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"Es muss wieder um die Konzepte gehen"

Der Neuaufbau der Liberalen gehe nicht von heute auf morgen, sagt der FDP-Fraktionsvorsitzende in Hessen, Florian Rentsch. Statt Personaldebatten zu führen, müsse man sich aber wieder mehr um Themen kümmern und Versprochenes umsetzen.

Florian Rentsch im Gespräch mit Gerd Breker | 19.09.2011
    Gerd Breker: Das Wahldebakel der FDP in Berlin wird wohl keine personellen Konsequenzen an der Bundesspitze nach sich ziehen. FDP-Generalsekretär Christian Lindner stellte klar, dass seine Partei auch an Außenminister Guido Westerwelle festhalten werde. Der ohnehin bestehende Eindruck mangelnder Geschlossenheit in der FDP werde sonst nur verstärkt, erklärte er heute Morgen hier in diesem Sender. Stattdessen wollen sich die Freidemokraten künftig in der Debatte über die Euro-Rettung
    profilieren. – Am Telefon sind wir nun verbunden mit Florian Rentsch. Er ist der Fraktionsvorsitzende der FDP in Hessen. Guten Tag, Herr Rentsch.
    Florian Rentsch: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Keine Denkverbote, haben wir vom FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler gelernt. Dann wollen wir uns daran auch mal halten. Der Neuanfang, Herr Rentsch, der ist doch gescheitert!

    Rentsch: Philipp Rösler hat ja die Partei in einer wirklich sehr schwierigen Situation übernommen und ich glaube, dass allen klar war, dass der Neuaufbau einer Partei, die so viel Vertrauen verloren hat, nicht von heute auf morgen geht, und ich erlebe ihn ja in den Gremien der FDP, wie er sehr vernünftig, ruhig und sachlich versucht, die FDP neu auszurichten und dafür Sorge zu tragen, dass wir auch in dieser Bundesregierung wieder mehr liberale Handschrift spüren. Das ist ja das Hauptproblem, dass die Wähler nicht das Gefühl haben, dass wir das gemacht haben, was wir gesagt haben. Und deshalb klar, das ist keine schöne Situation, in der wir sind, ganz im Gegenteil eine äußerst kritische, aber man kann definitiv nicht sagen, dass Philipp Rösler hier gescheitert ist.

    Breker: Und der Neuanfang mit Guido Westerwelle als Außenminister, der kann gelingen, trotz aller Argumente?

    Rentsch: Ich glaube nicht, dass in Berlin bei der Landtagswahl in irgendeiner Form das Thema Guido Westerwelle zur Wahl stand, sondern dass die Gesamtreform unserer FDP beurteilt worden ist und dass die Leute das Gefühl haben, dass wir einfach zu wenig umsetzen von dem, was wir sagen. Guido Westerwelle ist ja mit dem Parteitag im Mai in Rostock quasi Außenminister geblieben und die Partei hat sich auch dafür ausgesprochen. Ich glaube nicht, dass das ein ernsthaft wirklich wichtiges Thema ist, ob wir jetzt da Umsortierungen vornehmen. Ich glaube, das wäre völlig falsch stattdessen, sondern wir müssen jetzt einfach wieder vor allen Dingen uns um Themen kümmern. Und wenn ich mit Bürgern spreche, habe ich nicht das Gefühl, dass die sich über bestimmte Personen Sorgen machen, sondern die sagen, ihr habt nicht das umgesetzt, was ihr versprochen habt in verschiedensten Bereichen, und darum geht es. Und deshalb: Diese Personaldebatten sind lästig und sie nerven auch. Sie müssen deshalb aus meiner Sicht vor allen Dingen auch aus der Partei dringend aufhören.

    Breker: Herr Rentsch, wenn wir auf dieses Berliner Wahlergebnis schauen, das ist ja nicht knapp gescheitert an der Fünf-Prozent-Hürde, das ist ja unter zwei Prozent, das ist ja ein Debakel sonder gleichen, das ist doch mehr als einfach nur ein Signal, hey, die Partei brauchen wir im Moment nicht. Die Partei ist ignoriert worden vom Wähler!

