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ESM-Urteil
Rechtsprechung in Zeiten der Eurokrise

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Klagen gegen den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM zurückgewiesen. Einer deutschen Beteiligung in vollem Umfang gibt Karlsruhe damit nun endgültig grünes Licht. Wie der Europäische Gerichtshof auf diese Vorlage reagieren wird, ist völlig offen.

Von Stephan Detjen | 18.03.2014
    Der deutsche Rechtsweg endet zurzeit in einem Wald am Stadtrand von Karlsruhe. Weil der eigentliche Sitz des Bundesverfassungsgerichts direkt neben dem markgräflichen Barockschloss im Stadtzentrum renoviert wird, residiert das höchste Deutsche Gericht noch bis zum Herbst in einem ehemaligen Kasernengelände zwischen schmucklosen Verwaltungsgebäuden auf weitläufigen Rasenflächen.
    Heute wurde im Wald vor Karlsruhe wieder Recht gesprochen. Dass der permanente Euro-Rettungsschirm ESM hier doch noch eingefaltet werden könnte, stand nicht mehr zu befürchten. Die Richter wiesen mehrere Klagen gegen den ESM ab und haben damit heute einer deutschen Beteiligung - weiter wie bisher in vollem Umfang - grünes Licht gegeben.
    Gerichtspräsident Andreas Vosskuhle machte auch heute noch einmal deutlich, dass der ESM nicht gegen das Grundgesetz verstößt, wie es die Kläger vorgetragen hatten. Gegen den ESM hatten unter anderem die Linksfraktion, Bundestagsabgeordnete wie der CSU-Vizevorsitzende Peter Gauweiler, der Verein "Mehr Demokratie" sowie mehrere Rechtsprofessoren geklagt. Mit mehr als 37.000 Beschwerdeführern ist es die größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte des Gerichts.
    Dabei hatten die Kläger argumentiert, dass der 700 Milliarden Euro starke Rettungsfonds - den Deutschland mit 190 Milliarden Euro speist - das Budgetrecht des deutschen Bundestages außer Kraft setzen würde. Das Gericht entschied: Dem ist nicht so. Andreas Voßkuhle:
    "Trotz der eingegangenen Verpflichtungen bleibt die Haushaltsautonomie des Deutschen Bundestages hinreichend gewahrt."
    Wenig überraschendes Urteil
    Allerdings müsse der Bundestag der Ort bleiben, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden werde, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten, hieß es in der Urteilsbegründung. Zudem gaben die Richter der Politik auf, sicherzustellen, dass Deutschland im Fall der Fälle schnell zahlen kann. Anderenfalls verlieren die deutschen Vertreter ihre Stimmrechte in den ESM-Gremien – und das wäre nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Bundesregierung muss zudem jedes Jahr prüfen, wie hoch das Risiko ist, zusätzliche finanzielle Hilfen bereitzustellen. Dieses Geld ist dann – so das Urteil – im Bundeshaushalt zu verbuchen.
    Das Urteil heute ist wenig überraschend. Schon im September 2012 hatte das Gericht den Erlass einer Einstweiligen Anordnung gegen ESM und Fiskalpakt abgelehnt. Seitdem war klar, dass Karlsruhe die Euro-Rettungspolitik nicht vollständig blockieren würde. Heute waren lediglich die mehr oder weniger technischen Bedingungen zu bestimmen, unter denen Deutschland künftig an Maßnahmen des ESM mitwirken darf.
    Es ist eine lange und verwickelte europäische Rechtsgeschichte, die bis zu diesem Urteil geführt hat. Damit zu Ende ist sie noch nicht. Die Prozessbeteiligten wissen, dass sie sich auch in Sachen Euro-Rettungspolitik in Karlsruhe wiedersehen werden, zum Beispiel der Göttinger Staatsrechtler Frank Schorkopf, der den Prozess als Rechtsbeistand der Europäischen Zentralbank EZB begleitet hat.
    "Der andere Teil, der vor allem die Europäische Zentralbank und ihr Handeln betrifft, dieses Verfahren wird fortgesetzt, sodass in einiger Zeit der Fall wieder in Karlsruhe landen wird und dort dann letztlich eine Endentscheidung zu treffen ist."
