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"Es waren alle Aktivisten friedlich"

Laut Inge Höger war der Versuch, die Gazablockade Israels zu durchbrechen, keine "Provokation, sondern eine politische Demonstration". Alle Aktivisten hätten sich friedlich verhalten. Gleichwohl habe sie von dem Angriff der Israelis nichts mitbekommen, weil sie unter Deck eingeschlossen war.

Inge Höger im Gespräch mit Dirk Müller | 02.06.2010
    Dirk Müller: Die aus sechs Schiffen bestehende Flottille war mit Hilfsgütern in Richtung Gazastreifen unterwegs, der von der israelischen Armee blockiert wird. Dann griffen die Eliteeinheiten ein. Offiziell wurden bei dem Einsatz mindestens neun Menschen getötet. Insgesamt befanden sich mehr als 700 pro-palästinensische Aktivisten an Bord der Schiffe, allein rund 600 an Bord des angegriffenen türkischen Hauptschiffes. Wütende Proteste in der internationalen Staatengemeinschaft sind die Folge. Nicht nur Washington und Berlin fordern eine lückenlose Aufklärung der Ereignisse. Israel steht wieder einmal am Pranger, aber viele Einzelheiten über den Verlauf der Auseinandersetzung sind noch nicht geklärt. Frei gekommen neben weiteren vier Deutschen ist die Bundestagsabgeordnete Inge Höger von der Linkspartei. Sie ist gestern nach Berlin zurückgekehrt. Guten Morgen!

    Inge Höger: Guten Morgen.

    Müller: Frau Höger, wie haben Sie die Militäraktion erlebt?

    Höger: Ich möchte erst noch mal darauf hinweisen, dass wir ja in friedlicher Absicht unterwegs waren, dass wir Hilfsgüter nach Gaza bringen wollten. Gaza wird lange schon von Israel durch die Blockade von allen Lieferungen beziehungsweise von den meisten abgeschottet. Wir wollten Hilfsgüter hintransportieren. Es war eine friedliche Aktion und die Reaktion, oder wie auch immer man das nennen soll, den Übergriff der israelischen Militärs auf dieses Schiff, den habe ich als völlig unverhältnismäßig erlebt, als einen kriegerischen Überfall auf die Passagiere.

    Müller: Wo waren Sie, als das passiert ist?

    Höger: Als es passiert ist, war ich unter Deck. Die Frauen waren zu ihrer Sicherheit, vermute ich mal, eingeschlossen. Wir hatten Schwimmwesten an und warteten der Dinge, die da kamen. Wir wurden aber über Lautsprecher informiert, aber eben zum Teil nur in Türkisch und auch in Englisch.

    Müller: Sie wussten also, dass was kommt?

    Höger: Wir wussten, dass was kommt. Zu der Zeit muss ja oben auf Deck schon die Schießerei losgegangen sein, als wir dann da saßen und gar nicht genau wussten, wie es nun weitergeht.

    Müller: Haben Sie etwas gehört, haben Sie etwas beobachten können?

    Höger: Ich habe nichts gehört, nein. Wir waren auf dem ersten Deck und das alles ist ja im vierten und fünften passiert. Da konnte ich nichts hören. Ich habe nur hinterher von ganz vielen Mitreisenden halt gehört, was passiert ist.

    Müller: Was haben die Ihnen erzählt?

    Höger: Die haben überwiegend erzählt, dass halt am Morgen die israelische Armee das Schiff mit vielen Schlauchbooten und sonstigen Kriegsschiffen umrundet haben, dass sich dann israelische Soldaten von Hubschraubern abgeseilt hätten, dass sie Tränengas und Ähnliches verschossen hätten und dann aber auch sofort losgeschossen hätten in die Menge, die sich auf dem Oberdeck befand.

    Müller: Wie ist das dann mit Ihnen und Ihren Kolleginnen weitergegangen?

    Höger: Die gesamten Frauen konnten dann, nachdem die Israelis sozusagen das Schiff übernommen hatten, zu den anderen Passagieren auf das zweite Deck kommen. Dort haben wir gemeinsam abgewartet, wie es weitergeht.

    Müller: Was haben Sie da gesehen?

    Höger: Da konnten wir sehen, dass halt die israelischen Militärs, hoch bewaffnet mit Maschinengewehren, an den Fenstern rundherum standen, immer wieder uns auch mit Lasern fixierten, und wir sahen halt einfach, dass da Krieg gespielt wurde.

    Müller: Dann sind Sie an Land transportiert worden?

    Höger: Wir wurden erst mal einzeln aus diesem Deck, wo wir uns dann noch gemeinsam befanden als Passagiere, aufgerufen, rausgeholt, durchsucht. Uns wurden unsere persönlichen Gegenstände weggenommen. Ich konnte nur meinen Pass behalten. Wir wurden mit Kabelbindern an den Händen fixiert, mussten dann aufs Oberdeck gehen, die Männer mussten knien, wir Frauen durften wenigstens sitzen. Da haben wir stundenlang gewartet. Später durften wir dann wieder runtergehen, durften etwas essen, aber es waren ständig bewaffnete Soldaten um uns, immer mit Maschinenpistolen, Luftgewehren im Ansatz.

