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"Es waren im Wesentlichen Wahlkampfauftritte"

In der Vergangenheit hat es beim Politischen Aschermittwoch "substanzreichere" Auftritte gegeben, sagt der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter. Es sei fraglich, ob öffentliche Auftritte noch dazu geeignet sind, ernsthafte politische Diskussionen zu führen. Die Redner hätten sich "relativ oberflächlich" mit dem politischen Gegner auseinandergesetzt.

Heinrich Oberreuter im Gespräch mit Gerd Breker | 14.02.2013
    Dirk Müller: Sie versuchen, sich rhetorisch gegenseitig zu übertreffen, auch politisch. Auf jeden Fall ist für Unterhaltung gesorgt am politischen Aschermittwoch, der mancherorts gestern Abend spät, sehr, sehr spät zu Ende gegangen ist. Angriffe und Kalauer gegen und über den politischen Gegner. – Mein Kollege Gerd Breker hat darüber mit dem Politikwissenschaftler Professor Heinrich Oberreuter gesprochen.

    Gerd Breker: Offen gestanden, Herr Oberreuter, haben wir schon mitreißendere Auftritte beim politischen Aschermittwoch erlebt als in diesem Jahr.

    Heinrich Oberreuter: Na ja, also langweilig war es nicht und polemisch war es auch und zugespitzt. Ich würde eher sagen, substanzreichere Auftritte hätte es in der Vergangenheit gegeben als dieses Mal. Kurzweilig war es für die Leute in Zelt und Halle und an den anderen Orten durchaus.

    Breker: Es scheint, als ob die anstehenden Wahlen in Bayern wie im Bund irgendwo inspiriert haben, aber gleichzeitig auch ein wenig gehemmt haben.

    Oberreuter: Ja, das ist wohl richtig. Wenn man Bilanz zieht, dann waren es im Wesentlichen Wahlkampfveranstaltungen, und zwar Wahlkampfveranstaltungen, in denen man sich doch relativ oberflächlich mit dem politischen Gegner auseinandergesetzt hat, auch auf, man könnte fast sagen, bayerisch-burleske Weise die Leute durch den Kakao gezogen hat, auch übrigens von Politikern, die gar keine Bayern sind. Was man eigentlich deutlicher hätte haben können – und das ist die Zurückhaltung, auf die Sie anspielen -, das wäre die Auseinandersetzung um die Weichen stellenden Themen dieser Republik. Manchmal fragt man sich allerdings, ob öffentliche Auftritte, gerade noch dazu mit Massen und vor Massen, heutzutage noch geeignet sind, ernsthafte politische Diskussionen zu führen.

    Breker: Horst Seehofer muss sich, will sich wie seine Partei auch auf die Wahlen in Bayern konzentrieren, und da steht er ja eigentlich gut da.

    Oberreuter: Ja, er steht besser da, als man es vor Jahresfrist oder eineinhalb Jahren noch vermutet hat. Ich erinnere mich an Situationen, da hat die Partei tief aufgeatmet, weil die demoskopischen Umfragen sie über den 40 Prozent gesehen hat. Mittlerweile kann man davon ausgehen, dass die CSU für ein Wahlergebnis um 45 plus wenig X durchaus wieder geradestehen kann. Gleichwohl ist die frühere Sicherheit, die manchmal die Grenzen der Arroganz schon gestreift hat, noch nicht gegeben, und wenn man sich die Konstellation anguckt, dann steht es, wenn man so will, 42 für eine Dreierkonstellation gegen die CSU und 46 für die CSU. Da ist noch Gefährdungspotenzial oder Bewegungspotenzial drin und deswegen sieht Seehofer beides: Auf der einen Seite einen gewissen Aufwärtstrend, auf der anderen Seite fürchtet er die Gefahr, dass der noch nicht verlässlich sein könnte, und daran arbeitet er mit allen Mitteln der Polemik und auch der rigiden innerparteilichen Führung.

    Breker: Hauptsinn, Herr Oberreuter, dieser Veranstaltung ist ja die Mobilisierung der eigenen Wählerschaft. Ist das Horst Seehofer überzeugend gelungen, oder droht ihm, dass die Menschen sagen, na ja, eigentlich ist alles gelaufen, also warum soll ich zur Wahl gehen, es wird ja eh so kommen, dass die CSU wieder regiert?

    Oberreuter: Ja, genau diese Sicherheit fehlt eigentlich, und das dürfte wohl auch verantwortlich sein dafür, dass doch ein starkes Maß an Polemik in der Halle zu registrieren war. Vor allen Dingen aber eines scheint mir sehr deutlich geworden zu sein: die geradezu hemmungslose Identifizierung der Partei mit dem Freistaat Bayern. Alle Traditionen, die Geschichte, das Religiöse, in gewisser Weise auch die Katholizität, hat die Partei für sich reklamiert, als ob es keine Protestanten gäbe in diesem Freistaat, als ob nicht 50 Prozent der Wähler etwas anderes wählen als CSU und als ob nicht 30 Prozent der Wähler überhaupt nicht zum Wählen gingen. Also dieser Flügel der Traditions- und Heimatsorientierung und Bestimmung in der Argumentation ist sehr deutlich geworden.
    Das zweite, was sehr deutlich geworden ist, ist: Die Partei reklamiert für sich und für ihre Führung die Modernisierung des Freistaats Bayern nicht ganz zu Unrecht. Die starke Leistungsbilanz auf allen Gebieten, von der Wirtschaft bis zur Bildung, und die Fortführung dieser Modernisierung, beides muss man zusammen sehen und beides, also der Versuch, auf allen Pferden, die durch die politische Landschaft galoppieren, zu reiten, das ist die Strategie, aus dieser Ungewissheit doch Gewissheit zu machen und die Leute in der Tat davon zu überzeugen, an die Wahlurne zu gehen, denn die Mobilisierung nicht nur in der Halle, sondern die Mobilisierung am Wahltag ist die entscheidende Herausforderung.

    Breker: Wenn wir nun, Herr Oberreuter, alle Veranstaltungen nehmen, dann gibt es eine auffällige Gemeinsamkeit: Jeder kämpft für sich, von Lagerdenken war keine Rede.

    Oberreuter: Das ist evident so. Die FDP ist zum Beispiel in der Passauer Halle überhaupt nicht erwähnt worden, was ja eigentlich doch schon leicht verwundert. Das zweite Interessante ist: die Grünen veröffentlichen ausgerechnet am Aschermittwoch eine Umfrage, die sie auf den Spuren der SPD sieht, die SPD bei 19, die Grünen bei 15, und bei ihrer Veranstaltung sagen die Leute schon in die Kameras, wir sind dabei, die SPD zu überholen. Also die Merkelsche Strategie, jeder kämpft für sich und schaut, dass er seine Scheuer so voll wie möglich kriegt, die war an diesem Tage auch zu besichtigen. Koalitionsrücksichten und auch Koalitionsaussagen hat es eigentlich keine gegeben.

    Müller: Mein Redaktionskollege Gerd Breker im Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Professor Heinrich Oberreuter. Das Thema: der politische Aschermittwoch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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