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Big-Data-AG für mehr Internet-Sicherheit
"Dass die Bevölkerung sich dieser Risiken bewusst wird"

Abwesenheit von Regularien, unkontrolliertes Datensammeln, unkalkulierbare Risiken: Das Internet gleiche einem digitalen Wilden Westen. Eine Arbeitsgruppe will das mit Hilfe von Handlungsempfehlungen ändern. Es gehe um weit mehr als den richtigen Umgang mit dem Smartphone, sagte Thomas Lengauer im Dlf.

Thomas Lengauer im Gespräch mit Michael Böddeker | 26.11.2018
    Ein Nutzer bedient eine Computermaus
    Im Dlf verglich der IT-Experte Thomas Lengauer von der Leopoldina das Internet mit dem Straßenverkehr: Erst durch das Aufstellen von Regeln vor 100 Jahren sei dieser deutlich sicherer geworden. (AFP / Robyn Beck)
    Michael Bödekker: Die Digitalisierung schreitet voran. In Deutschland geht es ja gerade vor allem um eher technische Zukunftsthemen wie den Breitband-Ausbau und die Frequenzen für das mobile Internet.
    Aber wenn wir mal zurückblicken auf die letzten Jahre und Jahrzehnte, dann zeichnen sich einige Schlussfolgerungen ab. Und vor allem: dringender Handlungsbedarf. So sieht es zumindest die Arbeitsgruppe "Big Data", an der deutsche Akademien für Wissenschaft und Technik beteiligt waren. Und deren Fazit lautet: Die Digitalisierung habe sich bisher weitgehend unreguliert entwickelt. Und entstanden sei dadurch so etwas wie ein "digitaler Wilder Westen".
    Wo genau jetzt die Probleme liegen, bei diesem "digitalen Wilden Westen", und was man dagegen tun kann, darüber habe ich mit Thomas Lengauer gesprochen. Er ist Mathematiker und Bioinformatiker, und er ist Mitglied im Präsidium der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina.
    Die Abwesenheit von Regulierung
    Ihn habe ich gefragt: Das Internet ist - zumindest von der Grundidee her - frei und offen. Warum sollte da Ihrer Meinung nach jetzt mehr reguliert werden?
    Thomas Lengauer: Also, man sieht das ja, in letzter Zeit, glaube ich, fühlen das die Nutzer des Internets auch am eigenen Leibe, und sogar die Internetpioniere zeigen ja einen Sinneswandel. Das Internet ist einfach eine neue Größe, hat eine Dynamik entwickelt, und eben auch noch die Abwesenheit von Regulierung, sodass sich Dinge entwickelt haben, die man so nicht vorausgesehen hat.
    Ich denke nur an die Dynamik in den sozialen Netzen, aber auch an die zunehmende flächendeckende Datensammlung. Sie hinterlassen ja im Internet Daten bei jeder Aktivität, die Sie dort vornehmen, zum großen Teil, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie haben eigentlich auch keine Möglichkeit, dies zu kontrollieren, Sie haben keine Möglichkeit, zu widersprechen, denn die Dienste werden dann versagt – und von diesen Diensten hängt man ab. Also, wir haben eine recht unkontrollierte, aber sehr dynamische Situation.
    Das Internet braucht Regeln - genau wie der Straßenverkehr
    Bödekker: Und was genau ist das Problem dabei?
    Lengauer: Ich will es mal vergleichen mit der Situation beim Verkehr, beim Straßenverkehr vor gut 100 Jahren. Da kam auch eine neue Technologie auf, und dann wurde reguliert und zwar in erheblichem Maße, die Straßenverkehrsordnung wurde eingeführt, wurde optimiert, wurde international angeglichen. Das Ergebnis ist, dass wir jetzt bei einem Verkehrsaufkommen, das viel, viel größer ist als vor 100 Jahren, doch eine ziemliche Sicherheit und Ordnung im Verkehr haben.
    Und was auch noch wichtig ist, die Nutzer wurden aufgeklärt, die Verkehrsteilnehmer, das geht in der Schule schon los, und regelwidriges Verhalten im Verkehr wurde stigmatisiert. Alles das ist im Internet nicht vorhanden und im Vergleich zum Verkehr hat das Internet aber eine wesentlich dynamischere Entwicklung noch genommen, wo damals, ich weiß die genauen Zahlen nicht mehr, aber relativ wenige Autos auf der Straße vor 100 Jahren waren, haben heute Milliarden von Menschen Handys und verwenden das Internet.
    Technische Möglichkeiten werden nicht umgesetzt
    Bödekker: Also für den Straßenverkehr gibt es inzwischen Regulierung. Sie haben jetzt mit Ihrer Arbeitsgruppe Handlungsempfehlungen auch für das Internet erarbeitet. Was sind denn da die wichtigsten Ansätze?
    Lengauer: Zum einen gibt es technische Möglichkeiten, das sind vor allen Dingen Möglichkeiten im Bereich der Computersicherheit, der Netzsicherheit, Angriffe auf das Netz frühzeitig zu entdecken und sich vor Angriffen zu schützen – und in einer dritten Phase möglichst auch, auch so etwas ist technisch möglich, das Netz von vorneherein sicher gegen Angriffe zu machen, Sicherheit durch Konstruktion. Alles dies wird heute bisher nicht umgesetzt.