    Rentsch: Ich glaube, dass man zunächst einmal in Berlin sehr genau schauen muss, was waren landespolitische Gründe. Das ist, denke ich, das eine. Wie haben die Berliner gewählt? Das bürgerliche Lager in Berlin ist nicht das größte, und wir erleben, jedenfalls das, was wir jetzt an Zahlen vorliegen haben, von Allensbach beispielsweise, dass es eine klare Linksrichtung auch in Berlin gab, die uns geschadet hat, gar keine Frage. Aber ich will überhaupt nicht verhehlen, dass das Ergebnis sicherlich von keinem in der Höhe so erwartet worden ist, und deshalb kann man nur das machen, was wir jetzt seit Wochen ja intern auch machen, sehr klug zu analysieren, was besser gemacht werden muss. Aber ich sage auch – das kennen Sie aus Ihrem privaten Umfeld -, Vertrauen zu verlieren, geht deutlich schneller, als Vertrauen wieder aufzubauen. Das weiß jeder Bürger und das ist bei Parteien, glaube ich, noch stärker ausgeprägt. Und deshalb: Ich glaube auch nicht, dass es eine Krise des Liberalismus ist. Liberale Themen sind gerade im Bereich der Ordnungspolitik, Marktwirtschaft, Bürgerrechte absolut aktuell, das sieht man auch an den Piraten. Aber anscheinend traut man uns die Lösungskompetenz für solche Fragen nicht zu. Daran müssen wir etwas ändern, ansonsten werden die nächsten Landtagswahlen genauso ausgehen wie diese.

    Breker: Und die FDP will sich in der Euro-Rettungskrise profilieren, so wie der Vorsitzende etwa, keine Denkverbote, Griechenland könne auch Pleite gehen, wo er das gleiche gesagt hat, was die CSU auch schon länger meint? Ist das eine eigene Meinung, eine eigene Position?

    Rentsch: Also ich glaube, zunächst einmal hat das ja die Bundeskanzlerin vor einem Jahr im Deutschen Bundestag vertreten, dass es natürlich auch für Länder – und da geht es nicht um Griechenland -, die bestimmte Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, auch in der EU, wenn sie an der gemeinsamen Währung teilhaben wollen, Szenarien geben muss. Und es drängt sich ja der Eindruck auf, dass die Griechen leider diese Schuldenkrise – und es geht um nichts anderes als um eine extreme Schuldenkrise – nicht meistern können, und für solche Länder brauchen wir ein Szenario, wie man mit diesen umgeht. Für mich ist wichtig, dass wir eine Europapartei sind und immer waren, auch einer der Gründe übrigens, warum ich in diese Partei eingetreten bin. Wir haben ein klares Bekenntnis zu Europa in den letzten 50 Jahren mehrfach abgelegt in schwierigen Entscheidungen, daran braucht niemand zweifeln.

    Aber es ist niemand europakritisch, der sich über Fragen der Verschuldung Gedanken macht, und darum geht es. Wir sind da ein bisschen ordnungspolitischer Kompass, wir erinnern ein bisschen auch die Kanzlerin daran, was sie selbst ja gesagt hat, was ja auch von anderen Unions-Vertretern gefordert wird, und nicht nur von denen, sondern von einer Reihe von Wirtschaftsweisen und Wirtschaftsvertretern und Wirtschaftsexperten, und das ist, glaube ich, nichts, wofür man sich in irgendeiner Form rechtfertigen muss, sondern es ist notwendig, diese Szenarien zu diskutieren. Aber auch dort: Wir werden dort nur sozusagen wieder auf den richtigen Weg kommen, wenn wir jetzt auch diesen richtigen Kurs, den Philipp Rösler angestoßen hat, mit konkreten Konzepten unterlegen, wie das Ganze auszusehen hat. Daran arbeitet die Parteiführung mit Hochdruck. Und da ist es wichtig: Es muss wieder um die Konzepte gehen - dafür müssen wir uns dann kritisieren oder loben lassen -, aber nicht mehr sozusagen über die Frage, ob wir das Richtige oder Falsche gesagt haben. Das ist eigentlich eine populistische Forderung, die von Sozialdemokraten und Grünen vor allen Dingen forciert wird nach dem Motto, das sei europakritisch. Nein, es ist europafreundlich, wenn man sich über die Probleme einiger europäischer Staaten konkrete Gedanken macht.

