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"Es wird etwas verlautbart und Journalisten haben es gefälligst weiterzugeben"

Im Zusammenhang mit dem mysteriösen Tod des Kreml-kritischen Journalisten Sergej Protasanow hat Deutschlandfunk-Korrespondent Robert Baag darauf hingewiesen, dass die Medien in der Nach-Putin-Ära erheblichen Repressionen ausgesetzt seien. Mittlerweile werde an russischen Journalistenschulen sogar ein Verlautbarungsjournalismus gelehrt, der die Regierenden schont, so Baag.

Robert Baag im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 01.04.2009
    Stefan Koldehoff: Der russische Journalist Sergej Protasanow ist tot. Er starb in einem Krankenhaus in Moskau, das berichtet die Zeitung "Bürgerabkommen", für die er gearbeitet hat. Damit hören die gesicherten Informationen über den Tod des Mannes aber auch schon auf. Während nämlich ein Polizeisprecher schon kurz nach der Tat wusste, dass Alkohol und Schmerzmittel die Ursache gewesen seien, berichteten Kollegen, Protasanow sei von Unbekannten überfallen und brutal zusammengeschlagen worden. Es ist dies nicht der erste Anschlag auf einen kritischen Journalisten, deshalb zunächst mal die Frage an den Moskauer Deutschlandfunk-Korrespondenten Robert Baag: Was war das für ein Blatt, für das er geschrieben hat?

    Robert Baag: Es ist ein kritisches Blatt, was an sich schon eine Seltenheit ist, auch in den Stadtteilen, in den Bezirken einer der wenigen. Und dieses Blatt hat sich unter anderem damit auch wohl Feinde gemacht, dass es über Umweltdelikte berichtet hat. Man muss wissen, dieses Chimki, dieser Vorort, liegt auf der Strecke zwischen dem Kreml und dem Flughafen Scheremetjewo, also ein Filetstück, was die ganzen Bodenbesitzverhältnisse angeht. Und dieses Blatt hat sich dadurch ausgezeichnet, dass es immer mutig gegen dunkle Geschäfte dort angeschrieben hat und sich sicher Feinde gemacht hat. Es ist nicht der erste Journalist, der dort angegriffen worden ist. Es hat einen Kollegen von ihm im Januar, von einer anderen Zeitung, der "Chimkinskaja Prawda", er ist ebenfalls zusammengeschlagen worden, liegt noch im Krankenhaus. In dem Fall des Kollegen Protasanow muss man allerdings zwei Varianten in Rechnung ziehen. Die Polizeiversion lautet, er sei aufgefunden worden und von der schnellen Nothilfe ins Krankenhaus gebracht worden und habe deutlich nach Alkohol gerochen, das ist die eine Variante. Die Umweltschützer in Chimki allerdings sagen, es sei davon auszugehen, dass er zusammengeschlagen worden ist. Eine Obduktion wird wohl veranlasst werden.

    Koldehoff: Aber auffällig, Herr Baag, ist schon - auch wenn man die ganze Angelegenheit nun nicht auf Kreml-Ebene hochhängt -, dass es immer wieder Journalisten sind, die angegriffen werden.

    Baag: Das ist richtig, Herr Koldehoff, und man muss sagen, dass die Zeiten der Präsidentschaft von Boris Jelzin als nun auch nicht alles Gold war und glänzte im Staate Russland, sich aber durch eines auszeichnete: dass der Journalismus nach sowjetischen Zeiten so etwas wie eine Blüte erlebt hat. Diese Blüten sind längst verwelkt. Ein wesentliches Merkmal der Putin- und Nach-Putin-Ära ist, dass nun ausgerechnet diese Berufsgruppe, die Journalisten, sich doch erheblichen Pressionen ausgesetzt sehen und - wie der aktuelle Fall zeigt oder der noch viel prominentere Fall, wer erinnern uns, im Oktober 2006, Anna Politkowskaja - dass hier wirklich für bestimmte Journalisten, die also recherchieren, die auch investigativ arbeiten, durchaus Gefahren für Leib und Leben herrschen.

    Koldehoff: Wo sehen Sie die Urheber, wenn nicht im Kreml?

    Baag: Russland - lassen Sie mich es beinahe etwas banal formulieren - ist ein großes Land und Russland setzt sich zusammen aus verschiedenen - so heißen sie jetzt auch - Gouvernements. Das sind so kleine Duodez-Fürstentümer, und es beileibe nicht nur der Kreml, wenn auch die meisten Gouverneure, fast alle Gouverneure inzwischen der sogenannten Kreml-Partei angehören, aber die haben natürlich ihre lokalen und regionalen Interessen. Und es kommt noch eins dazu, dass Journalisten, die dort tief in der Provinz arbeiten, natürlich außerhalb des Fokus' des Interesse auch der Weltöffentlichkeit stehen. Also wenn irgendwas in Moskau passiert, dann ist es klar, dass sofort auch ausländische Korrespondenten darauf anspringen. Aber wer erfährt schon, wenn zum Beispiel Jekaterinenburg, in Smolensk, in Wladiwostok oder in Chabarowsk, um einige willkürliche Namen zu nennen, ein Journalist angegangen wird, zusammengeschlagen wird? Es gibt sogar den Spruch von resignierten Kollegen hier in Russland, russischen Kollegen, die sagen: Es hat überhaupt keinen Sinn, solche Vorfälle zu melden, wir müssen halt die Backen hinhalten, das ist unser Berufsrisiko.

    Koldehoff: Jetzt kommen wir doch noch mal auf die Kreml-Ebene, auf die Regierungsebene und auf den lupenreinen Demokraten Putin zurück. Wie reagiert denn die Regierung? Wie reagiert Medwedew, wie reagiert Putin? Die müssten sich doch eigentlich hinstellen und der Weltöffentlichkeit erklären, wir finden das alles ganz skandalös und so kann es nicht weitergehen.

    Baag: Nun, vielleicht erinnern Sie sich noch, Herr Koldehoff, seine Reaktion damals, er war ausgerechnet in Dresden, Putin war damals auch noch Präsident, als das Attentat auf Anna Politkowskaja passierte. Nach einer gewissen Bedenkzeit verstieg er sich ja zu dem denkwürdigen Satz: Die tote Anna Politkowskaja schadet Russland mehr als die lebendige. Das verrät ja eine gewisse Geisteshaltung. Und diese Geisteshaltung, Journalisten zu behandeln wie - im sowjetischen Jargon würde man sagen - Transmissionsriemen, das heißt, es wird etwas verlautbart und Journalisten haben es gefälligst weiterzugeben, vor allen Dingen aber nicht negativ zu sein, das ist mittlerweile auch eine Haltung, die auch an Journalistenschulen durchaus so weitergegeben wird und zum Berufsverständnis gehört. So werden zum Teil junge Kollegen heranerzogen, die durchaus in ihrer handwerklichen Praxis sich sehr unterscheiden werden von dem, wie sich bei uns zum Beispiel Journalismus ausdrückt.

    Koldehoff: Deutschlandfunk-Korrespondent Robert Baag zum Tod des russischen Journalisten Sergej Protasanow.