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Esoteriker unter sich

In Bad Homburg werden zwei Außergewöhnliche der Kunstgeschichte gegenübergestellt: der Aktionskünstler Joseph Beuys und der Maler Franz Marc. Als Brücke und Mittler zwischen beiden dient den Ausstellungsmachern Marcs Zeitgenosse Ewald Mataré, der auch Lehrer von Beuys war.

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Michael Köhler | 13.12.2011
    Joseph Beuys: "Die Kunst kann dieses und jenes Gesicht zeigen. Sie kann ihr vergangenes, nicht mehr wirksames Gesicht der zwar unerhörten großen Signale zeigen, aber die Kunst kann auch ihr Menschenantlitz zeigen, das heißt ihren anthropologischen Charakter zeigen. Das heißt, da liegt die Schwelle, wo etwas ganz Neues geboren wird aus dem Menschen heraus, was man anthropologische Kunst, soziale Kunst nennen könnte."

    Michael Köhler: Die Kunst, sie kann ihr Menschenantlitz zeigen. Joseph Beuys war das. - Blaue Lämmer, gelbe Kühe, rote Katzen, die durch die Lüfte fliegen, sie treffen auf ... Ja, auf was, Christiane Vielhaber? Filz, Schienen, Lebensmittelkonserven der Kriegszeit in einer Ausstellung in Bad Homburg trägt den Titel. Sie macht Begegnungen zwischen Franz Marc, Joseph Beuys und Ewald Mataré möglich. Der farbexklusive Maler des Expressionismus Franz Marc trifft auf den Aktionskünstler. Gibt es da Gemeinsamkeiten?

    Christiane Vielhaber: Ja, die gibt es. Die gibt es vor allen Dingen im Flur dieser kleinen Villa, wo von allen drei Künstlern Zitate angebracht sind, und da ähneln die sich sehr. Wenn ich eben das Beuys-Zitat hier aus dem Radio gehört habe - da steht zum Beispiel von Beuys, dass die Männer den Kopf im Boden haben, und die Frauen - darum nimmt er die Frauen; er nimmt auch die Tiere, da kommt er sich vor wie ein Höhlenzeichner -, aber die Frauen blicken hoch in die Sphäre. Und wie gesagt: der Höhlenzeichner. Der Beuys, der in Bad Homburg jetzt gezeigt wird, ist der andere Klischee-Beuys, wenn die Leute immer sagen, Fett und Filz, und dann gibt es welche, die sagen, aber die Zeichnungen musst du sehen.

    Köhler: Diese Rötelzeichnungen!

    Vielhaber: Ja, zum Beispiel. Und das ist hinreißend. Da ist Beuys auch plötzlich witzig. Er hat dann so eine Robbe, die auf ihrem Schwanz tanzt, und dann steht die da so ganz fast lebensgroß auf diesem Blatt - das sind fast alles nur Zeichnungen und Grafiken natürlich. Oder dieser Elch oder so ein skelettiertes Schaf, was da liegt, das ist einfach wunderbar zu sehen, und es ist wunderbar zu sehen, wo Beuys herkommt, und man weiß nun mal, dass er '48 angefangen hat, an der Düsseldorfer Akademie bei Ewald Mataré zu studieren. Er hat mit ihm mitgearbeitet an den Türen des Südportals des Kölner Doms. Und wenn sie einen Raum haben mit Mataré, wo sie nicht nur von Mataré grafische Blätter haben mit diesen Kühen, sondern auch plastisch geformte Kühe wie Handschmeichler, und dann gehen sie einen Raum weiter, wo dann die Beuys-Folge der Räume beginnt, und dann sehen sie da so eine kleine Kuh aus lauter Dreiecken mit diesen spitzen Öhrchen, und das ist genau Mataré. Also da sehen sie wirklich, wo Beuys eigentlich auch herkommt.

    Köhler: Ich habe jetzt nicht mitgezählt, aber es fällt leicht, Übereinstimmung festzustellen. Von Kühen war die Rede, man müsste eigentlich wahrscheinlich auch von Hasen sprechen, von Katzen, von Hirschen, Elchen und so weiter. Liegen die Gemeinsamkeiten nur im Motivinventar? Denn wenn Beuys eine Robbe, eine Kuh oder einen Elch machte, dann bestand das doch nur aus ein paar Strichen, oder?

    Vielhaber: Die Ausstellungsmacher versuchen, bei Franz Marc und bei Joseph Beuys irgendwie einen sakralen oder einen religiösen Hintergrund auszumachen. Ich meine, bei Beuys wird ja das, was vielleicht am Anfang religiös motiviert war, doch zu einer ganz individuellen Mythologie. Und so eine Hasenfrau, da frage ich mich dann doch, das kann ich eigentlich nicht mehr aus der Heilsgeschichte herleiten. Bei Franz Marc ist es so eigentlich ein Hass auf den Menschen, dass er glaubt, im Tier ist alles, das Tier ist im Einklang mit der Natur. So heißt ja auch diese Ausstellung, und das geht ganz haarscharf an den Kitsch. Wenn er zwei Pferdchen aus Bronze - oder die hat er natürlich erst mal geformt aus Ton oder Gips -, wenn er die so zeigt, das eine Pferd hat hinten den Schweif so hoch und das andere Pferd legt seinen Kopf rein, und vorne ist es genauso, Schweif im Kopf, dann tanzen die so ein Ringelreihen. Das ist eine Harmonie, die da beschworen wird, oder ein verlorenes Paradies, was jetzt noch mal aufgerufen wird.

    Köhler: Jetzt drehen wir mal den Spieß herum, oder tauschen die Rollen. Ich frage Sie jetzt mal: Haben die vielleicht als moderne Höhlenzeichner nicht dann doch was Gemeinsames, dieses Animalisch-Animistische?

    Vielhaber: Am ehesten Beuys. Beuys ist da am authentischsten. Der geht am archaischsten mit seinen Zeichnungen, mit den Tieren, während Mataré, der sieben Jahre jünger ist als Franz Marc, während die beide ja doch schon am Expressionismus sind, und beide versuchen eigentlich, das Tier zu abstrahieren in ganz bestimmte geometrische Grundformen. Das ist bei Beuys überhaupt nicht, nur bei dieser kleinen Mataré-Kuh, aber da merkt man auch, da übt er das, was sein Lehrer ihm gezeigt hat, und das ist ganz schön. Beuys muss einmal zu Mataré gekommen sein und hat ihm so eine Kuhzeichnung gezeigt, und dann hat Mataré nur gesagt: Das ist vielleicht Zufall, da hast du Glück gehabt, das ist üben, üben, üben. Bei Mataré sieht man, was die Wiederholung des immer Gleichen scheint, der kann diese Kühe blind, der kann sie rund und weich, oder er kann sie eckig, er kann das blind. Aber die beiden, also Marc und Mataré, sind wirklich am Versuch, in die Moderne einzutreten, und bei Marc sieht man noch ganz am Anfang: Da hat er so einen toten Pferdekopf, das ist Akademie hoch drei, also das ist Realismus.

    Info

    Die Ausstellung "Franz Marc, Joseph Beuys und Ewald Mataré - Im Einklang mit der Natur" der Altana Kulturstiftung im Sinclair-Haus Bad Homburg ist noch bis zum 12. Februar 2012 zu sehen.