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Etikettenschwindel bei Lebensmitteln

Ob Aroma statt echter Vanille im Joghurt, Rindfleischsuppe ohne Rindfleisch oder Hering nach Hausfrauenart mit vielen Zusätzen – es gibt viele Möglichkeiten der Täuschung. Der Verbraucherzentrale Bundesverband vzbv hat jetzt eine Studie vorgestellt, die die Trends in der Vermarktung analysiert.

Von Dieter Nürnberger | 18.04.2012
    Beim Internetportal "lebensmittelklarheit.de" geht es ja vor allem darum, dass Verbraucher auf Missstände, auf falsche oder irreführende Bezeichnungen bei Lebensmitteln, auf Mogelverpackungen etc. aufmerksam machen können. Und sie tun dies auch. Der Verbraucherzentrale Bundesverband vzbv spricht von einem erfolgreichen Projekt, Tausende Bürger würden hier Fragen stellen und auch ihre Erfahrungen mit anderen Kunden austauschen. Und letztendlich hat der vzbv diese Reaktionen heute zum Anlass genommen, auf ein grundlegendes Problem aufmerksam zu machen. Der Vorwurf an die Hersteller und auch die Politik lautet, dass sie keinen funktionierenden Qualitätswettbewerb erlauben. Gerd Billen vom Vorstand des vzbv:

    "Die Verbraucher kaufen heute nicht nur Lebensmittel, um satt zu werden. Sie erwarten eine umweltverträgliche Landwirtschaft, sie interessieren sich für Tierschutz. Und deswegen werden Lebensmittel zunehmend Vertrauensgüter – hier liegt das Konfliktpotenzial. Es gibt viele Beschwerden, dass Produkte mit großen Fruchtabbildungen werben, bei denen man aber diese Früchte dann im Kleingedruckten nicht mehr wiederfindet. Oder dass mit freilaufenden Hühnern und Schweinen für Fleisch und Eier geworben wird, in Wahrheit diese Tiere aber nie das Tageslicht sehen. Das sind Dinge, die auch objektiv nicht in Ordnung sind."

    Klare Regeln und Standards für den Lebensmittelmarkt sind deshalb im Interesse von Verbrauchern, sagt Gerd Billen. Unterstützt wird dies durch eine Studie im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, erstellt durch die "Agrifood Consulting GmbH". Hier wird kritisiert, dass Qualitätsmerkmale am fertigen Produkt nur schwer überprüfbar seien, zudem Regeln für Kennzeichnung und Aufmachung einer Ware unklar definiert würden. Und letztendlich würde dies auch negative Folgen für einzelne Hersteller haben, nämlich für jene, die sich wirklich Qualität auf die Fahnen geschrieben haben, sagt Anke Zühlsdorf, die die Studie mitverfasst hat.

    "Wenn die Informationen auf der Verbraucherseite so stark von dem abweichen, was der Hersteller als Qualitätsmerkmal auslobt, dann gibt es große Probleme zwischen Anbietern und Nachfragern – da droht ein Marktversagen. Ich möchte betonen, dass auch von Anbieterseite ein hohes Interesse besteht, hier die Rahmenbedingungen entsprechend klar zu regeln. Es ist auch aus wettbewerbspolitischer Perspektive sinnvoll, dass der Qualitätswettbewerb funktioniert. Dass ein Anbieter, der besondere Leistungen vollbringt und diese kommuniziert, auch von den Konsumenten erkannt werden kann. Sonst konzentriert sich beim Einkauf wirklich alles nur auf den Preis einer Ware.''"

    Die Studie verweist auf veränderte Anforderungsprofile oder Erwartungen an Lebensmittel. So bestimme inzwischen Zeitknappheit bei vielen Verbrauchern den Alltag, gleichzeitig wachse aber auch das Bewusstsein für gesundheitliche, soziale und ökologische Effekte des eigenen Handelns, des eigenen Einkaufs.

    Der vzbv will deshalb nicht nur mehr Klarheit und Wahrheit auf den Produkten lesen können, sondern auch langfristig die brancheninternen Leitsätze ändern. Dies betrifft im Wesentlichen die Arbeit der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission. Hier werden Herstellung und Beschaffenheit von Lebensmitteln genau definiert. Es sei aber so, sagt Gerd Billen, dass in dieser Kommission Wirtschaftsvertreter Reformen blockieren könnten, wenn sie geschlossen abstimmen. Das müsse geändert werden.

    ""Alt-Bundespräsident Köhler hat schon vor fünf Jahren gefordert, dass wir eigentlich ein zweites Preisschild bräuchten. Auf dem genau erkennbar ist, wie sieht es hier mit dem Tierschutz, der konkreten Produktion oder auch der regionalen Herkunft aus. Bei der Festlegung von Handelsbezeichnungen darf es nicht so sein, dass die Unternehmen dies selbst und allein bestimmen. Die Unternehmen sind zur Schönfärberei gezwungen, wollen sie sich im Markt unterscheiden von ihren Mitbewerbern. Bei der Bezeichnung müssen die Verbraucher gefragt werden – Beispiel: Versteht ein Verbraucher, dass in einer Kalbsleberwurst keine Kalbsleber ist? Findet er das in Ordnung oder fühlt er sich irritiert?"

    In diesem Zusammenhang sei natürlich auch die zuständige Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) gefordert. Der Politik könne es ebenso nicht gefallen, so Gerd Billen, dass Qualität heutzutage am Markt nur noch schwer zu erkennen sei.