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"Es wandern mehr ab als zuziehen"

Laut Stefan Luft ist es "eher schwerer denn leichter geworden", nach Deutschland einzuwandern. Gründe dafür seien die Verschärfung des Asylrechts in den 90er-Jahren und der Heiratsmigration durch die Forderung eines Nachweises einfacher Deutschkenntnisse im Herkunftsland.

Stefan Luft im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 11.10.2010
    Tobias Armbrüster: Das Thema Einwanderung scheint uns nicht mehr los zu lassen hier in Deutschland. Es ist gerade mal eine Woche her, dass der Bundespräsident mit seinem Satz "Der Islam gehört zu Deutschland" eine weitere Debatte angestoßen hat, da legt auch schon Horst Seehofer nach. Deutschland brauche keine weitere Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen, hat der bayerische Ministerpräsident in einem Interview gesagt, und auch der Fachkräftemangel lasse sich so nicht beheben. Schon übers Wochenende kam Widerspruch von allen Seiten. Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit Stefan Luft, er ist Migrationsforscher an der Universität Bremen. Schönen guten Tag, Herr Luft.

    Stefan Luft: Guten Tag, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Luft, zunächst mal: Wie leicht ist es eigentlich, aus der Türkei oder aus dem Nahen Osten nach Deutschland einzuwandern?

    Luft: Na ja, es gibt verschiedene Wanderungspfade. Da ist zunächst mal das Asyl. Das Asyl ist ja seit dem Zuwanderungskompromiss in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts sehr stark erschwert worden. Dann gibt es die Heiratsmigration, den Familiennachzug. Die Heiratsmigration ist ebenfalls erschwert worden, und zwar durch die Forderung eines Nachweises einfacher Deutschkenntnisse im Herkunftsland bei visapflichtigen Staaten. Dazu gehört auch die Türkei. Und dementsprechend ist die Zahl der Ehegatten, die als Heiratsmigranten zugewandert sind, in den vergangenen zwei, drei Jahren zurückgegangen. Also es ist eher schwerer denn leichter geworden, wobei man natürlich sagen muss, gerade bei der Türkei gibt es aufgrund transnationaler Netzwerke ohnehin starke Verbindungen, und es wird sich immer ein Weg finden, in die Bundesrepublik zu gelangen.

    Armbrüster: Wenn Sie jetzt sagen, die einzigen Möglichkeiten sind entweder das Asylrecht, oder der Familiennachzug, sind das Stellschrauben sozusagen, an denen man überhaupt noch etwas drehen kann?

    Luft: Nun, in beiden Fällen, würde ich sagen, lässt sich kaum noch etwas drehen. Da sind europarechtlich die Vorgaben zu definitiv. Wir müssen eher die Frage beleuchten, was im Zuge eines möglichen Beitritts der Türkei zur Europäischen Union auf die Bundesrepublik zukäme. Das wäre in der Tat eine neue Konstellation und darüber muss sicher gesprochen werden.

    Armbrüster: Aber wenn wir jetzt mal kurz noch im Hier und Jetzt bleiben, was halten Sie dann von den Forderungen von Horst Seehofer, diese Zuwanderung weiter einzuschränken?

    Luft: Nun, wir haben ja seit dem Jahr 2006 einen negativen Wanderungssaldo beispielsweise hinsichtlich der Zuwanderung aus der Türkei. Das heißt, es wandern mehr ab als zuziehen, zumindest was die offiziell Registrierten anlangt. Sicher muss das – und das ist ja auch in dem Beitrag schon gesagt worden – im Zuge der Debatte der vergangenen Wochen geführt werden. Sicher kann man sagen, die türkische Gruppe ist ja die größte Gruppe unter den ausländischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland und sie ist gleichzeitig diejenige mit den durchgängig schlechtesten Integrationsindikatoren, und deshalb ist es auf der anderen Seite natürlich notwendig, dass man darüber diskutiert, was könnte Zuwanderung für die Integrationsfähigkeit bedeuten.

    Armbrüster: Aber wenn Sie sagen, dass der Familiennachzug schon extrem stark reguliert wurde, kann man dann nicht davon ausgehen, dass das, was Horst Seehofer gesagt hat, eigentlich nur politische Stimmungsmache ist?

    Luft: Nun, das gehört ja zum politischen Geschäft, dass man sich politisch positioniert. Sicher ist es ohne Zweifel in erster Linie in dieser Richtung zu sehen, dass es ein Nachklapp ist zu der Sarrazin-Debatte und dass die CSU sich auch entsprechend politisch positionieren will. Ob das der Integration, dem Integrationsklima förderlich ist, darf man allerdings bezweifeln.

    Armbrüster: Sind die Einwanderer aus der Türkei und aus dem Nahen Osten, aus den arabischen Ländern denn tatsächlich integrationsunwilliger als andere Nationalitäten?