    Die bislang größte Sensation in diesem Prozess war im Februar dieses Jahres die Entscheidung der Karlsruher Richter, die Rechtsfragen, die das Mandat der EZB und ihr umstrittenes Ankaufprogramm für Staatsanleihen betreffen, vom Rest des Verfahrens abzukoppeln und dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorzulegen. Erstmals in seiner Geschichte hat das Bundesverfassungsgericht damit einen Rechtsfall in die Hände der Kollegen in Brüssel übergeben. Von dort wird er nach Karlsruhe zurückkehren.
    Doch nicht nur diese rechtshistorische Neuheit machte den Streit um ESM, EZB und Fiskalpakt zu einem der ungewöhnlichsten Verfassungsgerichtsverfahren der jüngeren Zeit. Die Richter begaben sich in diesem Prozess nicht nur auf einen bis heute offenen Konfrontationskurs mit dem Europäischen Gerichtshof, sondern auch auf nie da gewesene Grenzgänge und Gratwanderungen zwischen Politik, Recht und Ökonomie. Zuweilen kam man dabei hörbar ins Stolpern:
    Voßkuhle:
    "Das sind 190 ... . Milliarden, 24.000, äh. 24 Millionen 800.000 Euro…"
    Schon das verbale Jonglieren mit den astronomischen Summen, die bei den Euro-Rettungsmaßnahmen im Spiel sind, erwies sich für Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle als ungewohnte Übung. Die mündliche Verhandlung im Sommer vergangenen Jahres war in weiten Teilen zu einem Rededuell tief zerstrittener Ökonomen geworden, die die Richter mit den Glaubenssätzen ihrer jeweiligen volkswirtschaftlichen Lehre auf ihre Seite zu ziehen versuchten. Juristen - beobachtet der Staatsrechtslehrer Frank Schorkopf – gehen solche Situationen eigentlich gegen das fachliche Naturell:
    "Deshalb gibt es immer diese Blut-Hirn-Schranke zwischen den Tatsachen der außerrechtlichen Welt und des Rechts, an der dann der Jurist steht."
    Mit den Zustimmungs- und Ausführungsgesetzen des Bundestages zu ESM und Fiskalpakt aber waren ökonomisch begründete Antworten auf die Euro-Krise zu Paragrafen geronnen, die auf dem Karlsruher Prüfstand an den Maßstäben der Verfassung gemessen werden sollten. Franz Schorkopf fürchtet, dass die Richter damit vor eine kaum zu erfüllende Aufgabe gestellt wurden:
    "Es ist dem Richter nicht zuzumuten und sicher auch nicht sinnvoll, dass wir nun durch die Übernahme dieser Konzepte, dass die jetzt anfangen über richtig und falsch ökonomischer Theorien zu entscheiden. Das können sie gar nicht. Das können die Ökonomen noch nicht mal selbst."
    Durch die Vorlage der Karlsruher Richter an den Europäischen Gerichtshof muss es im nächsten Abschnitt dieser Auseinandersetzung nun auch in dem seit Jahren schwelenden Machtkampf zwischen den obersten Richtern Deutschlands und Europas zum Schwur kommen. Selbst für ansonsten nüchterne Wissenschaftler hat das etwas von einem spektakulären Showdown.
    Um den Lesern eines amerikanischen Fachjournals zu erklären, was sich da in Europa gerade abspielt, zitiert der Bielefelder Verfassungsrechtler Franz Mayer in einem dieser Tage erscheinenden Aufsatz eine Szene aus dem Film "Rebel Without a Cause" mit James Dean, der in Deutschland Mitte der 1950er-Jahre unter dem Titel "Denn sie wissen nicht, was sie tun" berühmt wurde:
    In dem Film rasen zwei übermütige Jugendliche mit ihren Autos auf eine Steilklippe zu. "Wer als erstes aus seinem Wagen springt, ist ein Feigling", ruft Buzz Anderson seinem von James Dean gespielten Gegenspieler zu.
    "Was – glaube ich – schon stimmt an dem Bild, ist, dass es hier so eine Zwangsläufigkeit gibt, in der sich ein Schritt aus dem anderen ergibt, und aus dieser Dynamik findet man nicht ohne weiteres heraus",
    sagt Franz Mayer über die Filmsequenz, mit der er seine wissenschaftliche Analyse des Verhältnisses von Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof einleitet. Rasen da tatsächlich gerade zwei tollkühne Gerichte auf den Abgrund der europäischen Verfassungslandschaft zu?
