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EU-Asylpolitik
"Wir sind im Grunde keinen Schritt weitergekommen"

"Wir haben keine bessere Situation als 2015", sagte Grünen-Politikerin Göring-Eckardt im Dlf mit Blick auf die Asylpolitik. Sie forderte, auf EU-Staaten, die sich nicht am Umverteilungsmechanismus für Flüchtlinge beteiligten, müsse politischer und finanzieller Druck ausgeübt werden.

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 27.07.2017
    Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl
    Aufnahmeunwillige Staaten sollen zu Strafzahlungen verpflichtet werden, forderte die Grünen-Spitzenkandidatin Göring-Eckardt im Dlf. (picture alliance / Michael Kappeler/dpa)
    Ann-Kathrin Büüsker: Der Europäische Gerichtshof hat gestern bestätigt: Die Dublin-Verordnung gilt, auch in Krisenzeiten! Die Flüchtlinge, die Kroatien 2015 durch das Land gelassen hatte, die dann Asylanträge in anderen Ländern gestellt haben, das hätte nicht sein dürfen. Geklagt hatten Österreich und Slowenien. Das Land, in dem die Flüchtlinge die EU betreten, ist auch für die Asylanträge zuständig. Das Gericht hat aber auch klargestellt: Diese Zuständigkeit konnte dem Land abgenommen werden, freiwillig, so wie Deutschland es getan hat.
    Kroatien hat Flüchtlinge durchgewunken, das war illegal - Deutschland hat Flüchtlinge reingewunken, das war legal. Weil es damit eben die Pflicht der Asylanträge auf sich genommen hat. Solidarität rechtfertigt eine solche Ausnahme vom Dublin-System, so die Richter am Europäischen Gerichtshof. Darüber möchte ich nun mit Katrin Göring-Eckardt sprechen, Spitzenkandidatin der Grünen, guten Morgen!
    Katrin Göring-Eckardt: Guten Morgen, Frau Büüsker, ich grüße Sie!
    Büüsker: Frau Göring-Eckardt, viele Beobachter deuten das jetzt als ein Zeichen dafür, dass Angela Merkel im Herbst 2015 mit der Öffnung der deutschen Grenze keinen Rechtsbruch begangen hat. Im Geiste der Solidarität - okay, sagt der EuGH. Aber wieso ist es politisch in Ordnung, dass ein EU-Staat ohne Absprache mit den anderen eine solche für alle relevante Entscheidung trifft?
    Göring-Eckardt: Na, politisch ist es auf jeden Fall gewesen, in dieser Situation - weil man kann ja nicht anders sagen, als dass das eine Notsituation war - zu handeln und auch deutlich zu machen, dass Deutschland in diese Situation eintritt, dass es solidarisch ist, aber vor allen Dingen auch, dass es, obwohl Deutschland nicht darauf vorbereitet war, gesagt hat: Wir machen das jetzt. Und …
    Büüsker: Aber Frau Göring-Eckardt, das hatte ja auch Konsequenzen für die anderen EU-Staaten, beispielsweise Österreich und Slowenien.
    Göring-Eckardt: Das hatte auch Konsequenzen für die anderen EU-Staaten, in der Tat. Und deswegen ist immer der zweite Satz, den ich dazu sagen muss: Dazu hätte es gehört, trotz der Notsituation, sofort alles daran zu setzen und auch damit nicht aufzuhören, eine gemeinsame europäische Verteilung hinzubekommen. Das ist dann danach immer wieder probiert worden, aber eben nur am Anfang mit Nachdruck.
    Wenn man sich heute die Situation anschaut, sind wir im Grunde genommen keinen Schritt weitergekommen. Und auch die deutsche Bundesregierung, auch Angela Merkel hat, nachdem sie anfänglich 2015/16 das noch probiert hat, alle diese Versuche am Ende wieder aufgegeben. Und da sehe ich das Problem, dass die gemeinsame europäische Verteilung keine Rolle spielt und dass alles das, was mit der Aufnahme von Flüchtlingen zu tun hat, alles das, was zu tun hat damit, dass wir nicht zulassen können, dass das Mittelmeer ein Massengrab wird, eben die Anstrengungen wahnsinnig nachgelassen haben und wir im Grunde keine bessere Situation haben als 2015.