    Luft: Das ist eine pauschale Aussage, die ja auch Sarrazin getroffen hat. Die ist sicher so falsch. Der Integrationsprozess hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem von der Größe der zugewanderten Gruppe, und die türkische Gruppe ist mit 2,5 bis drei Millionen Menschen in der Bundesrepublik so groß, dass sie ethnische Kolonien in der Bundesrepublik bilden. Die Stadtteile in den verschiedenen Städten, in Duisburg-Marxloh, Hamburg-Wilhelmsburg, Berlin-Neukölln, sind alle bekannt. Und wenn diese ethnischen Kolonien sich über Jahre und Jahrzehnte institutionell vervollständigen, das heißt die Bewohner dort finden alles in türkischer Sprache, vom Reisebüro über den Arzt bis zum Rechtsanwalt bis zu Lebensmittelgeschäften, dann schlägt dort die Mobilitätsfalle zu, dann ist die Anziehungskraft der ethnischen Kolonie größer, als die Anziehungskraft der aufnehmenden Gesellschaft. Das ist zum Beispiel ein Faktor, der eine wichtige Rolle spielt, und zum anderen muss man natürlich auch sagen, dass die türkische Arbeitsmigration nach Deutschland geprägt ist durch bildungsferne Schichten, die wir ja bewusst angeworben haben. Wir haben ja in den 50er- und 60er-Jahren bewusst un- und angelernte Kräfte in die Bundesrepublik geholt, um durch sie die niederen Arbeiten, wie das Ludwig Erhard damals formuliert hat, erledigen zu lassen. Aus dieser Zuwanderung resultieren die Integrationsprobleme der zweiten und dritten Generation, und dann hat sich eine Kettenwanderung entwickelt, sprich es sind Ehepartner, Verwandte, Freunde, Bekannte über die Jahre und Jahrzehnte nachgezogen, und Kettenmigration ist immer ein dynamischer Prozess, der Grenzen überwindet, der Barrieren überwindet, und wir haben eben aus der Türkei eine sozial selektive Zuwanderung. Wir haben nicht in erster Linie die Akademiker aus Ankara oder Istanbul, die auch überhaupt kein Problem wären.

    Armbrüster: Herr Luft, Sie sprechen da jetzt schon das interessante Thema Selektion an. In der CSU heißt es ja jetzt auf einmal, man soll nur noch beruflich qualifizierte Einwanderer nach Deutschland lassen, also Leute, die Kenntnisse haben, die am deutschen Arbeitsmarkt benötigt werden. Ist eine solche Selektion nach Qualifikation, ist so etwas in Deutschland möglich?

    Luft: Nun, wir haben ja im Zuwanderungsgesetz schon eine arbeitsmarktorientierte Zuwanderung verankert, wir haben entsprechende Regelungen. Darüber gibt es Diskussionen, ob man beispielsweise die geforderten Verdienstgrenzen absenken soll, oder Ähnliches. Natürlich ist das möglich! Die Frage ist nur erstens: Drängen so viele Menschen in die Bundesrepublik, die hoch qualifiziert sind? Und die zweite Frage ist: Die anderen Kanäle, beispielsweise der Familiennachzug, die Heiratsmigration, die sind eben kaum steuerbar, weil wir entsprechend rechtlich national und international eingebunden sind.

    Armbrüster: Herr Luft, ganz kurz zum Schluss noch eine weitere Frage, und ich bitte um eine kurze Antwort. Es ist nun am Wochenende ist ein weiteres Thema hochgekocht: die sogenannte Deutschenfeindlichkeit. Das heißt, immer mehr Deutsche fühlen sich von Ausländern hierzulande beschimpft oder diskriminiert. Wie ernst ist das zu nehmen?

    Luft: Nun, es gibt natürlich Ressentiments in der deutschen Bevölkerung gegenüber bestimmten Ausländergruppen, die auch mit Ausländern im Alltag nichts zu tun haben, aber in diesen Ballungsräumen, in diesen ethnisch-sozialen Unterschichtenkonzentrationen vor allem an den Schulen gibt es das natürlich, dass sich die Gruppen – seien es nun türkische Gruppen oder andere – dort entsprechend artikulieren und versuchen, die deutschen Mitschüler einzuschüchtern, zu diskriminieren. Das gibt es und darüber darf man auch nicht hinwegsehen. Das sind in der Regel die sozial Schwachen, die nicht die Möglichkeit haben, andere Schulen aufzusuchen und aus diesem Stadtteil wegzuziehen.

    Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk war das der Bremer Integrationsforscher Dr. Stefan Luft. Vielen Dank, Herr Luft, für das Gespräch.

    Luft: Herzlichen Dank! Auf Wiederhören!

    Armbrüster: Auf Wiederhören!