    "Genau gesehen ist es hier ja vielleicht so, dass das Bundesverfassungsgericht allein unterwegs ist und der andere Wagen ist noch gar nicht losgefahren und man hat es nur noch nicht gemerkt."
    Wie der Europäische Gerichtshof auf die Vorlage aus Karlsruhe reagieren wird, wann er sich mit der Sache befasst, seine Antworten auf die Fragen des Bundesverfassungsgerichts formuliert und dorthin zurückschickt, ist völlig offen.
    Klar ist nur, dass die Karlsruher Richter bis zuletzt an ihrem Anspruch festhalten wollen, am Ende noch einmal selbst zu entscheiden, ob die Europäische Zentralbank mit ihrem sogenannten OMT-Programm zum unbegrenzten Aufkauf von Staatsanleihen ihr Mandat überschritten hat. Zwar soll über Handlungen der EZB nach den Europäischen Verträgen allein der Luxemburger Gerichtshof urteilen. In Ihrer Vorlageentscheidung vom Februar aber lieferten die Karlsruher Richter die Antworten gleich mit, die auf ihre Fragen aus Luxemburg zu hören waren. Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts hat die EZB die Grenzen ihres Mandats danach deutlich überschritten – und damit auch das Bundesverfassungsgericht herausgefordert, das seit langem in Lauerstellung auf einen solchen Fall wartete:
    "Wann hat das angefangen? Ich glaube mit dem Maastricht-Urteil",
    beobachtet der Verfassungsrechtler Franz Mayer. In seinem Urteil zum Maastricht-Vertrag begründete das Bundesverfassungsgericht 1993 seinen bis heute geltenden Anspruch, den europäischen Integrationsprozess als Hüter des Grundgesetzes und deutscher Staatlichkeit zu überwachen.
    "Man wird das vielleicht historisch mal aufklären können, wenn man in Archiven nachlesen kann, wer das genau veranlasst hat. Aber eine Variante der Geschichte lautet, dass man eben damals schon im Gericht – Berichterstatter war damals Paul Kirchhof, der vielleicht auch einen gewissen Gestaltungsdrang da hatte, unbedingt, was zur Sache sagen wollte. Aber dazu musste eben gelingen, eben diese Verfassungsbeschwerden zulässig zu machen."
    Aus Sicht des Bielefelder Verfassungsrechtlers Franz Mayer war das eine zukunftsweisende Weichenstellung der Maastricht-Entscheidung von 1993: Sie habe faktisch für alle deutschen Bürger das Tor nach Karlsruhe aufgestoßen, um sich dort mit Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen im europäischen Integrationsprozess zu wehren.
    So lagen auch dem jetzigen ESM- und EZB-Verfahren nicht nur Klagen von Bundestagsabgeordneten zu Grunde, die sich in ihren Parlamentsrechten verletzt fühlten, sondern zugleich auch Tausende von Verfassungsbeschwerden. Der wortmächtige damalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof, den viele Beobachter bis 1999 als treibende Kraft hinter der Europarechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sahen, erklärte 2009 rückblickend in einem Hörfunkinterview die unmittelbare Verbindung, die das Gericht zwischen Integrationsprozess auf europäischer und Demokratieprinzip auf nationaler Ebene sieht.
    "Der Bürger in dieser Demokratie ist gut aufgehoben, wenn das Parlament in seinen Aufgaben und in ihrer Wahrnehmung die Integrationsverantwortung verantwortlich gegenüber dem deutschen Bürger begleitet."
    Selbstbewusst artikulierte damals Kirchhof damit jenes richterliche Selbstverständnis, mit dem sich das Bundesverfassungsgericht zum Garanten von Demokratie und nationalstaatlicher Identität im zusammenwachsenden Europa erklärte:
    "Heute waren deutsche Europäer mit einem starken Sinn für Demokratie am Werk. Das will die Verfassung so, und dementsprechend will es das Verfassungsgericht so."
