Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Essen
"Man hat hier als Geduldeter überhaupt keine Chance"

Libanesisch-kurdische Flüchtlinge hadern in Essen mit der Asylgesetzgebung. Vielen von ihnen wird unterstellt, sie seien Türken. Doch bei den türkischen Behörden sind sie nicht erfasst. Damit fehlt ihnen ein Identitätsnachweis und sie haben den Stempel "Ausreisepflichtig" in ihren Duldungspapieren. Auch die Vorurteile über libanesisch-kurdische Familien lähmt die Menschen und macht sie krank, wie sie sagen.

Von Vivien Leue | 12.05.2016
    Der Inhaber ist ausreisepflichtig!», fotografiert am 09.10.2015 in Neuenhagen (Brandenburg).
    Ein Ausweis der Bundesrepublik Deutschland eines Asylbewerbers mit dem Vermerk Aussetzung der Abschiebung (Duldung) - Kein Aufenthaltstitel! (picture-alliance / dpa/Patrick Pleul)
    Libanesisch-kurdische Familien haben in vielen deutschen Städten keinen guten Ruf: Sie gelten als kriminelle Clans, die ihren eigenen Regeln folgen und deutsche Gesetze ignorieren.
    Deutschlandweit leben etwa 15.000 Menschen mit libanesisch-kurdischer Abstammung, allein in Essen 5.000 bis 6.000 - nur in Berlin leben noch mehr. Auch wenn die meisten von ihnen friedlich sind, sie alle leiden unter ihrem schlechten Ruf. In Essen leiden sie außerdem unter den deutschen Asylgesetzen,:
    "Ich bin geduldet seit über 15 Jahren. Obwohl ich in Deutschland geboren bin, zur Schule gegangen bin, Kindergarten, alles mitgemacht habe, bin ich trotzdem nur geduldet."
    Yahia sitzt mit mehreren anderen Männern in einer Wohnung in der Essener Innenstadt – auf dem langen Holztisch im größten der drei Räume stehen Schalen mit Obst und Wasser. Der 27-Jährige ist häufig hier, in dieser Wohnung, die als Anlaufstelle für libanesisch-stämmige Menschen dient.
    "Man hat hier als Geduldeter überhaupt keine Chance. Wenn man Führerschein machen möchte, geht das gar nicht, wenn man irgendeinen Handyvertrag machen möchte, geht das nicht. Du bist hier ausgeschlossen."
    Neben Yahia sitzt Ahmad Omeirat, auch er hat libanesische Wurzeln. Mittlerweile ist er aber deutscher Staatsbürger und für die Grünen im Essener Stadtrat. Er hat die Anlaufstelle gegründet.
    Nicht Clans, sondern Menschen
    "Wir bekommen in NRW als Ratsherren 600 Euro. Das war für mich Anlass eine Räumlichkeit anzumieten, wo diese Menschen nicht als Clans hierhinkommen, sondern als Menschen, wo diese Menschen nicht Probleme machen, sondern Probleme haben."
    Ahmad Omeirat war ein Kleinkind, als er mit seiner Familie Mitte der 1980er vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Deutschland floh.
    Auch Yahias Eltern kamen deshalb nach Deutschland, er selbst wurde Ende der Achtziger in Essen geboren. Warum aber wird er nur geduldet und Ahmad hat einen deutschen Pass?
    Die Geschichte dahinter ist kompliziert und lang. Yahia und Ahmad gehören zum arabisch sprechenden Volk der Mhallamiye, sie selbst nennen sich auch Mhallamiye-Kurden oder arabische Kurden. Ihre Vorfahren lebten in einem Gebiet, das nach dem Ersten Weltkrieg der Türkei zufiel. Viele flohen daraufhin in den Libanon. Dort wurden sie zwar geduldet, aber vielen fehlte das Geld für eine Einbürgerung und Pässe.
    "Im Zuge des Ausbruchs des libanesischen Bürgerkriegs haben sich dann die Gruppe der libanesischen Kurden entschieden, nach Europa zu kommen. Manche mit libanesischen Pässen, manche mit der Laisse- passer, der sogenannten Duldung",
    Größte Hürde ist Identitätsnachweis
    Erzählt Ahmad Omeirat. Und hier liegt der Unterschied zwischen seiner Geschichte und der von Yahia. Seine Großeltern hatten sich im Libanon um die Einbürgerung bemüht. Yahias Vorfahren nicht. Sie kamen ohne Identitätsnachweis nach Deutschland.
