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Ethisches Bauen

Nachhaltiges Bauen muss mehr bedeuten, als bloßes Energiesparen. Darüber sind sich Architekten und Stadtplaner heute weitgehend einig. Inzwischen fahnden die Städtebauer gemeinsam mit Ethikern nach der Architektur für ein gutes Leben.

Von Ursula Storost | 19.07.2012
    Die Art wie du bist und ich bin, die Weise nach der wir Menschen auf der Erde sind, ist das Bauen, das Wohnen. Mensch sein, heißt: wohnen.

    So wie Martin Heidegger beschäftigen sich Philosophen seit Jahrtausenden mit dem Zusammenhang zwischen Architektur und der Befindlichkeit des Menschen. Bis heute. Zum Beispiel Christian Illies, Professor für praktische Philosophie an der Uni-versität Bamberg.

    "Die Architektur ist insofern ein ganz großes spannendes Thema für die Ethik, weil sich in ihr unsere Lebensentwürfe zeigen. Weil wir in ihr mitteilen, wie wir uns unser Leben, unsere Welt vorstellen und weil die Architektur zugleich auch uns bestimmt. In der Weise, wie wir leben, wie wir mit der Natur umgehen, wie wir miteinander um-gehen."

    Das bedeute, dass Stadtplaner und Architekten besonders im vorigen Jahrhundert eklatante Fehler gemacht hätten.

    "Sie haben Fehler gemacht indem sie ein zu großes Gewicht auf den Verkehr, auf die Infrastruktur auch auf die Funktionalität gelegt haben. Ein zu geringes Gewicht darauf, dass die Architektur auch ein genuinen lebenswerten Raum schaffen muss in dem der Mensch auch er-füllt ist, in dem der Mensch Schönheitserfahrungen hat, in dem der Mensch gerne auch im städtischen Raum geht, sich aufhält."

    Dass die Menschen eine Sehnsucht nach Schönheit haben, zeige die wachsende Zahl verschnörkelter Kitschbauten in seiner eigenen Umgebung.

    "Wie im Moment, dass alle im Toscana-Stil italienische Landhäuser sich in den Gürtel um München herum bauen. All das ist doch ein Ausdruck dafür, dass der Mensch hier etwas sucht, was ihm die moderne Architektur wohl nicht hinreichend geben kann."

    Die Herausforderung für Architekten laute, den Menschen eine Architektur zu geben, in der er aufblühen könne. Eine dem Menschen gemäße Schön-heit ohne Kitsch und Schlossattrappe und ohne Selbstdarstellung des Baumeisters, sagt Christian Illies.

    "Die große Kunst der Architektur müsste sein auch wieder für diese un-interessanten architektonischen Bereiche, in denen es um Rei-henhäuser geht, in denen es um Wohnsiedlungen geht, in denen man nicht das Große, Besondere, das Event, die Villa oder die Stadthalle bauen kann, auch für diese Baugebiete wieder eine Formensprache zu entwickeln, die auf den Menschen lauscht, auf seine Bedürfnisse und so tatsächlich zu einer Urbanität kommt, die weniger das Ego des Architekten in seiner exzentrischen Selbstverwirklichung noch die banale Funktionalität einer Wohn-kiste als Ergebnis hat sondern einen Ort, der Lebensmöglichkeiten eröffnet."

    Solche Orte des urbanen Zusammenseins zu schaffen, haben sich die Macher der Internationalen Bauausstellung, kurz IBA in Hamburg Wilhelms-burg auf ihre Fahnen geschrieben. Zum Beispiel im Weltquartier, einer Arbeitersiedlung aus den neunzehnhundertdreißiger Jahren. 40 Nationalitäten wohnen hier, erklärt der Architekt und Stadt-planer Uli Hellweg, Geschäftsführer der IBA.

    "Wir haben in einem sehr breiten Beteiligungsverfahren die Bedürfnisse der Menschen erfragt mit sogenannten Heimatforschern, die sechs Sprachen sprachen. Und die Bedürfnisse dieser Menschen sind dann in Planungen umgesetzt worden, die auch wieder mit den Leuten hier diskutiert worden sind."

    Die meisten der zweigeschossigen Rotklinkerbauten wurden bereits grundsaniert, energetisch auf den neuesten Stand gebracht. 2013 sollen die Arbeiten ganz abgeschlossen sein. Die Quadratmetermiete hat sich nur gering erhöht und ist für die nächsten zwanzig Jahre fest-geschrieben. Erhöht hat sich der Komfort. Die 820 Wohnungen haben eine energiesparende Wärmeversorgung. Ein neu er-richteter Bewohnerpavillon bietet Räumlichkeiten für Feiern und andere Aktivitäten. Und wer will, bekommt einen kleinen Garten vor der Haustür.

    "Die Hälfte der Menschen wollte offene Grünflächen, wo man Ball spielen kann usw. und lang laufen kann. Und die andere Hälfte wollten Gärten. Und dann haben wir uns so geeinigt, dass praktisch so kleine Garteninseln in diese Grünflächen eingesetzt werden, wo dann einzelne Mieter, Haushalte dann ihr Gemüse oder ihre Kräuter pflanzen und züchten können."

    Weg von der Architektur der klassischen Moderne mit ihrer rein technologischen Orientierung. Weg von "Gottvaterplanern" à la Corbusier, die glaubten, alles zu können. Hin zu einer Philosophie eines ganz-heitlichen Konzeptes der ökologischen Moderne, die auf den Menschen schaut und auf Nachhaltigkeit, sagt Uli Hellweg. Eine Philosophie, die zukünftig vielleicht Vorbild sein könnte für die Megastädte der Dritten Welt.

