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EU-Asylstreit
"Staaten müssen mehr Leistung erbringen"

Der scharfe Ton unter den europäischen Regierungen zeige den Ernst der Lage, sagte Josef Janning vom Think Tank ECFR im Dlf. Auf der anderen Seite schließt er die Möglichkeit des Vorangehens einer Reihe von Mitgliedsstaaten nicht aus.

Josef Janning im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 22.06.2018
    Die Flagge der Europäischen Union (l.) und die Flagge der Bundesrepublik Deutschland.
    Die Flagge der Europäischen Union (l.) und die Flagge der Bundesrepublik Deutschland. (picture alliance / Monika Skolimowska/dpa)
    Ann-Kathrin Büüsker: "Ich habe die Europäische Union wachgeküsst!" - Das sagt Innenminister Horst Seehofer gegenüber der Passauer Neuen Presse und meint damit, dass er neuen Schwung in die Suche nach einer europäischen Lösung der Asylfrage gebracht hat. Nun muss man dazu sagen, dass diese Lösung schon lange gesucht wird. Erst am 5. Juni gab es ein Treffen der Innenminister auf EU-Ebene. Bei dem sollte ein Vorschlag zur Reform des Dublin-Systems verabschiedet werden. Es kam aber nicht dazu.
    Nun muss die Bundeskanzlerin ran, auch auf Druck der CSU Ende des Monats eine Lösung im Asylstreit finden - mit Blick darauf auch, was die Verteilung von Flüchtlingen angeht. An diesem Sonntag gibt es ein Treffen zur Vorbereitung in Brüssel, eine Art Minigipfel, und vorher machen zahlreiche Länder ihre Standpunkte noch mal ganz klar.
    Auf Lösungsmöglichkeiten dieses Asylstreits möchte ich jetzt auch mit Josef Janning blicken. Er arbeitet für den Think Tank European Council on Foreign Relations und leitet das Berliner Büro. Guten Tag, Herr Janning!
    Josef Janning: Guten Tag, Frau Büüsker.
    Büüsker: Herr Janning, mit Blick auf diesen ersten Entwurf für eine Abschlusserklärung, über den wir auch gerade gesprochen haben, da kriegt man ja ein bisschen den Eindruck, dass die EU-Kommission hier vor allem versucht, die deutschen Interessen zu berücksichtigen. Versucht Jean-Claude Juncker, Angela Merkel gerade aus der Patsche zu helfen?
    Janning: In gewisser Weise versucht er das, denn für die Kommission, für Juncker, wie für die EU insgesamt ist die Frage, ob Deutschland an diesem Thema eine handlungsfähige Regierung hat, natürlich entscheidend. Also will man versuchen, die Dinge im Fluss zu halten, will Möglichkeiten ausloten, wie man die doch sehr gegensätzlichen Positionen und dieses rhetorische Eingraben, das wir in vielen Hauptstädten sehen, wie man das aufbrechen kann. Und das kommt natürlich nicht bei jedem gut an, weil alle argwöhnisch darauf gucken, wie stehen ihre Hauptanliegen in diesen Überlegungen dann da und welche Kompromisse werden von ihnen erwartet.
    Deutschland am Laufen halten
    Büüsker: Genau das ist ja eine Sorge, die wir oft aus anderen europäischen Ländern hören, dass immer nur die Interessen Deutschlands im Vordergrund stehen. Wie klug ist es also, wenn Juncker hier tatsächlich den Fokus so auf die deutschen Interessen legt?
    Janning: Im Moment gilt es, aus Sicht des Kommissionspräsidenten Deutschland sozusagen am Laufen zu halten. Juncker weiß, dass Angela Merkel unter großem Druck steht. Sie muss auf der für sie entscheidenden Thematik der Sekundärmigration hinreichende Bewegung auf ein Ziel der Begrenzung hin vorzeigen können, um ihre eigene Regierung zusammenzuhalten.
    Gleichzeitig ist ja Merkel bereit, auch auf die Staaten zuzugehen, die hauptsächlich unter der Ankunft von Migranten leiden, und dazu dient dieser Gipfel am Sonntag. Dieser Gipfel dient dazu, zu sehen: Kann man einen Kompromiss zwischen diesen beiden Interessen finden, mit dem zumindest für den Zeitraum diesen Jahres die Beteiligten leben können.
    Josef Janning vom European Council on Foreign Relations auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2008.
    Josef Janning vom European Council on Foreign Relations (Imago / Wolf P- Prange)
    Büüsker: Und sind Sie optimistisch, dass da ein Kompromiss gefunden werden kann?
    Janning: Ich glaube, dieser Kompromiss wird nicht am Sonntag da sein, sondern am Sonntag wird es darum gehen - das hat ja Ihr Korrespondent auch schon sehr schön deutlich gemacht -, mal auszuloten, wo könnten denn die Kompromissfelder liegen.
    Mein Eindruck ist, dass über eine der Möglichkeiten, nämlich über kurzfristig vereinbarte bilaterale Vereinbarungen das Thema Sekundärmigration anzugehen, durchaus etwas erreichbar ist. Dazu brauchen aber die Staaten, die sich dazu bereit erklären sollten, vor allen Dingen aber Italien, hinreichende Angebote, die ihnen bei ihrem Hauptthema, nämlich finanzielle Unterstützung, Entlastung von der Zahl, das heißt auch Übernahme von Menschen, und zusätzliche Hilfen, bei der Sicherung der Außengrenzen Entgegenkommen.