    "Politisch hat sich Dublin längst überlebt"
    Büüsker: Wenn Sie jetzt die Verteilung kritisieren, da hat aber der Generalanwalt vom EuGH gestern auch gesagt, er empfiehlt, die Klagen unter anderem von Ungarn abzuweisen, das sich ja massiv gegen die Umverteilung wehrt. Das ist dann also doch eigentlich ein gutes Zeichen?
    Göring-Eckardt: Das ist eigentlich ein gutes Zeichen und trotzdem muss man sich natürlich die Frage stellen, warum der EuGH auf der einen Seite das machen muss - das ist ja jetzt auch die Aufgabe des Gerichts - und auf der anderen Seite die politischen Anstrengungen faktisch nicht mehr stattfinden. Also, Italien ist in der gleichen Situation, das erleben wir jetzt. Es kommen nicht ganz so viele Menschen wie 2015, aber Italien sagt natürlich zu Recht: Wir können das überhaupt nicht auf die Reihe kriegen, das funktioniert nicht, sondern wir brauchen diese Verteilung, und das heißt natürlich auch, es muss Druck ausgeübt werden.
    Und mir wäre es zehnmal lieber, wenn das nicht der EuGH machen müsste, sondern wenn es dazu politische Lösungen gibt. Ich habe den Eindruck, dass die deutsche Bundesregierung nach dem Motto verfährt: Lasst uns jetzt nicht darüber reden, es ist gerade Wahlkampf und hoffentlich klappt die neue alte Abschottungspolitik doch irgendwie. Weil, was ja auch gilt, ist: Natürlich hat der EuGH gesagt, Dublin gilt. Aber was auch gilt, ist: Politisch hat sich Dublin längst überlebt.
    Büüsker: Was wäre denn dann Ihr Ansatz, um jetzt innerhalb von Europa die Verteilung der Flüchtlinge zu lösen?
    Göring-Eckardt: Also, zunächst mal, finde ich, gehört es dazu, dass man den Schleppern das Handwerk legt, dass man dafür sorgt, dass die Menschen sicher übers Mittelmeer kommen. Und wir sagen, das geht mit Kontingenten. Dann heißt das, dass Menschen auch warten müssen, aber sie haben immerhin die sichere Aussicht, dass sie auch am Ende tatsächlich übers Mittelmeer kommen. Dazu …
    Büüsker: Ja gut, aber da reden wir jetzt ja über die Menschen, die unter Umständen noch kommen. Wir müssen aber ja erst mal die umverteilen, die schon da sind, wie kriegen wir das denn hin?
    Göring-Eckardt: Das kriegen wir hin, indem die Europäer gemeinsam sich zusammensetzen und auch klar ist … Also, ich würde so nach dem Motto verfahren: Man muss dann so lange zusammensitzen, bis es auch eine Lösung dafür gibt. Und wenn es die nicht gibt, dann wird man da mit finanziellen Druckmitteln auch handeln müssen. Auch da haben wir ja beim Gerichtshof entsprechende Verfahren und Sie haben das angesprochen, was Ungarn angeht, dass dann Strafzahlungen stattfinden.
    Man kann das mit Strafzahlungen machen, wieder übers Gericht; man kann das auch politisch machen, dass man sagt: Na gut, dann kriegen eben diejenigen Länder aus einem Fonds Geld, die es machen, und die anderen eben keins. Vor allen Dingen haben, glaube ich, viele EU-Länder nicht mehr den Eindruck, dass es eine echte Anstrengung gibt, das zu lösen, sondern man hat das jetzt auf den EuGH übertragen und es gibt keinen politischen Druck mehr.