    Allerdings war das in den 1980ern noch kein großes Hindernis. Vielen Flüchtlingen wurden die Asylanträge trotzdem bewilligt.
    Doch Ende der 1990er-Jahre änderte sich die Stimmung. Behörden vermuteten plötzlich, dass viele libanesische Flüchtlinge gar keine Libanesen seien, sondern Türken.
    "Es ging durch die ganze Bundesrepublik, die Stadt Essen hätte angeblich den größten Asylbetrug der Bundesrepublik aufgedeckt und wir gerieten hier mit unserer ethnischen Herkunft plötzlich ins Visier von den Behörden."
    Die Mitarbeiter der Ausländerbehörde fingen an, Ahnenforschung zu betreiben. DNA-Tests wurden gemacht, um mögliche Verbindungen zu türkischen Familien zu finden. Und Yahia wurde irgendwann bescheinigt: Du bist kein Libanese mehr.
    "Ich wusste von gar nichts, also plötzlich haben die Dir gesagt, ihr seid doch Türken, wir waren noch Kinder in der Schule. Plötzlich wirst Du vom Libanesen oder vom Araber zum Türke, obwohl Du kein Wort türkisch sprichst oder auch mit den Türken wenig zu tun hattest."
    Geduldete stehen in Deutschland unter Residenzpflicht, das heißt, sie dürfen ihren Wohnort nicht verlassen. Für Schulkinder wie Yahia damals heißt das aber auch: keine Klassenfahrten. Für Erwachsene bedeutet das außerdem: Kaum Aussicht auf einen Job, denn wer stellt schon jemanden ein, in dessen Papieren steht, er sei "ausreisepflichtig". Und: Geduldete müssen sich alle drei Monate bei der Essener Ausländerbehörde melden.
    Viele Menschen macht das krank. Menschen wie Bassam, der in Wirklichkeit anders heißt, aber seinen Namen lieber nicht im Radio hören will.
    Zwischen Ausreisepflichtig und ungeklärter Herkunft
    "Als was ich mich fühle? Es gibt keinen Begriff dafür. Mensch schon mal gar nicht. Weil man sagt ja: Die Menschenwürde ist unantastbar. Die wird alle drei Monate auf mich getreten."
    Bassam ist Mitte 30, als 8-Jähriger kam er nach Deutschland. Er hat hier eine Ausbildung absolviert, gearbeitet. Aber auch er bleibt Geduldeter. Damit geht es ihm wie gut 1.000 anderen Menschen mit libanesischem Hintergrund in Essen. Gut 600 davon sind laut der Stadt in Wirklichkeit Türken, knapp 300 Menschen sind registriert unter dem Begriff "ungeklärte Herkunft".
    Viele der Mhallamiye, die laut Stadtverwaltung Türken sind, haben versucht, türkische Pässe zu bekommen. Ohne Erfolg. Denn in den türkischen Registern sind diese Menschen nicht auffindbar.
    "Mehr als fünf Jahre lange Strebungen an Bemühungen. Anwälte in der Türkei, im Libanon, mehr kann ich auch nicht machen."
    Es bleibt still im Raum, wenn Menschen wie Bassam von ihrem Schicksal erzählen.
    Fragt man die Stadt, warum etliche Geduldete auch nach Jahren noch keine Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, heißt es, die fehlenden, meist türkischen, Pässe seien der häufigste Grund. Zum Teil sprächen aber auch fehlende finanzielle Sicherheiten oder anhängige Strafverfahren dagegen. Denn, auch das gehört zur Geschichte der Mhallamiye: In Städten wie Essen, Bremen und Berlin fallen einige von ihnen als Intensivtäter auf, das Landeskriminalamt NRW spricht im Zusammenhang mit einzelnen libanesischen Familien von organisierter Kriminalität.
    Ahmad Omeirat ist es leid, sich deshalb rechtfertigen zu müssen. Ein Großteil der Mhallamiye sei rechtschaffen. Er plädiert dafür, diesen Menschen endlich eine Perspektive zu geben.
    "Es ist kaum zu erahnen, wie viele produktive Potenziale unserer Gesellschaft schon durch die verfehlte Duldungspolitik entgangen sind."
    Wer Kriminalität bekämpfen wolle, müsse Chancen bieten. Eine jahrzehntelange Duldung aber, sei das Gegenteil einer Chance.