    2009 demonstrierte das Bundesverfassungsgericht mit dem Lissabon-Urteil noch einmal den Anspruch, sich der politischen Eigendynamik in Europa machtvoll entgegenstellen zu können. Wohlwollend beobachtete damals der Vater der Karlsruher EU-Rechtsprechung, dass sich auch die nachfolgende Richtergeneration in die von ihm begründete Tradition gestellt hatte. Das Lissabon Urteil schien nunmehr einen definitiven Schlusspunkt für den Integrationsprozess zu definieren:
    "Bisher ging es immer vorwärts und vorwärts, und man wusste nicht, ob es einen Haltepunkt gibt. Jetzt ist klar: die Europäische Union, die vom Grundgesetz gewollt ist, darf auf der Grundlage dieser Verfassung kein Bundesstaat werden. Insofern hat der Bürger Rechtssicherheit. Die Zweifel "Wohin geht der Europäische Weg?" sind ausgeräumt."
    Viele Beobachter und Kommentatoren interpretierten die Karlsruher Lissabon-Entscheidung von 2009 als ein höchstrichterliches Stoppschild: Bis hier hin – und nicht weiter.
    Doch dann kam die Banken- und Finanz-Krise. Und die Politik hatte nur eine Antwort:
    "Mehr Europa, das ist die Parole",
    rief die Kanzlerin auf dem Höhepunkt des griechischen Staatsschuldendramas. Und EZB-Chef Mario Draghi sprach bald darauf – im Krisensommer 2012 - jenen berühmten Satz, mit dem er die aufgewühlten Märkte zur Ruhe zwang, zugleich aber die Kritiker der Euro-Rettungspolitik auf die Karlsruher Barrikaden trieb:
    "Innerhalb unseres Mandates werden wir alles tun, was nötig ist, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird genug sein",
    versicherte Draghi damals. Nur dass sich die EZB dabei tatsächlich noch in den Grenzen ihrer Befugnisse bewegte, wollen ihm die Karlsruher Richter nach wie vor nicht glauben.
    "Nur als demokratische legitimierte Rechtsgemeinschaft hat Europa eine Zukunft.",
    mahnte Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle darauf im Herbst 2012 in der ersten Karlsruher ESM-Entscheidung und unterstrich damit noch einmal, um was es aus Karlsruher Sicht in der Auseinandersetzung wirklich geht. Auch wenn das Gericht damals dann doch noch einmal grünes Licht für den Euro-Rettungsschirm signalisierte, machte es deutlich, dass die Umsetzung immer mit einer Reißleine verbunden bleiben müsse:
    Voßkuhle:
    "Die Bundesrepublik Deutschland muss zum Ausdruck bringen, dass sie an den ESM-Vertrag insgesamt nicht gebunden sein will, falls sich die von ihr geltend zu machenden Vorbehalte als unwirksam erweisen sollten."
    Der Ton des Gerichts aber hatte sich schon in den letzten ESM-Entscheidungen im Vergleich zu den ultimativen Warngebärden der Maastricht- und Lissabon-Urteile gewandelt. Er war weniger apodiktisch geworden, sandte dafür aber immer wieder Zeichen der Dialogbereitschaft in Richtung Luxemburg aus. Das liegt auch daran, dass die Karlsruher Richter sich keineswegs mehr allein an die deutsche Öffentlichkeit wenden, beobachtet der Bielefelder Verfassungsrechtler Franz Mayer:
    Bundesverfassungsgericht als Vorbild für ausländische Gerichte
    "Da fällt einem zunächst einmal ja auf, dass das Bundesverfassungsgericht sich ganz offenbar selbst ja durchaus in einer Rolle sieht, die über die Grenzen Deutschlands hinaus weist. Warum sonst würde man ganze Entscheidungen auf Englisch veröffentlichen? Und zwar zeitnah zu der Verkündung des deutschen Originalurteils."
