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Ethiker im Urlaub

Englands Bewerbung um die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 ist in der vergangenen Woche in schwere Turbulenzen geraten. Bewerbungschef Lord Triesman warf den Mitbewerbern Russland und Spanien Korruption vor.

Von Jens Weinreich | 22.05.2010
    Aus der Enthüllungsgeschichte der Boulevardzeitung Mail on Sunday wurde in Windeseile eine nationale Affäre. Lord Triesman trat nach wenigen Stunden von seinen Ämtern als Bewerbungschef und Präsident des Fußballverbandes FA zurück. Seither wurden alle sportpolitischen und politischen Kontakte genutzt, um den Fußball-Weltverband FIFA und die Mitbewerber aus Spanien und Russland zu beruhigen.

    Englische Journalisten diskutierten zudem die Frage, ob die Mail unpatriotisch gehandelt habe, Lord Triesman derartig bloß zu stellen und die englische WM-Bewerbung zu gefährden. Merkwürdige journalistische Vorstellungen. Geradezu entschuldigend wird angeführt, dass Triesman die Korruptionsvorwürfe ja nicht offiziell, sondern "nur” in einem Gespräch mit seiner ehemaligen Geliebten erhoben habe. Dummerweise hatte Jessica Jacobs das Gespräch aufgezeichnet.

    Die entscheidende Passage, in bescheidener akkustischer Qualität, aber mit brisantem Inhalt:

    ""And if Spain drop out, because Spainiards are looking for help from the Russians to help bribe the referees in the World Cup, their votes may then switch to Russia.”"

    Triesman beschrieb diesen Deal: Russland hilft dabei, bei der WM in Südafrika Schiedsrichter zu bestechen, damit Spanien Weltmeister wird. Spanien zieht später seine Bewerbung zurück und stellt sicher, dass die Stimmen aus Spanien und Südamerika nach Russland gehen, wenn das FIFA-Exekutivkomitee im Dezember über die WM 2018 entscheidet.

    Russland gilt seit einiger Zeit als Top-Favorit. Dort werkeln Oligarchen und Politiker gemeinsam am Milliardenprojekt – unterstützt von Großkriminellen wie etwa dem international mit Haftbefehl gesuchten Alimsan Tochtachunow, der einst die Eislauf-Entscheidungen bei den Olympischen Winterspielen 2002 manipuliert haben soll, und der sich in Moskau schon mal mit FIFA-Präsident Joseph Blatter trifft. Für alle Geschäftemacher im 24-köpfigen FIFA-Exekutivkomitee bietet Russland weit mehr Optionen.

    Die Engländer entschuldigten sich für Triesmans Aussagen inzwischen bei allen Seiten. Dabei weiß in der Szene jeder, dass derartige Deals für eine WM-Vergabe entscheidend sind. Selbst das Schiedsrichter-Modell scheint nicht aus der Luft gegriffen, wenngleich es keine Beweise für Triesmans These gibt.

    Doch: Spaniens Verbandschef Ángel María Villar Llona ist Chef der FIFA-Schiedsrichterkommission, in der einige schwer korrupte Funktionäre sitzen: Vize-Kommissionschef ist Brasiliens Verbandschef Ricardo Teixeira, der ebenfalls dem Exekutivkomitee angehört. Zur Kommission gehört außerdem der Pole Michal Listkiewicz, von FIFA-Boss Sepp Blatter stets gestützt, daheim aber wegen Korruption, Schiedsrichterbestechung und zahlreicher anderer Skandale in der Verantwortung.

    Die Triesman-Affäre nahm schräge Wendungen: Ausgerechnet Lord Sebastian Coe, Chef des Londoner Olympia-Organisationskomitees 2012, bemühte sich in einem Gespräch mit Blatter um Flurbereinigung und teilte via Zeitungskolumne und BBC mit, alles sei in Ordnung, die Bewerbung habe keinen Schaden genommen.

    Alle Welt kenne Englands Qualitäten, die Stadien, die Fans, den Markt. über Nacht sei das keine schlechte Bewerbung geworden, sagte Coe.

    Die FIFA erklärte, ihre Ethik-Kommission werde sich mit der Sache befassen. Das ist bizarr: Denn Chef der Ethik-Kommission ist eigentlich Lord Coe. Nur hatte der sich im vergangenen Jahr von Blatter beurlauben lassen, weil ihn der Olympia-Job so mitnimmt. Der beurlaubte FIFA-Ethiker aus England erklärt dem FIFA-Präsidenten nun also, dass Englands Verbandspräsident Unsinn erzählt, wenn er Korruption bei der WM-Vergabe beschreibt.

    Selbstverständlich bemühte sich auch Englands FIFA-Vize Geoff Thompson um Schadensbegrenzung. Thompson trat Triesmans Nachfolge als Bewerberchef an. Bizarr daran: Thompson war vor drei Jahren nur als Ersatzkandidat ins FIFA-Exekutivkomitee gelangt, weil der schon gewählte Schotte John McBeth sich im letzten Moment hinauskatapultiert hatte.

    Was hatte McBeth getan?

    Er hatte in Zeitungsinterviews ausführlich über Korruption und Vetternwirtschaft in der FIFA gesprochen. Hatte namentlich Präsident Blatter und Vizepräsident Jack Warner erwähnt. Warner, mit seinen korruptiven Privat-Fußballgeschäften zum Multimillionär geworden, würde er nicht einmal die Hand geben, sagte McBeth. Zitat: Warner klaue ihm sonst noch die Finger.

    Man könnte also von einer gewissen Kontinuität sprechen, die sich in den Aussagen von McBeth und Triesman offenbart. Doch beide sind ihrer Ämter enthoben. Das Geschäft aber geht weiter.

    Dass die FIFA-Ethikkommission Wahrheiten ans Tageslicht befördert, ist garantiert nicht zu befürchten.