Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Es wird dann sicherlich eine andere Hinrichtungsart geben"

Vor dem Hintergrund der Diskussion um die Hinrichtung mittels Giftspritze rechnet die Direktorin des Deutschland-Büros von "Human Rights Watch" nicht mit der Abschaffung der Todesstrafe in den USA. Keiner der Präsidentschaftskandidaten wage es beispielsweise, sich öffentlich gegen die Todesstrafe auszusprechen. Vor dem obersten Gericht der USA werde lediglich "die Praxis der Anwendung der Giftspritze überprüft".

Moderation: Sandra Schulz | 07.01.2008
    Sandra Schulz: Ein faktisches Moratorium gilt schon seit dem Herbst des vergangenen Jahres. Seitdem hat der Supreme Court, das oberste Gericht der USA, immer wieder Hinrichtungen gestoppt - mitunter in letzter Minute. So wird von einem Fall aus dem US-Bundesstaat Mississippi berichtet, in dem 19 Minuten vor der Exekution die für den Verurteilten rettende Nachricht eingetroffen sein soll. Hintergrund ist eine Verfassungsklage gegen die Hinrichtung mittels Giftspritze. Der Supreme Court in Washington verhandelt heute die Frage, ob diese Art der Exekution gegen das Verbot grausamer Strafen verstoße. Telefonisch bin ich nun verbunden mit Marianne Heuwagen, der Direktorin des Deutschland-Büros der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch". Guten Morgen!

    Marianne Heuwagen: Guten Morgen Frau Schulz.

    Schulz: Frau Heuwagen, es geht ja nicht um die Zulässigkeit der Todesstrafe als solche, sondern ausschließlich um die Hinrichtungsart. Welche Bedeutung hat das Verfahren da überhaupt?

    Heuwagen: Es geht ja vor allen Dingen um diese Todesspritze, die in 35 der 36 Bundesstaaten angewandt wird. Nur ein einziger Bundesstaat Nebraska wendet noch den elektrischen Stuhl an. Bei dieser Todesspritze, die sozusagen heute die gängige Todesart in den Vereinigten Staaten ist, sind wir der Meinung, dass die eine grausame und unmenschliche Strafe darstellt und es geht jetzt für das Bundesverfassungsgericht der Vereinigten Staaten darum festzustellen, ob das der Fall ist oder nicht. Das heißt: Wenn sie entscheiden sollten - und die Entscheidung wird mit Sicherheit auf sich warten lassen; also man kann jetzt nicht in unmittelbarer Zukunft damit rechnen, dass schon eine Entscheidung kommt -, kann damit die jetzige Praxis der Todesstrafe abgeschafft werden oder sie hat weiter Bestand, je nachdem wie die Richter sich entscheiden.

    Schulz: Das heißt der Streit um die Giftspritze ist mehr als ein Nebenschauplatz, obwohl die Todesstrafe als solche ja nach wie vor in den Vereinigten Staaten auch eine Mehrheit findet?

    Heuwagen: Man muss einfach zu dieser Giftspritze wissen, dass auch die Standards, unter denen diese Giftspritzen angewandt werden, in den einzelnen Bundesstaaten gar nicht mal veröffentlicht werden. Dieser Cocktail besteht ja aus drei Komponenten, erst einmal diesem Betäubungsmittel, dann diesem Medikament, das zur Lähmung der Muskeln führt, und dann dem Medikament, das zum eigentlichen Herzstillstand führt. Das ist Kaliumchlorid und wenn sie Kaliumchlorid bei Tieren anwenden und der Tierarzt kann nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass das Tier betäubt ist, dann gilt das als Tierquälerei in den Vereinigten Staaten. Man kann aber auch bei den Todeskandidaten nie mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob sie betäubt sind oder nicht, denn sie sind ja gelähmt und können sich gar nicht mehr äußern. Also diese ganze Art und Weise zu töten widerspricht den Tiergesetzen, aber bei Menschen wird sie angewandt.

    Schulz: Gibt es denn Anhaltspunkte dafür, dass die Richter in Washington diese Argumentation teilen werden?

    Heuwagen: Die Richter sollen jetzt ja vor allen Dingen entscheiden, ob dies nun verfassungsgemäß ist oder nicht. Es gibt neun Richter im Bundesverfassungsgericht der Vereinigten Staaten. Davon glauben wir zu wissen, dass vier sich vermutlich für die Beibehaltung der Todesspritze entscheiden werden, vier eventuell dagegen und die entscheidende Stimme wird von Richter Anthony Kennedy kommen. Dieser Richter, der noch von Präsident Reagan eingesetzt worden ist, ist ein Richter, der auch auf die Einhaltung von internationalen Standards Wert legt und der mit Sicherheit berücksichtigen wird, dass in dem internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte, also in dem zweiten Fakultativprotokoll von 1989, die Todesstrafe verboten worden ist. Und er wird den Blick über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus auf die Praxis lenken.

    Schulz: Könnte das dann insgesamt das Aus für die Todesstrafe in den Vereinigten Staaten bedeuten?