    Die zweite Säule war Regulierung, hier hat die DSGVO ja einen ersten Schritt gemacht…
    Bödekker: Die Datenschutzgrundverordnung.
    Lengauer: Genau. Sie ist ein erster Schritt, ein erster noch unvollständiger Schritt, die es dem Nutzer ermöglichen soll, einen Teil seiner Datenautonomie wiederzuerhalten, die Kontrolle über die Daten, die er in das Netz speist und was damit geschieht, wieder, zumindest größtmöglich, zu übernehmen. Wir sind da eigentlich auf gutem Wege, bloß das kann nicht der letzte Schritt sein.
    Und die dritte Säule ist Ausbildung. Die Nutzer müssen ausgebildet werden, nicht nur dahingehend, wie man Handys nutzt und wie man Programme lädt und mit dem Handy umgeht, sondern vor allen Dingen die Kritikfähigkeit gegenüber dem, was die eigenen Internetaktivitäten für Folgen haben, muss gestärkt werden.
    "Eigentlich sind alle Leute in der Pflicht, die im Internet agieren"
    Bödekker: Sie haben jetzt einige Handlungsempfehlungen genannt, die Sie ausgearbeitet haben, aber wer ist denn jetzt in der Pflicht, wer muss da handeln?
    Lengauer: Eigentlich sind alle Leute in der Pflicht, die im Internet agieren. Da ist zum einen natürlich der Gesetzgeber, der Gesetzgeber ist auf der Regulierungsseite notwendig. Es sind auch technische Entwicklungen notwendig, Forschung muss gestärkt werden in dem Bereich. Und dann muss es ermöglicht werden, dass die Internetkonzerne, die entsprechenden Player auf dem Gebiet, auch diese dann entstandenen Neuerungen aufnehmen, das wird sich nicht nur mit Appell an guten Willen gehen, sondern auch da wird es gesetzliche Regulierung geben müssen. Und schließlich ist der Bürger auch aufgerufen, sein Bewusstsein gegenüber dem, was sich im Internet tut, wenn er darin agiert und gegebenenfalls auch, wenn er nicht darin agiert, mehr ins Bewusstsein zu rufen und die Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, die ihm dann angeboten werden müssen in dem Bereich, auch zu nutzen.
    Risiken sind sehr abstrakt
    Bödekker: Aber glauben Sie denn, dass es tatsächlich unter den Menschen in Deutschland genug Bewusstsein oder auch genug Motivation dafür gibt, diese Privatsphäre zu schützen? Die Allermeisten überlassen ja schon bereitwillig ihre Daten den großen Konzernen wie Google und Facebook.
    Lengauer: Da haben wir also eine wichtige Ausbildungspflicht. Das Problem ist tatsächlich, dass die Risiken, die mit der Datenfreigabe im Internet verbunden sind, sehr abstrakt sind und nicht zur Erlebniswelt des einzelnen Nutzers gehören. Dies wird aber passieren. Ich habe die genauen Zahlen jetzt nicht vorliegen, aber die Prozentzahl der Nutzer, die schon einmal im Internet über den Tisch gezogen worden ist, ist erheblich, die ist bei mehreren zehn Prozent, ich glaube, knapp unter der Hälfte. Und das wird mehr und mehr zur Erfahrung, Einzelerfahrung des Bürgers werden, und sobald so etwas mal passiert ist, ist schlagartig das Bewusstsein da.
    Wir wollen natürlich nicht, dass nur die Bürger, die es schon mal erwischt hat, dieses Bewusstsein haben, sondern wir wollen, dass die Bevölkerung sich dieser Risiken bewusst wird, ohne dass sie selbst Schaden nimmt, ohne dass das Individuum selbst Schaden nimmt.
    Und auch da gibt es Ausbildungsmöglichkeiten, wir einfach Narrative finden, wir müssen Geschichten erzählen darüber, was dort passieren kann, und die Dinge so konkret machen. Das ist alles möglich und das muss jetzt passieren.
    Politik setzt bisher zu einseitig Schwerpunkte
    Bödekker: Sie haben heute in Berlin bei der Vorstellung der Studie auch mit Politikern gesprochen über dieses Thema. Wie viel Verständnis gibt es auf der Seite denn für diese Forderungen?
    Lengauer: Es ist schon so, dass wenn man in die politischen Programme guckt, dass dann sowohl die rechtlichen, die regulativen, als auch die ethischen Aspekte bei der Nutzung des Internets in den Hintergrund treten.
    Man ist offensichtlich in diesen politischen Programmen hauptsächlich darauf bedacht, die Industrie wettbewerbsfähig zu machen, das Schlagwort, dass Deutschland Nummer eins in XYZ werden muss, wird ja häufig benutzt. Wir plädieren für eine größere Ausgewogenheit, Ausgewogenheit bei der Zusammenstellung der Programme, aber auch bei der Zuweisung von Geldern. Es müssen eben auch genug Gelder, ausreichend Gelder zur Verfügung stehen, um diese anderen, so wichtigen Aspekte des Internets wie Angriffssicherheit und Transparenz und erklärbare Algorithmen und Überprüfbarkeit zu sichern und voranzubringen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.