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"Es leben heute schon wieder viele Menschen völlig unproblematisch im Kosovo"

Die Rückkehr der Roma sei nach dem Ende des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien zumutbar und vertretbar, sagt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann. Jetzt gehe es vor allem darum, die Lage im Kosovo selbst zu stabilisieren.

Joachim Hermann im Gespräch mit Jasper Barenberg | 21.09.2010
    Jasper Barenberg: Heftig in der Kritik steht Staatspräsident Nicolas Sarkozy, weil Frankreich damit begonnen hat, Tausende Roma nach Bulgarien und nach Rumänien abzuschieben. Die allgemeine Empörung konterte Sarkozy mit dem Hinweis, auch Deutschland wolle Roma-Lager räumen lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel dementierte umgehend und sie dementierte sehr entschieden. Ganz Unrecht aber hat der französische Präsident nicht, denn ein Abkommen der Bundesregierung mit dem Kosovo sieht vor, dass auch aus Deutschland rund 8000 Roma in ihre alte Heimat zurück müssen, oft in ein Leben ohne jede Perspektive.
    Darüber wollen wir in den nächsten Minuten mit dem CSU-Politiker Joachim Herrmann sprechen, dem Innenminister von Bayern. Guten Morgen, Herr Herrmann.

    Joachim Herrmann: Guten Morgen!

    Barenberg: In dem Beitrag haben wir gerade Gienna kennen gelernt, 17 Jahre lang ist er in Deutschland gewesen, er ist hier zur Schule gegangen, hat seine Freunde hier. Jetzt ist er ohne jede Perspektive in einer für ihn fremden Heimat im Kosovo. Wie erklären Sie ihm, dass er nicht in Deutschland bleiben darf?

    Herrmann: Grundsätzlich ist klar, dass alle Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien mit den verschiedensten Teilen, die eben keinen Aufenthaltsstatus auf Dauer haben, die nicht auf Dauer anerkannt werden zum Bleiben in Deutschland, natürlich wieder zurückkehren müssen, und das gilt für die allermeisten. Das ist in den letzten Jahren auch für Tausende schon vollzogen worden und es sind viele, viele Tausende von Bürgerkriegsflüchtlingen in den letzten Jahren in ihre Heimat zurückgekehrt. Das gilt für Bosnien-Herzegowina genauso wie für den Kosovo und andere Teile, und das muss für letztendlich alle Menschen, die nicht auf Dauer in Deutschland bleiben können, vollzogen werden, auch darunter einige Roma. Das ist ja keine spezielle Aktion, die sich nur auf Roma bezieht.

    Barenberg: Aber es sind Tausende, die betroffen sind, und dabei werden auch Familien auseinandergerissen. Ist das eine gute Politik?

    Herrmann: Das dürfte nur der Ausnahmefall sein. Ich kann diesen speziellen Fall, den Sie gerade geschildert haben, nicht beurteilen, weil ich ihn nicht kenne. Ich kann Ihnen nur sagen, dass es jedenfalls aus Bayern, wo ursprünglich in früheren Jahren bis zu 21.000 Menschen aus dem Kosovo geflohen sind, inzwischen es sich nur noch um sehr wenige handelt, die noch zur Rückreise anstehen. Die meisten sind entweder anerkannt worden, dass sie hier bleiben in Deutschland, oder sie haben unser Land schon verlassen. Es sind in Bayern jetzt gerade noch 49 Roma, die ausreisepflichtig sind, also aus ganz Bayern 49, eine wirklich kleine Zahl. Ich weiß allerdings, dass das in anderen Bundesländern teilweise wesentlich mehr noch sind, weil da in den vergangenen Jahren die Rückführung bei Weitem nicht so ernsthaft betrieben wurde.

    Barenberg: Der Zentralrat der Sinti und Roma spricht ja davon, dass den Roma Gewalt droht in ihrer Heimat. Ist das kein guter Grund, sie hier zu lassen, die Abschiebungen zu stoppen?

    Herrmann: Es gibt das Abkommen der Bundesregierung mit der kosovarischen Regierung und die Bundesregierung selbst hat sich sehr intensiv mit der Lage im Kosovo beschäftigt und hat erklärt, dass die Rückführung hier zumutbar ist. Ich glaube, dass hier insgesamt im Kosovo natürlich noch keine Zustände wie in Deutschland herrschen, das wird sicherlich noch lange dauern, aber dass es insgesamt sicherlich zumutbar ist, dass Menschen dorthin jetzt zurückkehren. Es leben heute schon wieder viele Menschen völlig unproblematisch im Kosovo. Der stellvertretende Ministerpräsident vom Kosovo war erst in der vergangenen Woche bei mir in München zu Besuch, wir haben uns über die Lage unterhalten und es wird dort insgesamt eigentlich ein sehr positives Bild auch von der kosovarischen Regierung selbst gezeichnet.

    Barenberg: Unsere Korrespondenten zeichnen allerdings ein ganz anderes Bild, nämlich ein Bild von elenden Quartieren, in denen sie leben, von Sozialleistungen, die sie nicht in Anspruch nehmen können, speziell jetzt die Roma. Fällt das nicht ins Gewicht?