    Müller: Wie sind Sie, Frau Höger, dann später in Haft behandelt worden?

    Höger: Ich bin ja nicht mehr in Haft gewesen. Als das Schiff dann abends in Israel ankam, da war da so ein Zelt aufgebaut, in dem die ganzen Passagiere noch mal durchsucht wurden, ein Protokoll mit ihnen aufgenommen wurde und auch medizinisch gefragt wurde, ob sie irgendwie erkrankt waren. Nach 14 Stunden, nachdem wir also 14 Stunden auf diesem Schiff gekidnappt worden waren, gab es erste Abfragen und wir haben uns dann ja entschieden, uns abschieben zu lassen, wenn die ganze Gruppe ausfliegen darf.

    Müller: Das hatte man Ihnen angeboten?

    Höger: Das hat man uns nicht angeboten. Man hat uns angeboten, klar, sich sofort deportieren zu lassen. Das heißt aber auch, es kommt zu keiner Anklage, man hat keinen Versuch, einen Rechtsanwalt zu sprechen, das Ganze ist juristisch nicht wirklich verfolgt worden. Aber man hat uns das angeboten und wir haben gesagt, wir gehen erst darauf ein, Annette Groth und ich, wenn die anderen drei Kollegen aus unserer Delegation auch rauskommen. Die waren zu dem Zeitpunkt noch nicht draußen. Wir hatten uns da als Abgeordnete natürlich auf unser Recht auch berufen, die Botschaft zu sprechen, um zu wissen, wie es weitergehen kann.

    Müller: Sie waren also als Parlamentarierin privilegiert?

    Höger: Wir waren als Parlamentarierinnen privilegiert.

    Müller: Wie haben die Israelis denn darauf reagiert?

    Höger: Ich konnte das nicht verstehen, wie die Reaktionen waren, aber ich hatte doch den Eindruck, dass das sehr feindlich und ablehnend uns gegenüber war.

    Müller: Sie haben eben, Frau Höger, hier im Deutschlandfunk gesagt, es waren friedliche Absichten. Sind das friedliche Absichten, eine Blockade zu durchbrechen?

    Höger: Man muss ja erst mal sagen, diese Blockade ist völkerrechtswidrig und wir wollten auf diese völkerrechtswidrige Blockade hinweisen, und ich denke schon, dass das zulässig ist und eine politische Demonstration ist, und wir haben das Ganze in friedlicher Absicht getan.

    Müller: Jetzt im Nachhinein betrachtet: War das töricht, ausgerechnet eine israelische Blockade durchbrechen zu wollen?

    Höger: Wir wussten, dass Israel das nicht so einfach geschehen lassen würde, aber mit dieser Reaktion haben wir nicht gerechnet.

    Müller: War das von Ihrer Seite aus eine bewusste Provokation?

    Höger: Von unserer Seite aus war es keine bewusste Provokation, sondern eine politische Demonstration, der Hinweis auf die Blockade durch Israel, die die Welt vergessen hat.

    Müller: War das politisch naiv zu denken, das geht alles glatt ab?

    Höger: Wir wussten ja auch, dass es nicht glatt abgeht.

    Müller: Aber warum sind Sie das Risiko eingegangen?

    Höger: Dieses Risiko, das hat niemand von uns erwartet, dass es wirklich Tote geben wird, dass da wirklich versucht wird, ein Boot zu kidnappen oder alle Boote. Wir haben mit Abschieben gerechnet, wir haben damit gerechnet, dass Kriegsschiffe vor uns auffahren und uns nicht weiterfahren lassen. Alle diese Dinge haben wir einkalkuliert, aber das sind ja Dinge, mit denen man umgehen kann.

    Müller: Waren alle Aktivisten friedlich?

    Höger: Es waren alle Aktivisten friedlich. Es hat ganz viele vorbereitende Gespräche gegeben. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass niemand Waffen mitnehmen solle, dass es darum ginge, diese ganzen Aktionen friedlich durchzuführen, dass man zwar versuchen würde, wenn es dazu käme, dass israelisches Militär auf die Boote käme, erst mal sich ihnen entgegenzustellen, aber auch friedlich. Es ist nie was anderes gesprochen gewesen.

    Müller: Würden Sie es noch mal tun?

    Höger: Das kann ich im Moment so nicht sagen, weil das einfach so heftig war, dass ich das auch erst mal verarbeiten muss.

    Müller: Die Bundestagsabgeordnete Inge Höger von der Linkspartei bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Höger: Bitte. Gerne geschehen.