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Essensausgabe "Die Tafel"
Angst, nicht genug abzubekommen

Eigentlich gibt es in Deutschland Lebensmittel im Überfluss - jährlich werden Millionen Tonnen einfach weggeschmissen. Trotzdem leben auch hier Menschen, die nicht genug zu essen haben. Genau diesem Widerspruch möchten die Tafeln entgegenwirken. Zu den Essensausgaben kommen auch immer mehr Flüchtlinge und Einwanderer - doch nicht jeder fühlt sich gleich behandelt.

Von Änne Seidel | 26.08.2015
    Essensausgabe für bedürftige Menschen: Die Tafel organsiert das bundesweit.
    Essensausgabe für bedürftige Menschen: Die Tafel organisiert das bundesweit. (dpa / picture alliance / Guido Meisenheimer)
    Bis eben war noch alles friedlich in der Schlange vor der Duisburger Tafel. Doch jetzt macht eine ältere Dame mit Kopftuch und Gehwagen ihrem Ärger Luft: Immer drängeln sich die anderen vor, schimpft sie, dabei war sie viel eher da.
    Wie jeden Morgen warten auch heute Dutzende Menschen im Innenhof der Tafel auf den Beginn der Essensausgabe. Um 10 Uhr geht es los, manche kommen schon Stunden früher, um einen Platz ganz vorne in der Schlange zu ergattern. Unter ihnen Rentner, Hartz IV-Empfänger – und viele Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind. Heute sind vor allem Bulgaren da, aber auch eine junge Mutter aus Syrien, ein paar Armenier, eine Polin und eine Tschetschenin. Alle haben Trolleys oder geräumige Plastiktaschen dabei – und hoffen, sie möglichst prall gefüllt wieder mit nach Hause zu nehmen. Doch nicht alle sind zuversichtlich.
    "Spülmittel, für mich? Nein! Nur für die anderen. "
    Eine junge Frau aus Bulgarien, sie möchte Angelika genannt werden, im blondierten Haar steckt ein Glitzerreif, dazu goldene Ohrringe, Kettchen und Ringe. Angelika hat den Eindruck, dass die Mitarbeiter der Tafel die Bulgaren bei der Essensausgabe benachteiligen. Die zierliche Frau neben ihr, auch sie Bulgarin, pflichtet ihr bei: Die Deutschen bekommen mehr zu essen, auch wenn sie keine Familie ernähren müssen.
    "Immer andere Leute, eine Person, sagen: Mitnehmen alles! Warum? Das ist deutsche Frau. Aber bulgarische Frau, fünf Leute, nur für eine Person mitgeben."
    Angst, nicht genug abzubekommen, haben auch andere in der Schlange. Ein paar Meter weiter hinten wartet ein Rentner – kurzärmeliges Hemd, schwarze Weste, die weißen Haarsträhnen ordentlich nach hinten gekämmt. Einwanderer wie die beiden Bulgarinnen sind ihm ein Dorn im Auge, er nennt sie "Schmarotzer" und findet:
    "Die müssen sich hinten anstellen, wie wir in anderen Ländern auch!"
    Ob denn bei der Essensausgabe für ihn weniger abfällt, seitdem auch Bulgaren und andere Einwanderer kommen?
    "Das eigentlich weniger, die organisieren das ja schon gut."
    Warum er es dennoch ungerecht findet, dass auch Einwanderer hier bei der Tafel Lebensmittel bekommen, bleibt offen.
    "Oh, jetzt muss ich aber Gas geben!"
    Die Tür zur Tafel geht auf, Helfer lassen einen nach dem anderen rein. Gleich am Eingang, hinter einem Tresen aus Pressspan, sitzt eine ehrenamtliche Mitarbeiterin und händigt durchnummerierte Marken aus – sie legen fest, in welcher Reihenfolge die Wartenden in die Essensausgabe dürfen. Allerdings verteilt die Helferin die Marken nach dem Zufallsprinzip: Wer ganz vorne in der Schlange steht, bekommt nicht zwangsläufig die Nummer eins und darf sich als erstes seine Lebensmittel abholen. Das Gedrängel morgens in der Schlange bringt also gar nichts.
    Ein Fahrzeug der Deutschen Tafel mit dem orangefarbenen Schriftzug: "Essen, wo es hingehört"
    Die Tafeln fordern, stärker in die Flüchtlingsversorgung einbezogen zu werden (picture-alliance / dpa / Tobias Hase)
    Im Nebenraum beginnen Mitarbeiter die Lebensmittel auszugeben. Die Bedürftigen zeigen ihre Tafel-Ausweise vor – darauf ist vermerkt, wie viele Personen sie mitversorgen müssen. Die Helfer verteilen die Lebensmittel nach Augenmaß, große Familien bekommen mehr als Alleinstehende. Heute sind Milchprodukte, Käse und Wurst knapp, da kriegt nicht jeder das, was er will.
    "Mehr habe ich heute leider nicht."
    Aber leer geht niemand aus - Brot, Gemüse und Obst gibt es reichlich. Die Angst, nicht genug abzubekommen, die draußen in der Schlange zu spüren war - davon kriegen die Mitarbeiter der Tafel hier drinnen wenig mit.
    "Die meisten sind eigentlich zufrieden, wenn sie hier weggehen. Das merken Sie vielleicht ja auch, das ist eine ganz gute Atmosphäre hier", sagt der Ehrenamtliche Peter Miskevitz, während er dem Rentner von vorhin ein paar Äpfel reicht.
    Hier drinnen, in Hörweite der Helfer, traut sich offenbar kaum einer zu meckern.
    "Vorige Woche haben wir nur Joghurt bekommen und heute wieder nur. Keine Wurst, kein Käse, gar nichts."
    Eine Mitarbeiterin verteilt Obst an Bedürftige in der Lebensmittelausgabe "Laib und Seele" der Berliner Tafeln am 24.4.2014 in der Evangelischen Advents-Zachäus-Kirchengemeinde in Berlin.
    Eine Mitarbeiterin verteilt Obst an Bedürftige in der Lebensmittelausgabe (dpa / picture alliance / Stefan Schaubitzer)
    Wieder draußen im Hof, wird das Meckern nachgeholt. Auf einer Bank sitzen ein paar Tafel-Kunden und begutachten den Inhalt ihrer Einkaufstaschen: Obst, Gemüse, Joghurt und Schokolade - aber keine Wurst.
    "Wo wir angefangen sind, da sind wir mit drei bis vier Tüten hier raus, aber voll. Angefangen über Fleisch, es gab schon mal Kaffee, es gab schon mal Torte, acht bis zehn Pakete Wurst."
    Aber seit zwei, drei Monaten gibt es viel weniger, beschwert sich dieser Mann und steckt sich eine Zigarette an. Er ist arbeitslos, bekommt Hartz IV, aber das reicht nicht, sagt er, er ist auf die Tafel angewiesen. Woran es liegt, dass das Essen knapper wird? Die Supermärkte liefern wohl weniger, vermutet er, gibt aber auch den Einwanderern aus Ländern wie Rumänien und Bulgarien die Schuld.
    "Die schleppen hier Waschpulver raus und alles. Kommst du als Deutscher an: Alles leer! Das kann doch nicht sein! "
    Dennoch: Es gibt auch glückliche Gesichter nach der heutigen Essensausgabe. Der deutsche Rentner ist froh über seine Ausbeute, genau wie Angelika aus Bulgarien und die junge Mutter aus Syrien. Zufrieden ziehen sie mit ihren vollbepackten Trolleys nach Hause.