Freitag, 29. März 2024

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"Es ist ziemlich klar, dass der russische Geheimdienst zugeschlagen hat"

Die Ermordung des ehemaligen russischen Geheimagenten Alexander Litwinenko mit Polonium weist nach Meinung von Peter Scholl-Latour auf den russischen Geheimdienst. Dass Agenten, die die Seiten gewechselt haben, umgebracht würden, komme auch in anderen Ländern vor. Darüber werde allerdings weniger gesprochen, betonte Scholl-Latour.

Moderation: Jörg-Christian Schillmöller | 26.11.2006
    Jörg-Christian Schillmöller: Diese Geschichte klingt wie ein unheimlicher Krimi aus dem Kalten Krieg: Ein russischer Spion kehrt seinem Geheimdienst den Rücken und wird scharfer Kritiker des Kreml. Er lebt in London und trifft dort mehrere Personen. Er isst und trinkt mit ihnen und erkrankt plötzlich schwer. Ihm fallen die Haare aus, die Organe versagen und er stirbt. In seinem Körper finden die Mediziner größere Mengen einer radioaktiven Substanz namens Polonium 210. Seine Vertrauten sind sicher, der Mann wurde vergiftet und Russland steckt dahinter.

    Alexander Litwinenko heißt der Ex-Spion der jetzt tot ist und ein Zusammenhang zum russischen Geheimdienst oder direkt zum Wladimir Putin ist nicht bewiesen, aber in aller Munde. Es bleibt ein beunruhigender Beigeschmack, ähnlich wie bei der Ermordung der kritischen Journalistin Politkowskaja im Oktober. Wir wollen mit Peter Scholl-Latour über den neuen Todesfall sprechen und über das heutige Russland unter Wladimir Putin. Herr Scholl-Latour, eine radioaktive Vergiftung eines russischen Ex-Agenten, haben Sie so etwas für möglich gehalten?

    Peter Scholl-Latour: Nein, also das wirklich neue an diesem Attentat ist das Mittel, das dazu verwendet wurde und man hat ja lange gebraucht um festzustellen, was es überhaupt war und das ist eine neue Form des Attentats, die wir in vielleicht Zukunft noch mehr erleben und die ein bisschen beängstigend ist. Dass Agenten die die Seite gewechselt haben umgebracht werden, das ist in der Vergangenheit, auch zur sowjetischen Zeit, auch zur russischen Zeit passiert, das passiert aber, seien wir ganz ehrlich, in anderen Ländern auch, nur redet man dann weniger darüber.

    Schillmöller: Lässt denn dieses Polonium, diese radioaktive Substanz irgendeinen Rückschluss auf mögliche Drahtzieher zu?

    Scholl-Latour: Ja, da muss schon eine gewisse chemische Kenntnis vorhanden gewesen sein. Man fragt sich ja auch, zum Beispiel die Todesursache von Jassir Arafat, das ist ja auch von den französischen Militärärzten nicht ermittelt gewesen. Es gibt scheinbar tötende Substanzen, die neu erfunden sind und die uns vielleicht einen kleinen Ausblick geben auf Attentate der Zukunft, aber viel größeren Stils und das ist eben das Erschreckende.

    Schillmöller: Reflexartig denken viele an den Kreml, nennen ihn auch und den russischen Geheimdienst gleich dazu. Ist allein diese Reaktion symptomatisch?

    Scholl-Latour: Ja nun, das liegt nahe in diesem Fall. In dem Fall zum Beispiel bei Pierre Gemayel wäre ich sehr viel zurückhaltender, da die Spur sofort zu dem syrischen Präsidenten Bashar Assad zu legen, aber in diesem Fall ist es ziemlich klar, dass der russische Geheimdienst da zugeschlagen hat. Er war ja jemand, der Staatsgeheimnisse ausplauderte und machen wir uns nichts vor, andere Mächte agieren auch so. Die Bundesrepublik ist ja noch im Zustand der Nachkriegstugend und würde so was nie begehen, aber andere Staaten mit denen wir verbündet sind, tun das auch.

    Schillmöller: Sie trauen also dem russischen Geheimdienst durchaus so eine Beseitigungsaktion zu?

    Scholl-Latour: Ja, absolut.

    Schillmöller: In Moskau heißt es vom außenpolitischen Ausschuss der Duma als Reaktion, natürlich sind wir hier Zeugen einer Verschwörung des Westens gegen Russland, also genau das Gegenteil. Ist diese These plausibel?

    Scholl-Latour: Ja, die findet statt, aber auf einer anderen Ebene und die finde ich besonders stupid. Nicht wahr, man ist wirklich dabei einen neuen Kalten Krieg anzuheizen und als Symptome möchte ich noch einmal darauf hinweisen, musste man wirklich den Nato-Gipfel, also den Gipfel der Atlantischen Allianz nach Riga - immerhin sie war zwangsweise angegliedert worden an die Sowjetunion, aber in eine Stadt verlagern, die in der unmittelbaren Nachbarschaft von Sankt Petersburg ist. Das ist eine Herausforderung an Russland, an den russischen Nationalstolz. Und das hätte man auch von deutscher Seite verändern können, da hätte man Widerspruch erheben müssen.

    Schillmöller: Sie sind, Herr Scholl-Latour ohnehin vom Vorgehen der Nato nicht gerade begeistert, sagen wir, sie halten das Vorgehen der Nato in den letzten Jahren für etwas unsensible. Warum bessert sich das nicht?