    Herrmann: Ich glaube, es ist insgesamt vertretbar. Ich kann von hieraus nicht jedes einzelne Lager, jede einzelne Unterkunft beurteilen, aber klar ist auch – und das muss man deutlich in Erinnerung rufen -, die Grundlage dafür, dass so viele Menschen während des Bürgerkrieges zu uns gekommen sind, ist, dass sie, wenn der Bürgerkrieg vorbei ist, auch in ihre Heimat wieder zurückkehren. Und da muss man ganz deutlich sagen, dass die Lebensverhältnisse, was das Soziale anbetrifft, sicherlich auch früher natürlich dort im Kosovo nicht paradiesisch waren, aber ich denke, die Bereitschaft gerade auch der Menschen in Deutschland, in einer solchen Notsituation wie dem damaligen Bürgerkrieg, wie er irgendwo, was wir nicht hoffen, aber was immer wieder passieren kann, irgendwann wieder irgendwo auf der Welt auftreten kann, die Bereitschaft der Menschen in Deutschland wird dazu nur erhalten bleiben, wenn das auch so funktioniert: Wir nehmen Flüchtlinge auf, wenn irgendwo Bürgerkrieg ist, und wenn der Bürgerkrieg vorbei ist, kehren die Menschen in ihre Heimat zurück. Wenn die Menschen in Deutschland den Eindruck haben, dass das letztendlich dann unterlaufen wird, und auch wenn der Bürgerkrieg längst vorbei ist die Menschen trotzdem nicht in ihre Heimat zurückkehren, dann wird das nächste Mal, wenn irgendwo Bürgerkrieg auf der Welt ist, die Begeisterung der Menschen in Deutschland, solche Leute vorübergehend bei uns aufzunehmen, wesentlich geringer sein.

    Deshalb, denke ich, ist es schon richtig: Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass der Aufbau im Kosovo vorangeht, und ich glaube, das tut er auch. Wir haben ja auch nach wie vor beispielsweise aus Deutschland Ausbilder für die Polizei, wir haben nach wie vor, um die Sicherheit zu gewährleisten, ja eine ganze Reihe von Bundeswehrsoldaten dort vor Ort, und wir tun alles dafür, dass der Kosovo wieder auf die Beine kommt. Aber es ist richtig, dass die Menschen, die bei uns nach langen Verfahren eben keine Aufenthaltsberechtigung erhalten haben, dass die dorthin jetzt auch zurückkehren.

    Barenberg: Der Innenminister von Berlin, Ehrhart Körting, Ihr Kollege, der spricht von der Gefahr, dass die Roma in nicht sichere Gebiete abgeschoben werden. Nordrhein-Westfalen hat auch viele Roma im Bundesland und will alle Möglichkeiten nutzen, um Härten zu vermeiden, will nur ausnahmsweise abschieben. Ist das eine Position, mit der Sie übereinstimmen?

    Herrmann: Das müssen diese Bundesländer letztendlich selbst entscheiden. Ich habe Ihnen gesagt, es sind aus Bayern gerade noch 49. Ich denke, es ist aber trotzdem richtig, das jetzt wirklich zügig und konsequent voranzubringen. Dazu gibt es ja dieses spezielle Abkommen zwischen Deutschland und dem Kosovo, das übrigens auch beinhaltet, dass es um maximal 2500 pro Jahr geht, die in das Land zurückkehren, also insofern auch eine überschaubare Zahl.

    Ich glaube, wir sollten jetzt alles dafür tun, dass die Verhältnisse im Kosovo wirklich stabil sind, dass wir in der Tat den Menschen auch helfen, dorthin zurückzukommen. Sie erhalten auch eine vielfache staatliche Unterstützung. Aber ich denke, es ist auch richtig, dass wir diese Rückkehr weiter konsequent vorantreiben.

    Barenberg: Andere Bundesländer, Herr Herrmann, unterstützen die zurückgekehrten Roma im Kosovo selber. Baden-Württemberg tut das, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und auch Sachsen-Anhalt. Warum nimmt Bayern an diesem Programm für die Betroffenen vor Ort nicht teil?

    Herrmann: Wir haben hier in der Vergangenheit auch bereits vielfältige Hilfeleistung gegeben und wie gesagt, es sind jetzt aus Bayern nur noch verschwindend wenige. Ich glaube, bei einer Zahl – ich sage es noch einmal – von gerade noch 49, die überhaupt noch zur Ausreise aus Bayern anstehen, Roma aus dem Kosovo, stellt sich die Frage nach großen neuen Programmen nicht. Andere Länder, die hier wesentlich länger gezögert haben in der Vergangenheit – ich will das nicht im Einzelnen beurteilen -, haben da natürlich jetzt mehr Nachholbedarf.

    Barenberg: Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann im Gespräch im Deutschlandfunk heute Morgen. Vielen Dank, Herr Herrmann.

    Herrmann: Ich danke Ihnen auch! Einen schönen Tag.

    Barenberg: Ihnen auch!