Freitag, 19. April 2024

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Maurice Maggi: "Essbare Stadt"
Wildwuchs auf dem Teller. Vegetarische Rezepte mit Pflanzen aus der Stadt

Ein ganz besonderes Kochbuch und ein neuer Blick auf den Lebensraum Stadt - beides ist Maurice Maggi gelungen. Die Gerichte, zumeist vegetarisch, stammen alle aus dem urbanen Raum. Nur die Tauben wurden nicht gefangen, sondern gekauft.

Maurice Maggi im Gespräch mit Sandra Hoffmann | 25.07.2014
    Maurice Maggi: Ich wollte irgendwie dem Menschen die Stadtnatur näher bringen, in einer anderen Art. Wenn die Natur nicht nur schöne Blumen sind, sondern essbar ist, schaut man die Stadt ganz anders an und es gibt einen neuen Blickwinkel auf die Stadt
    Sandra Hoffmann: In Zürich kennen Sie die Stellen, an denen Sie die essbaren Pflanzen finden hervorragend, mitunter weil Sie seit 20 Jahren daran arbeiten, Nutzpflanzen rund um Bäume herum auszusäen. Wo finden Leute in Hamburg oder Berlin Sauerampfer, Malven oder Nespoli?
    Maurice Maggi: Ja in Stadtparks oder in Brachnischen hat es all die Pionierpflanzen, von denen die meisten essbar sind. Das sind Pflanzen, die zuerst eine Zündung geben, dass eine Vegetation stattfinden kann. Auch viele Heilpflanzen sind darunter, die besiedeln ein Land und kaum kommen dann die üppigen Pflanzen, ziehen sie sich zurück und suchen sich neue Standorte. Und Stadtparks, teils auch Friedhöfe, sind geeignete Orte, die zu finden.
    Sandra Hoffmann: Wie kam es dazu, dass Sie angefangen haben, essbare Wildpflanzen zu ernten?
    Maurice Maggi: Ich denke viel, wie haben sie sich früher ernährt, also vor einhundert, zweihundert Jahren und konnten die Vitamine zu sich nehmen, ohne die Vitamin-Präparate, und dann entdeckte ich so Löwenzahn und Brennnesseln und Bärlauch, und las auch, dass die einen sehr hohen Mineral- und Vitamingehalt haben, und das war für mich die Erklärung, wieso man früher überleben konnte bevor die eigenen Produkte in den Gärten wuchsen. Und das faszinierte mich, und ich habe mich da weitergebildet und das halt in meinem Berufsleben eingebaut. Ich arbeite als Koch. Und sah auch, dass die Gäste sehr daran Freude haben, dass jetzt plötzlich etwas kommt, was man nicht kennt. Oder man kennt es, aber wusste nicht, dass es essbar ist. Das wurde sehr goutiert und das hat mich dann motiviert, weiter zu forschen und zu machen: also die Gerichte dann auch zu kreieren.
    Der Leser muss Lust haben, das Rezept auszuprobieren
    Sandra Hoffmann: So ein Kochbuch ist ja quasi ein essbarer Text: worauf muss man denn da beim Schreiben achten?
    Maurice Maggi: Ja, dass man es einfach macht, und als Person, die beruflich als Koch arbeitet, vergisst man gern Sachen, die eigentlich selbstverständlich sind, also es braucht eine Sorgfalt. Und dann sollten die Rezepte so geschrieben sein, dass der Leser auch Lust hat, das nach zu kochen, und nicht sagt, das ist mir zu kompliziert. Ich habe oft Freunden das zum Lesen gegeben, ob man das versteht, und ob man das Lust hat nach zu kochen, und hab's dann so etwas poliert. Also es ist etwas sehr Intimes auch.
    Sandra Hoffmann: Ihr Kochbuch ist fotografisch wahnsinnig schön aufgemacht und setzt neben tatsächlich nachkochbaren Rezepten sehr auf Ihre Person: Ist solch ein Kochbuch auch immer etwas wie ein Selbstportrait?
    Maurice Maggi: Ja, das ist es, und ich fühl mich auch sehr gut darin gezeichnet, ich sehe mich auch in diesem Kochbuch so. Es ist immer eine sehr persönliche Arbeit auch ein Kochbuch zu schreiben, weil man gibt ja seine Rezepte preis, man sagt viel über die Anschauung zum Kochen, zum Einkaufen, welche Produkte man verwendet.
    Sandra Hoffmann: Warum finden sich all diese Pflanzen, die in Ihren Rezepten vorkommen nicht längst schon auf den Gemüsemärkten? Schmecken diese Sache, diese Wildkräuter, diese Tannenspitzen, diese wild ausgewachsenen Nespoli, schmecken die anders? Schmecken die soviel intensiver oder sind die schwieriger zugänglich für den Normalesser?
    Maurice Maggi: Ja sie sind alle etwas gewöhnungsbedürftig, sie haben oft sehr viel Bitterstoff und sehr intensive Aromen, und ich empfehle auch immer am Anfang, das klein dosiert zu beginnen.
    Vor allem vegetarisch, ein wenig Fisch und Tauben
    Sandra Hoffmann: Einmal kommt in Ihrem Kochbuch Fisch vor und einmal kommen Tauben vor. Und man fragt sich natürlich, wandert da ein Maurice Maggi mit Schrotflinte und Angel Richtung Bellevue? Oder wie muss man sich das vorstellen?
    Maurice Maggi: Es sind fast siebzig vegetarische Rezepte, aber ich wollte kein rein vegetarisches Kochbuch machen, und dann habe ich mir, weil Zürich an einem wunderbaren See liegt, mit einem sehr tollen Fischbestand, da war klar, da kann ich Zürichseefische verwenden, und als ich so erzählte, es kommt ein Fleischgericht vor, haben viele so im Scherz gesagt: ja, sicher Tauben! Und dann lag es ja auf der Hand. Die Taube ist eigentlich ein Stadttier par exellence.
    Sandra Hoffmann: Aber Sie werden ja nicht durch die Stadt gehen und Tauben fangen?
    Maurice Maggi: Nein, das ist verboten, also für das Rezept habe ich Zuchttauben gekauft bei einem Händler. Es ist mehr so eine Ironie im ganzen Kochbuch mit den Tauben, in Bezug auf das urbane Leben.
    Maurice Maggi, "Essbare Stadt" - Wildwuchs auf dem Teller. Vegetarische Rezepte mit Pflanzen aus der Stadt
    Mitarbeit: Boris Périsset, Fotos: Juliette Chrétien

    219 Seite, AT Verlag, 2014