    Breker: Herr Rentsch, Sie sagen loben lassen, aber das Gegenteil war ja der Fall. Die Kanzlerin hat den Vizekanzler für seine Griechenland-Äußerung gerüffelt und Schäuble hat klargestellt, Moment, für die Euro-Rettung ist der Finanzminister zuständig.

    Rentsch: Wir erleben ja seit Anbeginn dieser Koalition eine sehr muntere Debatte über die Frage, wer für was zuständig ist. Ich glaube, zunächst einmal hat die Kanzlerin ja eine Richtlinienkompetenz in allen Bereichen, aber sie muss auch dem FDP-Parteivorsitzenden zugestehen, dass die wirtschaftspolitische Kompetenz und die ordnungspolitische Aufgabe, die die FDP hat, auch dazu führt, dass wir über diese Frage nachdenken. Das wäre falsch, wenn man das nur einer Partei oder einer Person überlassen würde. Ansonsten, glaube ich, bringt dieses Hin und Her zwischen CDU und FDP relativ wenig. Ich erlebe in Hessen, dass die Menschen von einer Regierung geführt werden wollen, sie wollen wissen, wohin will diese Regierung, und bei dieser Regierung weiß man das halt relativ häufig nicht, weil es unterschiedlichste Positionen gibt. Aber ich sage, bei so einer wichtigen Frage wie Europa will ich auch gar nicht, dass sozusagen ein Schweigegelübde auf alle verbreitet wird. Die Frage ist zu wichtig und sie muss auch offen diskutiert werden, ob es Konzepte gibt. Die Bundeskanzlerin wäre, glaube ich, manchmal gut beraten, ein bisschen auch mehr in ihre eigene Partei zu hören, denn der Zuspruch von vielen CDU-Mitgliedern in den letzten Tagen war an sich gering und ich glaube, das sollte die CDU auch bedenken, dass sie da nicht eine völlig isolierte Position ohne ihre eigene Basis vertritt.

    Breker: Nur die Position der FDP im Bund, Herr Rentsch, ist ja nicht die, dass die FDP so ohne Weiteres einen echten Koalitionskrach riskieren kann, denn Neuwahlen zum jetzigen Zeitpunkt, das wäre für die FDP doch so was wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

    Rentsch: Das haben Sie nett gesagt, das würde ich so nicht wiederholen wollen. Aber richtig ist, dass natürlich sowohl Christdemokraten als auch Liberale, glaube ich, kein Interesse an einem Bruch der Koalition haben dürfen, weil natürlich die Opposition mit Sicherheit nicht ihre Mehrheit der Kanzlerin geben würde, weiter zu regieren, sondern eher auf Neuwahlen heraus wäre. Insofern klar, wir sind ein bisschen zum Erfolg verdammt, aber für die FDP gilt, glaube ich, relativ klar, dass wir jetzt unsere Grundsätze, die wir haben, und unsere Überzeugung, die wir haben, nicht mehr, auch wenn das möglicherweise der Preis der Koalition wäre, zur Verfügung stellen, sondern wir müssen jetzt unsere klaren Überzeugungen auch in die Regierung, in das Handeln der Regierung übertragen. Nur so werden wir wieder von den Menschen ernst genommen. Deshalb ist das jetzt eine sehr, sehr ausgeprägte Krise. Auch die Krise der Europäischen Union und der Währung, die durch Griechenland bedroht ist, muss jetzt gelöst werden, und deshalb: Die FDP wäre schlecht beraten, jetzt nur, um den Koalitionsfrieden zu garantieren, einfach ihre Positionen einzupacken. Das wäre völlig falsch.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Meinung von Florian Rentsch. Er ist der Fraktionsvorsitzende der FDP in Hessen. Herr Rentsch, danke für dieses Gespräch.

    Rentsch: Vielen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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