    "Wir haben die Aufgabe jetzt die Konzepte zu entwickeln für die Urbanisierungs-strategien, die auch in Zukunft tragfähig sind. Dass wir hier klima-neutrales Wilhelmsburg bauen. Nicht in der Erwartung, dass Mumbai das morgen kopiert. Aber in der Erwartung, dass wir Urbanisierungskonzepte zeigen, die über eine Generation oder über zwei Generationen auch von andern jetzt explodierenden Megacitys irgendwann übernommen werden."

    Wohnen heißt sich verorten, sich mit seinem Ort identifizieren sagt der Münchner Stadtplaner und Architekt Jochen Witthinrich und folgt damit einem Gedanken des Philosophen Martin Heidegger.

    "Da sind wir wieder beim Thema Nachhaltigkeit, genau die Verbindung zwischen Bauen und Natur. Das heißt, der Mensch sollte eigentlich wieder begreifen, dass er aus diesem Boden entstanden ist und auch mit der Natur sich wieder verbunden fühlen sollte."

    Derzeit ist Jochen Witthinrich an der Bebauung der ehemaligen Prinz-Eugen-Kaserne beteiligt. Einem 30 Hektar großen Gelände in München Bogenhausen. Sein Ziel: bezahlbaren Wohnraum ohne Gleich-macherei zu schaffen. Wohnbereiche für alle Interessen und für ein gutes Leben.

    "Es gibt den gewissen Bereich, das sind Künstler. Dann gibt es gewisse Bereiche, das sind eher Lehrer oder Beamte. Dann gibt es gewisse Be-reiche, die gärtnern gerne. Dann gibt es Leute, die gerne zurück-gezogen leben. Und Menschen, die sehr extrovertiert leben. Und ich glaube das ist die Kunst des guten Lebens, dass man auf engem Raum in der Stadt Möglichkeit schaffen für diese hetero-genen Bedürfnisse der Menschen. Wir wollen die Heterogenität eigentlich zum Prozess machen."

    Dass Hochhaussilos Menschen nicht glücklich machen,.das hätte man schon von den antiken Philosophen lernen können, erklärt Jochen Witthinrich. Zum Beispiel von Platon.

    "Bei den alten Griechen gab’s Untersuchungen, wenn eine gewisse Zahl, eine kritische Masse von Menschen überschritten wird, das ist jetzt so bei dreihundert, dann steigt die Anonymität und die Menschen nehmen keine Rücksicht mehr auf die Bedürfnisse der anderen Menschen. Also wenn man ein Viertel macht, das für dreitausend geschaffen ist, würde ich sagen, das funktioniert nicht. Sondern man muss es aufteilen in wiederum kleine Gruppen."

    Nachhaltigkeit in der Architektur, das bedeutet für den Philosophen und Architekten Dr. Martin Düchs zunächst Gerechtigkeit. Dass die Umwelt nicht ausgebeutet und beschädigt wird auf Kosten kommender Generationen. Und dass ein Architekt sorgsam mit den Menschen umgeht, die von seinen Bauten betroffen sind. Es müsse in der Architektur immer darum gehen, ein gewisses Ideal, von dem wie wir leben wollen, zu verwirklichen, sagt Martin Düchs. Und das sei kein weltfremder Idealismus.

    "Ich sehe doch sehr viel mehr Idealismus, der sozusagen in der Gesellschaft als Ganzes wichtiger wird. Man denke an auf die Architektur bezogen, Projekte wie Stuttgart 21, wo sich eine Gesellschaft offensichtlich gegen eine ökonomische Maximierung gewandt hat. Auch in München der Flughafen ist jetzt abgelehnt worden. Alles nur er-klärbar, wenn die Menschen nicht die Ökonomie an erster Stelle sehen sondern das gute Leben."

    Architektur müsse in Zukunft verstehen, dass Städte eingebunden seien in eine größere Umwelt, fordert auch Konrad Ott, Professor für Umwelt-ethik an der Universität Greifswald.

    "Und dann kann man auch überlegen, wie kann wieder mehr Natur in die Stadt hineinkommen."

    Konrad Ott empfiehlt einen Blick in die Architekturgeschichte der letzten einhundert-fünfzig Jahre

    "Zum Beispiel Konzepte wie die Gartenstadt, die in den Jahren vor dem 1. Welt-krieg in Deutschland eine wirkliche Konjunktur hatte. Also nicht immer sagen, ich mach was ganz, ganz Neues, was ganz, ganz Originelles, sondern vielleicht auch mal im Alten, in den Traditionen des Bauens schauen, was ist davon im Grunde zu-kunftsfähig."

    Eine Meinung, die IBA Chef Uli Hellweg durchaus teilt. Authentisch müssten Quartiere sein, aus ihrer Geschichte heraus entwickelt werden, sagt er. Für eine ganzheitliche Stadtplanung müssten nicht nur Philosophen mit ins architektonische Boot geholt werden sondern auch Soziologen, Mediziner, Psychologen und Künstler. Eine interdisziplinäre Kompetenz, die es inzwischen häufiger gäbe. Aber, bedauert der Architekt, in der Öffentlichkeit würden solche guten Ansätze kaum wahrgenommen.

    "Weil die Medien sich immer auf die 5-Sterne-Architekten, auf die Großstars konzentrieren. Und es geht ja so weit, dass selbst der letzte Provinzbürgermeister glaubt, wenn er den 5-Sterne-Architekten XY hat, kommt auch noch sein Kaff in die Weltpresse."


    Buchtipp zum Weiterlesen:
    Martin Düchs: "Architektur für ein gutes Leben.
    Über Verantwortung, Ethik und Moral des Architekten"
    Waxmann Verlag Münster, 29,90 €