    Heuwagen: Das glaube ich nicht, weil es ja nicht um für oder wider die Todesstrafe geht, sondern nur um die Frage, ob die Anwendung der Todesspritze verfassungsgemäß ist oder nicht. Es hat ja schon einmal den Fall gegeben vor über 30 Jahren, also 1972, wo die Todesstrafe als verfassungswidrig anerkannt worden ist. Dann ist sie aber 1976 wieder eingeführt worden. Also das ist einer der so fundamentalen amerikanischen Konflikte. Kein einziger der jetzigen Präsidentschaftskandidaten übrigens wagt es, sich öffentlich gegen die Todesstrafe auszusprechen. Damit können wir also nicht rechnen. Wir können nur damit rechnen, dass die Praxis der Anwendung der Giftspritze überprüft wird und vielleicht zum ersten Mal endlich Standards formuliert werden, die dann in Zukunft angewandt werden müssen.

    Schulz: Das würde bedeuten, dass die Giftspritze dann nicht durch eine andere Hinrichtungsart ersetzt würde, sondern dass die Standards der Anwendung sich lediglich verändern würden?

    Heuwagen: Ja. Es wird dann sicherlich eine andere Hinrichtungsart geben. Es gibt ja jetzt schon die Möglichkeit. Zum Beispiel mit Barbituraten könnte man sehr viel sanfter die Menschen sozusagen ins Jenseits befördern, die Todeskandidaten, aber das wird nicht angewandt und man muss sich einfach mal überlegen warum, weil Hinrichtungen in den Vereinigten Staaten finden unter Zeugen statt. Bei so einem Barbiturat kann es 20 oder 30 Minuten dauern, bevor das wirkt, und man will den Zuschauern ersparen, dass sie das so lange mit ansehen müssen. Deshalb wird ja auch dieses Medikament gegeben, was die Muskulatur lähmt, wo man aber nicht weiß, ob der Todeskandidat dann noch fürchterliche Schmerzen hat, nur damit die Zuschauer nicht mit ansehen müssen, wie der Todeskandidat seinen Todeskampf führt.

    Schulz: Blicken wir noch auf eine Entwicklung, die gerade in eine andere Richtung weist, die derzeit in China stattfindet. Dort hat der Vizepräsident des obersten Gerichts gerade berichtet, die Giftspritze habe die Exekution durch Erschießung ersetzt. Wie ist das einzuordnen?

    Heuwagen: China ist ja leider nun der Weltrekordmeister, was die Anwendung der Todesstrafe anbetrifft. Es gibt ja keine genauen Zahlen. Sie werden nicht veröffentlicht. Seit Anfang letzten Jahres, also im Vorfeld der Olympischen Spiele, müssen ja wenigstens sämtliche Todesurteile vom obersten Gericht in China überprüft werden und wir verbinden damit die Hoffnung, dass vielleicht doch auch mehr rechtstaatliche Verfahren eingeführt werden, obwohl auch das nicht garantiert ist. Aber da wir ja schon der Meinung sind, also "Human Rights Watch" ist der Meinung, dass die Todesspritze an sich nicht eine humane Art ist, die Menschen ins Jenseits zu befördern, können wir das natürlich auch in China nicht gut finden.

    Schulz: China steht ja vor allem deswegen in der Kritik, weil die Todesstrafe auch für Verbrechen verhängt wird, bei denen gar keine Gewalt im Spiel war. Warum zeigt sich China eigentlich gegenüber der internationalen Kritik so unbeeindruckt?

    Heuwagen: Man geht von jährlich ungefähr 7.000 bis 10.000 Todesurteilen aus und man weiß nicht genau, wie viele vollstreckt werden, weil wie gesagt die Zahlen nicht veröffentlicht werden. Aber die Chinesen haben ja die Todesstrafe für ganz viele Strafen, ich glaube insgesamt 69 oder 70 verschiedene Strafen, zum Teil Dinge, die in unserem Rechtsverständnis als Belanglosigkeiten angesehen werden. Die werden aber in China dann schon gleich mit der Todesstrafe geahndet. "Human Rights Watch" hat ja im Vorfeld der Olympischen Spiele ein Moratorium für die Todesstrafe in China gefordert, aber bis jetzt ist es noch nicht erfolgt.

    Schulz: Wie wird sich die Anwendung der Todesstrafe in diesem Jahr, in dem die Olympischen Spiele in China stattfinden, entwickeln?

    Heuwagen: Man hat festgestellt, dass schon allein im letzten Jahr, seitdem die Urteile vom obersten Verfassungsgericht überprüft werden müssen, die Todesurteile ein wenig zurückgegangen sind. Wie viel, das weiß man nicht genau. Man spricht von zehn Prozent, aber man kann es ja gar nicht überprüfen, wenn die Zahlen nicht veröffentlicht werden. Wir gehen davon aus, dass es so weiter geht bis zu den Olympischen Spielen, wobei wir aber hoffen, dass die Chinesen sich dann doch noch vielleicht zu einem Moratorium durchringen im Vorfeld der Olympischen Spiele.

    Schulz: Einschätzungen von Marianne Heuwagen, der Direktorin des Deutschland-Büros der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch". Vielen Dank Ihnen!