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"Rheinische Rebellen" am Schauspiel Köln
Konzentration aufs Private

Der Wiener Autor Arnolt Bronnen hat mehrfach die politischen Lager gewechselt: Erst war er mit Bert Brecht befreundet, dann arbeitete er für die Nationalsozialisten, am Ende war er als Theaterkritiker in der DDR tätig. Bronnens Separatistenstück "Rheinische Rebellen" hat Sebastian Baumgarten nun in Köln inszeniert.

Von Michael Laages | 27.11.2018
    Der Schauspieler Jörg Ratjen in einer Szene aus "Rheinische Rebellen" am Schauspiel Köln
    Eine Szene aus "Rheinische Rebellen" von Arnolt Bronnen am Schauspiel Köln. (Schauspiel Köln / Krafft Angerer)
    Fürs Theater heute schreibt im Grunde nur Lutz Hübner so: so schnell, so aktuell. Arnolt Bronnens Stück über "Rheinische Rebellen" erschien 1925. Da lag das glücklose Ende separatistischer Umtriebe im Rheinland gegen die neue Macht der ersten deutschen Republik in Berlin gerade mal eineinhalb Jahre zurück. Als nähme sich heute jemand en gros und en detail, in jedem Fall aber sehr konkret und auf den Anlass bezogen, eine Geschichte aus dem Flüchtlingssommer 2015 vor, mit Angela Merkel als Hauptfigur … das ist Bronnen. Mit schnellem Blick auf die Revolte im Rheinland schickt er einen fiktiven Führer ins Rennen.
    "Wir hassen Politik! Wir lachen über die Sachlichkeit! Wir verachten jegliche Langeweile!"
    Noch im Untergang zum Schluss schwenkt der die grünweißrote Rheinland-Fahne.
    Das ist die erste Herausforderung des alten Textes: Politik aus erster Hand. Auch wenn sie nur den Rahmen stiftet – um die Politik persönlich geht’s dann eher nicht; mehr um eine wenig typische Beziehungskiste innerhalb des Aufstands.
    "Ich fürchte das Unerwartete!" - "Sie wollen sagen..." - "Was will ich sagen?" - " ...dass Sie gezwungen sind..." - "...eventuell..." - "früher loszuschlagen? Heute schon?" - "In einer Stunde." - "Tun Sie das nicht!" - "Ich tu, was sich ergeben wird!"
    Umschwärmter Rebellenführer
    Der ziemlich hysterische Führer der Rebellen wird nämlich aufs heftigste umschwärmt von der ihm allernächsten und vertrautesten Kombattantin, entwickelt aber seinerseits starke Gefühle für eine ausgewiesene Feindin: eine der Töchter aus großindustrieller Familie in Koblenz. Das ist die südliche Rheinprovinz. Hier herrschen die französischen Besatzer nach dem Ende von Weltkrieg I; im nördlicheren Teil der Region, rund um Aachen, führen Belgier das Regiment – beide Provinzstädte sind Zentren des Aufstands im Herbst 1923.
    Auch dieses Jahr ist sehr wichtig, als zweite Herausforderung im Stück: Gerade nimmt die Inflation enormes Tempo auf. Im November, kurz vor Winter, werden Brot und Milch und Butter bereits mit mehrstelligen Milliarden-Beträgen bezahlt. 1923 ist fast so wichtig wie das Revolutionsjahr 1918. Arnolt Bronnen aber erzählt nun vor allem von hoffnungsloser Liebe in Zeiten der allgegenwärtigen Katastrophe. Des Führers glücklos abgewiesene Kämpfer-Freundin stellt sich schließlich den Regierungstruppen. Und die Industriellen-Tochter erschießt den verzweifelten Fahnenschwenker, mit Schwester und Mutter hat sie sich zuvor wüste Auseinandersetzungen geliefert um Sinn und Zweck und Ziel der eigenen, in die Irre führenden Passion.
    In der Sprache steckt die präsenteste Herausforderung: knallhart, rasend, brennend, brodelnd, brachial. Noch klingen Echos des Expressionismus mit.
    "Man sieht Blut auf den Pflastersteinen, und zwanzig Autos stehen vorn auf dem Asphalt mit kochendem Motor. So taumelnd ist alles, so zitternd, so unsicher..."
    Wie halbwilde Tiere im Käfig
    Der Mann, die Verehrerin, die Geliebte, deren Schwester und deren Mutter – diese fünf kreisen umeinander wie halbwilde Tiere im Käfig. Auch Sebastian Baumgartens Inszenierung setzt hier an, und das Ensemble stürzt sich in die Achterbahn der hingefetzten Worte: Jörg Ratjen dröhnt als Hahn im Korb vor allem hohl und hysterisch, vor den Frauen aber, die ihn wollen, schnurrt er zusammen zum Lächerling. Yvon Jansen im knalligen Militärdress ist ganz Wut und Verzweiflung. Carolin Conrad als großbürgerliche Tochter gefährdet und haltlos, Kristin Steffen als Schwesterchen ihr überdrehtes, klügeres Echo. Und Birgit Walter schwebt als Koblenzer Matrone wie eine Fledermaus bedrohlich durch das abgeranzte Hotel-Foyer, das Thilo Reuther klug und effektsicher in die unwirtliche große Kölner Schauspielhalle gezirkelt hat. Mit Texten und Zeichen der vielen Revolten jener Epoche schafft er Atmosphären; "Vacancy", also "Zimmer frei", steht über der abgewrackten Rezeption – hier ist keiner auf Dauer zu Hause. Joki Tewes und Jana Findeklee, frisch gekürte FAUST-Preisträgerinnen für Kostüme, setzen die optischen Akzente zwischen Militär und feinerer Garderobe.
    Einzig die letzte und größte Herausforderung bleibt wieder mal unerfüllt – beispielhaft für, sagen wir mal, Catalunya oder die Ost-Ukraine, separatistische Kampfzonen von heute, wird der Aufstand biederer rheinischer Wutbürger wieder nicht. Und angesichts der Konzentration ganz aufs Private sieht’s durchaus so aus, als hätte auch der Autor vor bald 100 Jahren davor ein wenig Angst gehabt.