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"Es muss Vertrauen zurückgewonnen werden"

Der neue Papst müsse nicht nur als geistlicher Führer authentisch sein, sondern auch die Bereitschaft zu Veränderungen mitbringen, sagt der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück. Kurzfristig sei aber keine Revision der offiziellen Lehre zu erwarten.

Alois Glück im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 12.03.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Fast acht Jahre ist es her, dass die Welt zuletzt mit Spannung Richtung Rom blickte und zu entziffern suchte, ist es jetzt schwarzer oder weißer Rauch, der da über Vatikanstadt aufsteigt. Einmal war es schwarzer Rau, der aussah wie weißer, und schon wurde verkündet, es habe eine Entscheidung gegeben. Als es die dann wirklich gab, war es auch nicht sofort erkennbar. Wir werden sehen, wie es diesmal ausgeht, wann es wieder heißt, "Habemus papam", und vor allem, um wen es sich beim Nachfolger von Papst Benedikt XVI. handeln wird.

    Am Telefon begrüße ich Alois Glück, er ist Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, war früher Präsident des bayerischen Landtages und gehört der CSU an. Schönen guten Morgen, Herr Glück.

    Alois Glück: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Wie gespannt blicken Sie nach Rom?

    Glück: Ja natürlich sehr gespannt, sehr interessiert, wie eigentlich die ganze Weltöffentlichkeit und wie natürlich insbesondere wir Katholiken, und gespannt vielleicht auch deshalb, weil die Situation recht offen erscheint.

    Heckmann: Ein Teil der Kardinäle, Herr Glück, hatte ja dafür plädiert, möglichst schnell zu wählen. Ein anderer Teil hat sich dafür ausgesprochen, erst über die Probleme der Katholischen Kirche zu beraten, und zwar auch ausführlich. Jetzt ist es recht schnell zum Beginn des Konklaves gekommen. Heißt das, dass das Nachdenken über die Krise der Kirche, der Katholischen Kirche, zu kurz gekommen ist?

    Glück: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich ja nicht dabei war. Aber alles, was man hört, ist doch so, dass viel gesprochen, miteinander erörtert wurde, auch außerhalb der offiziellen Sitzungen. Auf jeden Fall ist es ganz wichtig, dass eine ehrliche, offene Bestandsaufnahme erfolgt über die sehr unterschiedlichen Situationen der Katholischen Kirche mit jeweils sehr speziell auch Aufgaben, Chancen, Problemstellungen – ob in Lateinamerika oder wieder ganz anders in Afrika, in Nordamerika oder in Europa, und es ist ganz wichtig, daraus zu erkennen oder dem nachzuspüren, was dann an Reaktionen und Antworten notwendig ist, auch im Hinblick auf gewissermaßen, weltlich würde man sagen, das Anforderungsprofil bei den Wahlen und bei den Überlegungen für den Einzelnen.

    Heckmann: Wie ist denn das Anforderungsprofil aus Ihrer Sicht? Muss jetzt so was kommen wie ein Reformschub für die Katholische Kirche? Hans Küng, der Vatikan-Kritiker und Theologe, der hat dieser Tage gesagt, wenn es jetzt nicht zu Reformen komme, werde die Katholische Kirche zu einer immer weniger relevanten Großsekte.

    Glück: Zunächst einmal, denke ich, muss ein Papst authentisch sein in seiner jeweiligen Art, als geistlicher Führer, als geistlicher Mensch. Es ist zum anderen in der heutigen Zeit sicher notwendig, dass er eine gewisse Internationalität hat – in dem Sinn, dass er nicht nur seinen eigenen Lebensraum kennt, dass er ein Grundverständnis und ein Gespür hat für die Entwicklungen weltweit in der Vielfalt der Dinge und dass er auch die Bereitschaft hat, immer wieder Veränderungen dann herbeizuführen.

    Heckmann: In welchen Bereichen genau, Herr Glück?

