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"Es könnten auch Messfehler sein"

Energie.- Die Brennstäbe dreier von sechs Reaktoren am AKW Fukushima sind beschädigt. Zudem ist offenbar auch die Schutzhülle nicht mehr komplett dicht. Was dies genau bedeutet, erläutert Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich im Gespräch mit Uli Blumenthal.

29.03.2011
    Uli Blumenthal: Beginnen wollen wir auch heute mit der Situation des Atomkraftwerks in Fukushima. Japans Atomaufsicht hat heute mitgeteilt, die Brennstäbe in drei der sechs Reaktoren seien beschädigt und, dies sei sehr wahrscheinlich, so die Behörde, dass die Schutzhülle nicht mehr völlig dichthalten kann. Betroffen seien die Blöcke 1, 2 und 3 und mit letzterem auch jener Reaktor, in dem Plutonium Teil des verwendeten Brennstoffmixes ist. Zuvor hatten Funde des giftigen Schwermetalls im Bereich der Kraftwerksruine Ängste über das wahre Ausmaß der Katastrophe geschürt. Dagmar Röhrlich im Studio, Kollegin, Sie recherchieren und berichten seit dem 12. März über die Reaktorunfälle. Was sagen die Plutoniumfunde über die Schäden an den Reaktoren aus?

    Dagmar Röhrlich: Die Regierung sagt, dass dieses Plutonium aussagt, dass zum einen eine Kernschmelze stattgefunden hat und zum anderen, dass die Reaktordruckbehälter und die Sicherheitsbehälter nicht mehr ganz dicht halten, dass also irgendwelche Röhrensysteme undicht sein könnten, sodass im Endeffekt dann aus dem Sicherheitsbehälter das Radionuklid in die Umwelt gelangt. Jetzt sind aber deutsche und amerikanische Experten sich noch nicht ganz sicher, ob das alles wirklich so zu sehen ist. Sie rechnen im Moment noch. Es wird überlegt, ob die Interpretation dieser Plutoniumfunde wirklich so korrekt ist. Denn es ist erstaunlich wenig für einen solchen Störfall. Und es könnten auch Messfehler sein. Experten vermuten, dass vor Ort in Japan sehr wenig Leute sitzen, die mit diesen Spektren wirklich umgehen können, die diese Analysen dann auch interpretieren können, sodass viel dem Computer überlassen wird und dabei sehr leicht Fehler entstehen können - so wie auch am vergangenen Wochenende. Es gibt aber auch Anzeichen dafür, die auch hiesige Experten ganz klar als Anzeichen für eine teilweise Kernschmelze ansehen würden. Das ist nämlich die Menge an freigesetzten Radionukliden, an leichtflüchtigen freigesetzten Radionukliden. Die ist einfach so groß, dass man davon ausgehen kann, dass die Brennelemente nicht mehr in Ordnung sind.

    Blumenthal: Sie haben gesagt, die deutschen und amerikanischen Experten rechnen. Da gibt es irgendwelche Spektren, die sind so und so zu interpretieren. Wie muss man sich das vorstellen? Was geben die Japaner raus, was machen die anderen damit und wie fließt das wieder nach Japan zurück?

    Röhrlich: Also auch für die Experten in anderen Ländern ist es sehr schwierig, an Informationen zu kommen. Diese Spektren, Spektralien muss man sich als Wald von Linien vorstellen, weil jedes Element ganz viele Linien hat. Und die liegen oft so dicht beieinander, dass es schwer ist zu sagen, das ist jetzt Jod 131, das ist Jod 135, das ist Plutonium, weiß der Himmel was. Es ist also wirklich sehr schwierig, das auszuwerten. Das müssen Experten machen. Und in so einer Situation kann es sein, dass man es einfach dem Computer überlässt. Und der schaut dann nicht nach einer Vielzahl von Linien, ob das alles so stimmt, und macht nochmal eine Zweitmessung. Sondern er nimmt eine Linie, eine Hauptlinie und sagt, das ist es dann. Und das kann zu den Problemen führen. Aber es kann durchaus sein, dass die Interpretation stimmt. Man versucht im Moment, dahinter zu kommen, was das sein könnte.

    Blumenthal: Das sind Messungen, die die japanischen Behörden zur Verfügung stellen. Immer wieder wird diskutiert: Gab es nun eine teilweise Kernschmelze? War sie temporär? Dauert sie noch an? Was weiß man darüber?

    Röhrlich: Also falls es eine Kernschmelze gegeben hat, was jetzt ja sehr angenommen wird, dann kann sie andauern, sie kann auch beendet sein. Aber selbst wenn sie jetzt beendet ist, heißt das nicht, dass sie immer beendet sein wird. Dort läuft folgendes ab: Die Brennelemente sind also nicht mehr ganz mit Wasser bedeckt, werden nicht vollständig gekühlt. Dadurch beginnt dieses Zirconium in den Legierung, die die Brennelement einhüllen, heiß zu werden, reagiert mit dem Wasserdampf. Dabei entsteht noch mehr Hitze, dabei reißen dann die Brennelemente auf, und zuerst werden leichtflüchtigen Elemente freigesetzt. Diese Reaktion mit dem Zirconium und dem Wasserdampf läuft aber weiter. Es wird immer heißer. Man kann schließlich 2200 Grad überschreiten und dann werden auch aus den Brennelementen die schwerer flüchtigen Elemente rausgelöst, beispielsweise Plutonium, aber auch Strontium, was ein sehr giftiges Metall ist, das ist sehr hoch krebserregend, ist auch sehr mobil in der Umwelt, gerät leicht in die Nahrungskette. Wenn Strontium gefunden wird, dann ist ganz klar, dass die Kernschmelze läuft. Sie kann im Moment unterbrochen sein, wahrscheinlich sogar. Ob sie es bleibt, weiß man nicht.

    Blumenthal: Aus Tschernobyl kennt man die Bilder: Hubschrauber, die Dinge abwerfen, um einen Sarkophag, sozusagen erstmal eine Bedeckung herzustellen. Warum kann man das in Japan nicht machen?

    Röhrlich: Das wäre der wirklich allerletzte Rat, den man sich weiß, weil, sobald ich damit anfange, ich das Ganze zudecke erst einmal. Dadurch steigt die Hitze im Reaktor noch stärker an, die radioaktive Belastung der Umgebung wird noch stärker. Man versucht es zu vermeiden, weil man auch nicht mehr richtig ran kann. Man kann nicht mehr kühlen, man kann gar nicht mehr eingreifen, man muss von unten auch stützend arbeiten. Das heißt, Bergleute müssen tätig werden. Man möchte es verhindern. Ob man es verhindern kann, wird die Zukunft zeigen.

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