    Büüsker: Markus Ferber von der CSU, der warnt jetzt ja davor, dass die Bundeskanzlerin bloß nicht mit dem Scheckbuch durch Europa gehen solle. Er warnt vor Scheckbuch-Diplomatie. Aber wenn ich Sie richtig verstehe, ist das eigentlich das einzige, was die Länder dazu bringen könnte, einer Lösung zuzustimmen?
    Janning: Natürlich muss Deutschland, aber nicht nur Deutschland, auch andere Staaten müssen dazu mehr Leistung erbringen, denn sie profitieren ja in hohem Maße von der Tatsache, dass sie selbst keine oder kaum Außengrenzen haben, die in dieser Weise unter Druck stehen.
    Das heißt, Deutschland hat vor 2015, vor dem Sommer 2015 dem Drängen der Italiener zwar rhetorisch zugestimmt, aber in der Sache sich nicht wirklich für eine Entlastung der hauptbetroffenen Staaten eingesetzt. Das rächt sich politisch jetzt, denn im Süden - und zwar dort, wo die meisten Menschen ankommen, in Italien und in Griechenland - hat sich der Eindruck festgesetzt, dass man sich nördlich der Alpen hier die Dinge sehr leicht macht, auf die Dublin-Vereinbarungen pocht und erst mal abwartet, bis die Italiener oder die Griechen es nicht mehr aushalten können, um dann in kleinen Schritten zu reagieren.
    Das kann man nun im Nachhinein nicht zurückholen, aber es wird nicht gehen, ohne mehr Leistung derjenigen Staaten, die dieses Thema der Migration nach Europa gewissermaßen an andere, an der Außengrenze liegende delegiert haben.
    Die zentrale Position des Verhandlungsprozesses
    Büüsker: Gucken wir vielleicht noch mal gemeinsam auf die Verhandlungsposition Deutschlands. Wie sehr ist Angela Merkel denn jetzt auf europäischer Ebene tatsächlich auch in diesen Verhandlungen geschwächt durch diesen innenpolitischen Streit, den sie mitbringt?
    Janning: Das belastet schon, Frau Büüsker, denn Sie müssen sich vorstellen, dass die anderen ja auch wissen, dass Merkel ein Ergebnis vorzeigen muss. Deswegen wird der eine oder andere versuchen, für diesen Druck möglichst viel im Blick auf die eigene Position herauszuholen. Aber alle müssten wissen - und das wird wahrscheinlich die Beratung am Sonntag auch bestimmen -, dass man nicht zu viel drücken darf, denn sonst riskiert man, am Ende gar nichts zu bekommen. Merkel ist unter Druck, aber gleichzeitig ist sie nach wie vor die zentrale Position in diesem Verhandlungsprozess.
    Büüsker: Herr Janning, könnte es vielleicht auch dem einen oder anderen Staats- oder Regierungschef in Europa ganz recht sein, wenn Merkel über diese ganze Sache zu Fall kommt?
    Janning: Das könnte durchaus sein. Aber das könnten eigentlich, wenn sie klug sind, nicht die Italiener sein. Denn die Italiener haben sehr viel zu verlieren von einer Nichteinigung. Die Position, die etwa Viktor Orbán einnimmt, ist für Italien unhaltbar, denn die läuft nur darauf hinaus, Unterstützung für zusätzliche Maßnahmen an den Außengrenzen, aber keinerlei Entgegenkommen, was die Aufnahme von Flüchtlingen oder Migranten angeht.
    Das heißt: Scheitert dieser ganze Prozess, sehen die Italiener und die Griechen älter aus als die Staaten in Ostmitteleuropa, die am liebsten aus dem ganzen Prozess heraus bleiben möchten.
    Die Möglichkeit des Vorangehens
    Büüsker: Ein Kollege hat mich heute Morgen im Gespräch dafür kritisiert, dass er das Gefühl hat, die gesamte europäische Presse, die schreibt das Ende der Europäischen Union geradezu im Moment herbei. Sie als Kenner der EU und auch als Freund der EU, was sagen Sie? Wie ernst steht es gerade um Europa?
    Janning: Es steht schon einigermaßen ernst, denn wenn Sie sich anschauen, wie tief die Gegensätze sind und wie scharf auch der Ton unter den europäischen Regierungen hier ist, das macht schon sehr nachdenklich. Auf der anderen Seite: Es gibt noch immer die Möglichkeit des Vorangehens einer Reihe von Mitgliedsstaaten, und die würde ich auch für diesen Fall nicht ausschließen.
    Die Bundeskanzlerin hat ja mit Unterstützung von Emmanuel Macron in dieser Migrations-, Asyl- und Flüchtlingsthematik ein sehr ambitioniertes, ein weit reichendes Integrationsprogramm formuliert, das auf eine Europäisierung der entsprechenden Rechtsgrundlagen, Verwaltungsverfahren und des Außengrenzschutzes hinausläuft. Es kann sehr gut sein, dass dafür die Zustimmung der 27 Staaten nicht zu erreichen ist, aber der Handlungsdruck im Zentrum der Europäischen Union so groß ist, dass man dann wie Weiland bei der Begründung des Schengen-Abkommens sagt, dann gehen wir voran mit einem kleineren Kreis und versuchen, unter uns diesen Interessenausgleich hinzubekommen.
    Büüsker: … sagt Josef Janning. Er arbeitet für das European Council on Foreign Relations und leitet das Berliner Büro. Vielen Dank für das Interview heute hier im Deutschlandfunk.
    Janning: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.