    Glück: Es steht strukturell sicher an, neu zu bedenken die Frage, was muss zentral geregelt sein. Dabei geht es jetzt nicht um die Glaubenswahrheiten, die sind selbstverständlich, einheitliches Glaubensgut und unser Fundament und Grundlage. Aber was muss zentral geregelt sein, etwa in der Zuständigkeit in Rom, oder muss man nicht wieder mehr, und ich würde sagen ja, man muss ganz in den schon vorliegenden Ergebnissen des Zweiten Vatikanischen Konzils das tun, was damals eigentlich schon beabsichtigt war, nämlich den Ortskirchen mehr Freiraum geben, mehr Gestaltungsmöglichkeiten, mehr Verantwortung für die Kirche vor Ort, also das Subsidiaritätsprinzip, das die Katholische Kirche in der gesellschaftspolitischen Dimension vertritt, auch in der eigenen Kirche anwenden, und es braucht ganz offensichtlich nach allem, was man hört, auch eine Reform in der Kurie. Es muss Vertrauen zurückgewonnen werden, auch was die Kurie betrifft, denn auch das war jetzt ja ein wichtiges Beratungsthema. In den letzten Jahren hat es ja ganz offensichtlich ganz erhebliche Probleme gegeben.

    Heckmann: Muss es nicht auch eine Neubestimmung geben bei der Rolle der Laien, bei der Rolle der Frauen innerhalb der Katholischen Kirche, auch was die Sexualmoral der Katholischen Kirche angeht?

    Glück: Was die Rolle der Laien und die Rolle der Frauen betrifft, auch hier gilt: zurück zum Konzil. Der Fortschritt ist gewissermaßen, die Ergebnisse des Konzils neu aufzunehmen. Da ist in den vergangenen Jahrzehnten manches eher wieder zurückgedrängt worden. Eine Kirche im Konzil ist beschrieben: Wir sind gemeinsam die Getauften und die Gefirmten. Die Laien sind nicht, ja es ist nicht das Leitbild eine priesterzentrierte Kirche, und in vielen Teilen der Weltkirche kann Kirche auch nur so leben, wie beispielsweise in Lateinamerika oder in weiten Teilen Afrikas, wo ja gar nicht die Priester da sind. In manchen katholischen Gemeinden in Lateinamerika kommt der Priester vielleicht dreimal im Jahr.

    Von daher gesehen braucht es diesbezüglich sicher Veränderungen, auch was die Situation in Deutschland betrifft. Ich wünschte mir, dass eben auch die Bischöfe ganz im Geiste des Konzils diese Positionen in Rom entschieden vertreten, gerade im Zusammenhang mit notwendigen Neuordnungen, Freiraum und Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der notwendigen Einheit vor Ort. Und darüber hinaus brauchen wir eine Sprache, die den Menschen zugänglich ist, die sich für die Menschen von heute erschließt, nicht eine vordergründige Anpassung, aber ein Eingehen auf die Lebenssituationen der Menschen.

    Heckmann: Aber noch mal ganz konkret, Herr Glück. Eingehen auf die Lebenssituation der Menschen, jetzt mal bezogen auf die Sexualmoral. Da sagen ja viele Kritiker, das ist ja völlig überholte Position der Katholischen Kirche, das Verbot, beispielsweise Kondome zu benutzen vor dem Hintergrund von Aids und HIV. Gibt es da aus Ihrer Sicht nicht die Notwendigkeit einer völligen Neupositionierung?

    Glück: Die Realität ist zunächst einmal, dass etwa in unserem europäischen oder jetzt im deutschen Raum 90 Prozent der Katholiken anders leben, im Hinblick etwa auf Familienplanung, wie es in der Enzyklika Humanae Vitae beschrieben ist, und dass sie darin kein Hindernis sehen für ihre persönliche Gottesbeziehung. Aber wir sehen natürlich Situationen, die zur Entfremdung von der Kirche führen. Es geht nicht darum, jetzt in der Sexualmoral einer Beliebigkeit das Wort zu reden. Es geht im Kern darum, um was es geht: die Frage der Partnerschaft, der Achtung des anderen in seiner Persönlichkeit und nicht ein egoistisches Ausleben der eigenen Sexualtriebe. All dieses ist ja richtig. Aber es ist heute zum Teil eben zementiert in Positionen, die für viele Menschen nicht mehr zugänglich ist, und hier zumindest mehr pastorale Weite. Es ist sicher kurzfristig nicht eine Revision der offiziellen Lehre zu erwarten, aber eine pastorale Weite, ein Zugehen und Verstehen der Menschen, das ist dringend geboten.

    Heckmann: Benedikt XVI., der hat in dieser Frage der Ökumene ja nicht gerade als Brandbeschleuniger gewirkt, um es mal so auszudrücken. Erwarten Sie von dem neuen Papst, dass hier neue Signale ausgehen?