    Und das muss man in dieser Frage machen, weil wir nicht sagen können, es wird schon irgendwie aufhören, die Abschottung wird schon irgendwie klappen, das alte Dublin-System wird schon irgendwie klappen. Ich möchte nicht wieder so eine Situation wie in 2015 haben, wo wir wieder erleben - und die Zahlen der Flüchtlinge weltweit sind ja ziemlich hoch -, dass es am Ende nur Chaos gibt und dann hoffentlich die engagierten Ehrenamtlichen irgendwie eintreten.
    "Dann müssen sie eben zahlen"
    Büüsker: Kommen wir noch mal ganz kurz zurück auf die Verteilung! Es sind ja vor allem die osteuropäischen Länder, die sich hier querstellen. Nun haben diese Länder ja auch gesehen, was 2015 in Deutschland passiert ist, als zu uns so viele Flüchtlinge gekommen sind. Der Widerstand gerade innenpolitisch gegen diese Flüchtlinge war ja sehr groß, da hat sich ja sehr viel getan bei uns im Land. Warum sollten sich die Länder darauf einlassen, dass das bei ihnen auch passiert?
    Göring-Eckardt: Na ja, was sich bei uns erst mal getan hat, war ja, dass sich viele Menschen engagiert haben und dass viele Menschen gesagt haben: Wir helfen da, ehrenamtlich.
    Büüsker: Aber es gibt auch viele Menschen, die bis heute dagegen sind, was 2015 passiert ist. Und das sehen wir auch in osteuropäischen Ländern.
    Göring-Eckardt: Richtig, mir war nur wichtig, dass wir beide Seiten betrachten. Und politisch ist jetzt erst mal die Verpflichtung, auch für die osteuropäischen Länder. Jetzt wird man, wenn man sich vorstellt, dass man Flüchtlinge zu Herrn Orbán bringt, nicht sagen, das ist für die Menschen und auch für Europa kein wahnsinnig gutes Zeichen. Weil, die Unterbringung dort ist natürlich nach allem, was wir wissen, alles andere als humanitär, alles andere als so, dass da entsprechende Standards gewährleistet sind.
    Deswegen gehört das für mich dazu, wenn Ungarn das nicht machen will und wenn die sich am Ende immer noch dagegen wehren, dann müssen sie eben zahlen. Und wenn sie es machen, dann müssen entsprechende Standards eingehalten werden. Die Europäische Union verfährt ja nicht nach dem Motto: Wir gucken mal, ob es freiwillig geschieht! Sondern es gibt eine Verpflichtung und die muss man einhalten. Wenn man sie nicht einhält, dann müssen entsprechende Ausgleichsmaßnahmen stattfinden.
    "Es muss diese verbindliche Verteilung geben"
    Büüsker: Frau Göring-Eckardt, wenn Ungarn bezahlen soll dafür, dass es keine Flüchtlinge nimmt, müssen die Flüchtlinge ja irgendwo bleiben, unter Umständen in Italien. Bedeutet das dann, dass Italien mehr Geld von der EU bekommen muss?
    Göring-Eckardt: Wenn man tatsächlich mit so einem Fonds arbeitet, dann würde es das bedeuten. Ich glaube jedenfalls, dass wir ein System finden müssen, was wirklich langfristig auch funktioniert. Weil, wir werden nicht absehen können, in welchem Ausmaß Menschen kommen. Wir werden dafür sorgen müssen - das ist ja für Italien mindestens genauso richtig -, dass die schnelle Registrierung funktioniert, dass wir rechtsstaatliche Verfahren haben, sodass Leute auch schnell zurückkehren.
    Es macht ja keinen Sinn, dass wir nach wie vor Verfahren und Registrierungen haben, die viel, viel zu lange dauern. Und deswegen muss es diese verbindliche Verteilung geben und das heißt nicht, dass Italien alle aufnehmen, sondern das heißt eben, dass die restlichen EU-Staaten ihre jeweiligen Pflichten entsprechend auch erfüllen. Und das heißt das übrigens auch für Deutschland. Weil, wir haben nicht mal diejenigen aufgenommen, die wir in der Kontingentverteilung eigentlich zugesagt haben.
    Büüsker: Sagt Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin der Grünen. Wir haben gesprochen über das Urteil des EuGH gestern zur Dublin-Verordnung. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk!
    Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.