    Scholl-Latour: Ja es ist absolut töricht. Wir haben mit den Russen ja nun den Kalten Krieg beendet und haben Gott sei Dank auch diesen Ost-West-Konflikt beendet. Wir haben mit Russland, selbst Deutschland, ein vorzügliches Wirtschaftsverhältnis und wir sind komplementär. Dass, sagen wir diese Beziehung durch die Staaten die zwischen uns und Russland liegen, einigermaßen gestört werden können , weil die natürlich die Erinnerung an die russische Vorherrschaft, übrigens auch an die deutsche Vorherrschaft haben, ist ganz klar, insofern macht diese direkte Pipeline durch die Ostsee durchaus Sinn.

    Aber warum muss nun unbedingt jedes Land, das der europäischen Union beitritt und davon gibt es nun schon viel zu viele, muss das nun auch noch in die Atlantische Allianz hinein? Die Atlantische Allianz war konstituiert worden, um einen sowjetischen Großangriff aufzufangen. Ich meine damals waren natürlich nur die Amerikaner in der Lage, den Russen Parole zu bieten, auch in nuklearer Hinsicht, war ganz klar, dass der Oberbefehl, die Strukturierung und die Führung bei den Amerikanern lag. Aber wir sind doch heute in einer ganz anderen Situation und warum versucht man jetzt noch, ohne dass die Ukraine der Nato beigetreten ist und das wird sie in Zukunft vielleicht auch nicht tun, aufgrund der Verhältnisse dort, aber Georgien, das total auf Amerika ausgerichtet ist, dass da die Armee praktisch auf Nato-Standard gebracht wird, als stehe man einem neuen Kalten Krieg bevor und als ich in Minsk war, in Belarus, wo Lukaschenko natürlich kein enger Freund von Putin ist, aber jedenfalls gegen diesen westlichen Drang nach Osten sich stemmt, da habe ich mit Oppositionellen gesprochen und wir haben dann ganz offen über den Neubeginn des Kalten Krieges gesprochen. Das ist doch wirklich total unnötig und schadet auch den deutschen Interessen.

    Schillmöller: Herr Scholl-Latour, Sie haben auch gerade das Buch "Russland im Zangengriff, Putins Imperium zwischen Nato, China und Islam" veröffentlicht. Klingt bei Ihnen so etwas an, als stünden Sie eher hinter Wladimir Putin und als würden sie ihn ein bisschen verteidigen wollen?

    Scholl-Latour: Also ich würde niemals von Putin erklären, er sei ein lupenreiner Demokrat, wie das der frühere Bundeskanzler getan hat. Ich würde auch nicht wie der amerikanische Präsident, als er ihn das erste Mal getroffen hat, sagen, ich habe ihm tief in die Augen gesehen und erkannt, dass das ein ordentlicher Kerl ist. Der Mann ist natürlich im Geheimdienst aufgewachsen und hat dort die Kunst der Täuschung gelernt, das war sein Beruf. Also insofern würde ich ihm nicht unbedingt über den Weg trauen.

    Aber was Russland im Moment braucht ist nicht unsere Form der parlamentarischen Demokratie, das ist ja versucht worden mit der Perestroika und hat ein entsetzliches Elend, ein entsetzliches Chaos ausgelöst, hat das Imperium auch zerstört. Man muss ja auch einmal, man muss sich in die Haut des Anderen versetzen, in die Haut der Russen, wie sie das sehen und züchtet in Russland dieses Vordringen jetzt auch noch Westen, züchtet bei den Russen eventuell einen nationalistischen Komplex, der so ein bisschen an erinnert die Zeit nach dem ersten Weltkrieg, nach Versailles und als die Deutschen sich auch gedemütigt fühlten und diese Reaktionen aufkamen. Das merkt man ja auch an den Pogromen gegen die kaukasische Bevölkerung, das man dort in Russland die Schwarzen nennt. Das ist eine Stimmung die da hochkommt und Putin ist bei der Bevölkerung nicht unbedingt beliebt, aber ich glaube er wird doch von den Meisten, da er doch eine gewisse Ordnung und Sicherheit wieder geschaffen hat, doch als das geringere Übel angesehen und auf keinen Fall möchte man in diese totalen Wirren in dieses neue Smuta der Perestroika zurück verfallen.

    Schillmöller: Aber muss es denn sein, dass der staatliche Gasprom-Konzern, den wir aus vielerlei Ölgeschäften kennen, sich auch noch immer mehr Kontrolle über die Medienwelt erkauft hat? Er besitzt NTW, den ehemals kritischen Fernsehsender, die Zeitung "Iswestija"und jetzt auch jüngst das Massenblatt "Komsomolskava Pravda". Nimmt der Staat wieder alles in die Hand, muss das sein?

    Scholl-Latour: Die russische Regierung ist immer, sobald wir in die Geschichte zurückblicken, vielleicht ist die kleine Kerenski-Periode von ein paar Monaten, ist eine kleine Ausnahme gewesen, ist immer autokratisch geführt worden. Das ist nun mal die Natur des Landes. Wir sollten endlich einmal von der Idee abstand nehmen, dass unser Modell von Demokratie und auch unsere Vorstellung von Menschenrecht, auf die wir nicht verzichten möchten, das unsere größte Errungenschaft ist, dass sich das ohne weiteres auf die Kulturkreise übertragen lässt und Russland ist durch den Kommunismus geprägt und auch noch durch die byzantinische Überlieferung und da passen sagen wir mal diese Vorstellungen, diese idealistischen Vorstellungen des Westens nicht so sehr hin, zumal ja im Westen auch die Demokratie abzugleiten droht, das schreiben nur die Amerikaner, die Europäer wagen das nicht, abzugleiten drohen ist ja eine Form der Plutokratie.