    Glück: Zunächst glaube ich, dass diese Einschätzung Benedikt nicht ganz gerecht wird. Es ist ein starkes Zeichen beispielsweise gewesen, in das Augustiner-Kloster in Erfurt zu gehen, dort wo Luther lebte, und zu sagen, Luther war ein Leben lang ein Gottsucher. Eine Tragödie dieses Besuches war, dass das, was er in diesem internen Gespräch gesagt hat, nicht öffentlich gemacht wurde, das heißt dann in der öffentlichen Veranstaltung so nicht wiederholt wurde. Papst Benedikt hat viel getan für die Verständigung mit den orthodoxen Kirchen, und Ökumene ist natürlich nicht nur ein einseitiger Vorgang im Sinne, die Katholische Kirche hat sich zu verändern. Aber in dieser Welt des notwendigen Dialogs der Religionen ist es ganz wichtig, dass auch der kommende Papst diese Entwicklung vorantreibt.

    Heckmann: Wie ist es denn um die Handlungsfähigkeit des neuen, des kommenden Papstes bestellt? Hans Küng, den ich gerade eben schon erwähnt habe, der hat vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Benedikt XVI. ja seinen Alterssitz auf dem Gelände des Vatikan gewählt hat, schon gewarnt vor der Gefahr, dass es einen Schattenpapst geben könnte.

    Glück: Diese Befürchtung habe ich überhaupt nicht. Papst Benedikt hat als Joseph Ratzinger sein Leben lang bei allem, was der einzelne kritisieren mag, eine absolute Diensthaltung für den Glauben und für die Kirche eingenommen, und aus diesem Verständnis heraus hat er auch den Rücktritt erklärt, weil er sich nicht mehr in der Lage sah, aufgrund seiner körperlichen Verfassung die Kirche zu leiten und zu führen. Ich bin mir ganz sicher, dass sich der bisherige Papst Benedikt nicht einmischen wird in die weitere Entwicklung. Er wird kein Schattenpapst sein, da habe ich keine Bedenken. Aber dieser Rücktritt wird in irgendeiner Weise das Amt verändern, auch ein Stück weit das Verständnis des Amtes, nimmt es vielleicht aus einer etwas überirdischen Position und damit verbundenen Erwartung mehr in eine Erdung. Was es weiter bedeuten wird, das kann man heute nicht abschätzen. Aber es ist kirchenhistorisch für das Papstamt wahrscheinlich von ganz großer Bedeutung, was jetzt geschehen ist.

    Heckmann: Es gibt bisher ja keinen klaren Favoriten. Wenn Sie zu entscheiden hätten, Herr Glück, für wen würden Sie sich aussprechen?

    Glück: Weiß ich nicht, weil ich den Kreis der Kardinäle da nicht kenne. Ich kenne nur einzelne, also natürlich die aus dem deutschen Sprachraum oder aus Deutschland und einige aus dem internationalen Bereich, aber ganz wenige. Von daher hätte ich jetzt da keinen Favoriten, denke ich. Ich würde auch sagen, es ist jetzt ja ein Findungsprozess, ein Findungsprozess einerseits im Kreis der anderen, weil es darf ja nicht nur die deutsche Perspektive sein oder die europäische. Ja, eine Überzeugung zu gewinnen, was ist mit Blick auf die Weltkirche als Ganzes und auf die Situation in Rom notwendig, um in einem zweiten Schritt zu überlegen, wer von den Persönlichkeiten könnte das am ehesten. Und es wird dann letztlich auch darauf ankommen, dass sich der neue Papst ein entsprechendes Team zusammenstellt, mit dem dann dies realisiert werden kann, insbesondere auch die notwendige Kurienreform. Denn nur so wird für die Kurie und die Leitung der Weltkirche das Vertrauen zurückgewonnen werden können, das jetzt doch in einem beachtlichen Umfang in Frage gestellt ist.

    Heckmann: Und was meinen Sie, wann wird weißer Rauch aufsteigen?

    Glück: Ja weiß ich nicht. Im Laufe dieser Woche.

    Heckmann: Im Laufe dieser Woche. Alois Glück war das, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, zum Beginn des Konklaves heute in Rom. Herr Glück, danke Ihnen für Ihre Zeit.

    Glück: Danke auch – auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Alois Glück (CSU), Präsident des bayerischen Landtages.
    Der Präsident des Zentralkomitess der Deutschen Katholiken, Alois Glück (AP)