    Tatsächlich ist das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren immer mehr zum Bezugspunkt für die Rechtsprechung der Verfassungsgerichte in anderen Mitgliedsstaaten geworden. Und es sind besonders die eurokritischen Länder, in denen das höchste deutsche Gericht als effektives Bollwerk gegen eine ausufernde Unionsmacht gesehen wird. So berief sich Anfang dieses Jahres der Britische Supreme Court in einem Atemzug mit der Bill of Rights von 1689 auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, um zu begründen, warum ein britisches Eisenbahn-Großprojekt unbehelligt von Brüsseler Umweltstandards vorangetrieben werden könne:
    Noch radikaler als die Londoner und Karlsruher Verfassungsrichter ging bisher nur der tschechische Verfassungsgerichtshof auf europarechtlichen Konfrontationskurs und erklärte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs kurzerhand für nicht anwendbar. Sowohl mit den tschechischen als auch mit den britischen Oberrichtern pflegen die Karlsruher enge, kollegiale Verbindungen. Erst vergangene Woche empfing Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle seinen tschechischen Kollegen Pavel Rychetský mit einer Prager Richterdelegation zum Meinungsaustausch in Karlsruhe. Man habe sich über die "Kooperation mit dem Europäischen Gerichtshof" unterhalten, hieß es anschließend aus dem Bundesverfassungsgericht. Demnächst soll eine Karlsruher Delegation nach London reisen, um den Austausch mit den britischen Lordrichtern zu pflegen.
    Solche Ausflüge sind seit Jahren Teil einer höchstrichterlichen Diplomatie in alle Richtungen. Auch mit den Luxemburger Kollegen tauscht man sich regelmäßig aus. Sogar der EU-Kommission in Brüssel hat das Bundesverfassungsgericht schon einen Besuch abgestattet. Gerichtspräsident Voßkuhle hat dafür den Begriff eines "Europäischen Verfassungsgerichtsverbundes" geprägt, auf dessen Zusammenwirken sich das Gericht auch in seinen Urteilen immer öfter beruft.
    Das Bild des Gerichtsverbundes passe in eine Zeit, in der man auf staatlicher Ebene konfrontative Auseinandersetzungen gerne in Kommunikationsprozessen auflöse, beobachtet der Staatsrechtler Frank Schorkopf. Zugleich aber gehe die zunehmende Informalität der höchstrichterlichen Kommunikation mit einem Verlust an Klarheit, Berechenbarkeit und Ordnung einher:
    "Aber die Frage, wer sich durchsetzt mit seiner Auffassung in einem Konflikt und wie das geschieht und was dann gilt und wem zu folgen ist, das sind ja die Fragen, die Beamte stellen und die auch Politiker fragen: 'Wem müssen wir nun folgen?' Die werden nun natürlich auch ein Stück weit in eine Nebelbank gebracht. Weil eben auch nicht so klar ist, ob jetzt nur die Entscheidungen zählen oder auch die Reden der Beteiligten, ob Aufsätze in Zeitschriften, wie eigentlich dieser Verbund also kommuniziert und agiert."
    Eine klare Regel dafür, wer in einem langwierigen Prozess wie dem um die Befugnisse der EZB das allerletzte Wort hat, kann und soll es im nebligen Kommunikationsverbund der Gerichte nicht mehr geben. Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts soll eine elaborierte Gesprächs- und Wahrnehmungskultur gewährleisten, dass jenseits aller starr formulierten Rechtssätze und Urteilssprüche ein wechselseitiges Verfassungsverständnis in Europa wächst, das offene Konfrontationen der Gerichte mit ungewissem Ausgang verhindert. Beobachter wie Franz Mayer allerdings nehmen das Bundesverfassungsgericht nach wie vor skeptischer wahr:
    "Ich glaube schon, dass es Signale gibt, die darauf hindeuten, dass man eher in einer konfrontativen Haltung verharrt, den EuGH fast als Gegner sieht. Das würde man natürlich öffentlich so nie sagen. Aber es gilt dann doch dieses alte englische Wort: Man muss den Pudding dann doch mal essen, um rauszufinden, was gemeint ist."
    Ein Lehrsatz von universeller Anwendbarkeit, den auch Angela Merkel in dem ihr eigenen Pragmatismus schon zum Maßstab ihrer Politik gemacht hat:
    Für die europäischen Verfassungsjuristen ist der noch offene Teil des Prozesses um die Euro-Rettungspolitik der Pudding, den es in den kommenden Monaten zunächst in Luxemburg und dann irgendwann erneut in Karlsruhe zu verkosten gilt. Erst danach wird sich herausstellen, ob der Wettstreit der obersten Gerichte ein besseres Ende nimmt, als das Rennen der jugendlichen Rebellen im James-Dean-Film der 50er-Jahre: