur, worauf es der Katholischen Kirche ankommt?

    Zollitsch: Nein, das kann man nicht sagen, denn es ist tatsächlich das politische Geschäft immer noch mal eine andere Tatsache und darum haben wir uns auch nicht für eine ganz bestimmte Partei entschieden.

    Spengler: Erzbischof Robert Zollitsch, danke für dieses Gespräch, das man im Internet unter DRadio.de nachhören und nachlesen kann, und es gibt noch eine interessante Internet-Adresse, bei der Sie unsere Interviews finden und kommentieren können. Die lautet Bürgerinfo09.de.