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ESA-Generaldirektor Wörner
"Wir brauchen Brückenfunktionen in Zeiten von Krisen"

Für Jan Wörner, den Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA, erfüllt die Raumfahrt eine Brückenfunktion zwischen den Ländern. Er habe russische, amerikanische und deutsche Raumfahrer "genau zu den Zeiten verabschiedet, als die Krim-Krise begann", sagte er im Deutschlandfunk. Wörner hofft, dass sich Pioniergeist, Entdeckungsgeist und Neugier der Europäer weiterentwickeln.

15.01.2016
    Jan Wörner, Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA
    Jan Wörner, Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA (dpa / picture-alliance / Britta Pedersen)
    Rieger: 2015 hat sich in der Raumfahrt einiges getan: Mit dem Erwachen des Landers Philae auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko hat die Rosetta-Mission ihren Höhepunkt erreicht, und für das europäische Navigationssystem Galileo schweben inzwischen ein Dutzend Satelliten im All. Welches war Ihr Highlight für 2015?
    Jan Wörner: Ich werde als Generaldirektor natürlich nicht einzelne Missionen als Highlight herausziehen. Aber klar ist, dass mit der Rosetta-Mission etwas gelungen ist, was ich für ganz wesentlich halte, dass wir eben nicht nur gucken, rentiert sich eine Mission am nächsten Tag in Euro und Cent? Sondern dass, was ich glaube, was für europäische Werte viel wichtiger ist auf eine lange Frist, nämlich dass Pioniergeist und Entdeckungsgeist und Neugier, dass das Werte sind, die auch Europa über viele Jahrhunderte ausgemacht haben. Und dass diese Werte noch immer so aktiv sind, das, finde ich, war für mich besonders schön, dass die Menschen begeistert waren und sind von dieser Mission und dieser Aktivität. Das hat mich doch sehr erfreut, weil wir, glaube ich, gerade in der derzeitigen Diskussion, Schnäppchengesellschaft einerseits, Terroristengefahr andererseits, mal überlegen müssen, wie unsere Gesellschaft in die Zukunft sich bewegt.
    Rieger: Was erwartet uns 2016?
    Wörner: Wir haben für 2016 wieder eine Reihe von Missionen geplant und die sind soweit in der Vorbereitung, dass sie auch durchgeführt werden. Das heißt, wir werden noch weitere Galileo-Starts haben, insbesondere auch Galileo-Starts mit der Ariane fünf. Das heißt nicht nur zwei Satelliten, sondern vier Satelliten auf einmal ins Weltall schießen. Wir haben dann eine Mars-Mission, die Exomars-Mission, die aus zwei Teilen besteht, deren ersten Teil wir vorhaben, im März tatsächlich auf den Weg zu schicken. Die wird dann eine lange Zeit fliegen, Ende des Jahres dort den Mars erreichen. Und dann haben wir natürlich auch für die Erdbeobachtung mehrere Projekte, die in diesem Jahr als Satelliten dann auch in die Umlaufbahn kommen.
    Rieger: Jetzt war 2015 ja ein eher schwieriges Jahr für europäisch-russische Beziehungen. Ist Russland weiter ein verlässlicher Partner für die ESA?
    Wörner: Wir haben die sehr schöne Situation, dass die Beziehungen mit allen Ländern dieser Welt, die in der Raumfahrt aktiv sind, wirklich gut sind, ob das die USA sind, ob das Russland ist, ob das China ist oder Indien. Hinzu kommt, dass die Raumfahrt schon in der Vergangenheit immer wieder eine Brückenfunktion hat, und wir brauchen Brückenfunktionen in Zeiten von Krisen und ich selber war auch emotionell sehr berührt, als ich beim Start von Alexander Gerst von Baikonur aus verabschieden durfte einen Europäer deutscher Nationalität mit einem Russen und einem Amerikaner in einer kleinen Sojus-Kapsel, und das war genau zu den Zeiten, als die Krim-Krise begann. Raumfahrt kann diese Brückenfunktion haben und ich glaube, wir tun gut daran, sie auch weiterhin in diesen Krisenzeiten zu stärken.
    Rieger: Das Space Race der 50er- und 60er-Jahre ist ja sicherlich vorbei. Aber so ganz ist dieser Konkurrenzgedanke ja aus der Raumfahrt heutzutage auch noch nicht gewichen.
    Wörner: Tatsächlich gibt es natürlich in der Raumfahrt immer noch Wettbewerb. Wettbewerb ist auch prinzipiell gar nicht schlecht. Wettbewerb ist leistungssteigernd. Nur ist es nicht mehr der Konkurrenzkampf des Kalten Krieges, bei dem es um Image ging, sondern heute geht es dann manchmal auch darum, wie können wir auf der industriellen oder auf der wissenschaftlichen Seite durch besondere Leistungen punkten. Und da ist Europa im weltweiten Wettbewerb sehr, sehr gut.
    Rieger: Jetzt haben Sie vorhin gesagt, dass Sie sich besonders darüber freuen, über den Neugier-Aspekt der Raumfahrt und dass es nicht unbedingt alles auf Euro und Cent sich rentieren muss. In vergangenen Interviews haben Sie allerdings auch einen Paradigmenwechsel angekündigt, der zu einer größeren Kommerzialisierung der Raumfahrt führen muss.
    Wörner: Das widerspricht sich nicht, um das gleich zu sagen, sondern was wir tatsächlich beobachten, dass zunehmend kommerzielle Aspekte auch in die Raumfahrt kommen. Und das ist deshalb alleine schon gut, weil es einige der Aufgaben, die wir bisher mit staatlichen Mitteln machen mussten, etwas entspannt, und damit können wir mit den staatlichen Mitteln dann wieder andere Sachen intensiver betreiben, so zum Beispiel Telekommunikationssatelliten. Die Entwicklung von neuen Telekommunikationssatelliten ist nicht nur eine Aufgabe des Staates oder der Staaten, sondern das machen wir in gemeinsamer Public Private Partnership mit der Industrie, weil die natürlich auch hinterher davon den Vorteil haben. Das entspannt dann die Kassen des Staates oder der Staaten und dadurch haben wir dann die Möglichkeit, wieder andere Dinge intensiver zu betreiben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.