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Eröffnung des Brücke-Museums vor 50 Jahren
Dokumentation des Aufbruchs in die Moderne

Das "Brücke-Museum" in Berlin beherbergt einen weltweit einzigartigen Schatz: Die Sammlung ist ausschließlich Werken der 1905 in Dresden gegründeten Künstlergruppe "Die Brücke" vorbehalten. Sie opponierten gegen die akademische Malerei und sorgten so für einen Skandal. Vor 50 Jahren wurde das Museum eröffnet.

Von Regina Kusch | 15.09.2017
    Eine Museums-Besucherin geht am Bild "Drei Badende" von Ernst Ludwig Kirchner vorbei
    Im Jahr 1905 gründete sich die Künstlergruppe "Die Brücke", hier eine Besucherin vor dem Bild "Drei Badende" von Ernst Ludwig Kirchner. (picture alliance / Federico Gambarini/dpa)
    "Das ist das berühmte Marcella-Bild hier. Das Mädchen mit dem geringelten Badetrikot, was das Gesicht in die Hand stützt, auf dem Sofa sitzt, ein Bein ist angezogen und die Katze sitzt daneben. Und dann guckt die Marcella ganz gelangweilt, sie langweilt sich natürlich beim Modellsitzen. Aber man könnte auch denken, sie schaut in das Fernsehgerät, und es ist alles so langweilig, was sie da sieht."
    Die Artistin Marcella, die Ernst Ludwig Kirchner 1910 in Öl auf Leinwand porträtierte, ist heute der Publikumsmagnet des Berliner Brücke-Museums. Menschen kommen von überall aus der Welt, um die androgyne Kindfrau mit dem orangefarbenen Teint und den roten Pantöffelchen auf dem grünen Diwan zu betrachten. Die Direktorin des Brücke-Museums Magdalena Moeller hat das Gemälde 1997 für fünf Millionen Mark erworben:
    "Es wurde mit Lottomitteln finanziert, und das war damals der teuerste Kirchner-Ankauf eines Museums. Und einerseits hat die Presse gejubelt, die ‚Morgenpost‘ hat zum Beispiel geschrieben: ‚Tolle Neuerwerbung für das Brücke-Museum!‘, während die FAZ rumgenörgelt hat: ‚Soviel Geld für einen Kirchner! Ist das denn sinnvoll?‘ Und ich muss sagen, ja, es ist sinnvoll. Das Bild ist heute das Zehnfache wert, und es ist die Ikone des Brücke-Museums."
    Wollten Arm- und Lebensfreiheit schaffen
    Das Brücke-Museum ist weltweit das einzige Haus, das sich auf die 1905 gegründete avantgardistische Künstlergruppe "Die Brücke" spezialisiert hat.
    "Als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt."
    Mit diesem Anspruch gründeten vier Anhänger van Goghs, die Dresdener Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff, die Künstlergruppe "Brücke", zu der später noch Otto Müller, Emil Nolde und Max Pechstein kamen.
    "Wovon wir wegmussten, war uns klar - wohin wir kommen würden, stand allerdings weniger fest," notierte Erich Heckel in sein Tagebuch.
    Malerei farbig und nicht realistisch
    "Wir haben natürlich überlegt, wie wir an die Öffentlichkeit treten könnten. Schmidt-Rottluff sagte, wir könnten das ‚Brücke‘ nennen - das sei ein vielschichtiges Wort, würde kein Programm bedeuten, aber gewissermaßen von einem Ufer zum anderen führen."
    Magdalena Moeller, Direktorin des Brücke-Museums, erklärt:
    "Diese Künstler opponierten gegen die akademische Malerei. Denn das waren ja die großen Schinken mit Aktdarstellungen, alles in dunkeltoniger Malweise vorgetragen, und die jungen Leute haben dagegen opponiert und haben farbig gemalt und auch nicht realistisch, sondern alles wurde sehr schnell erfasst, abgekürzt, also die Formen reduziert auf das Wesentliche. Und das war damals skandalös."
    Ernst Ludwig Kirchner malte klassische Motive, aber mit verfälschten Farben, etwa Frauenakte mit grünen Körpern. Karl Schmidt-Rottluffs Bilder zeigen blaue Monde und einen karmesinroten Deich. Die Künstler machten den Holzschnitt wieder populär und beschäftigten sich, nachdem sie 1911 nach Berlin umgezogen waren, viel mit Stadtlandschaften und Straßenszenen. 1913 löste sich "die Brücke" auf.
    Zu seinem 80. Geburtstag schenkte Karl Schmidt-Rottluff, einer der Hauptvertreter des deutschen Expressionismus, dem Land Berlin 74 Gemälde und Aquarelle. Erich Heckel schloss sich mit einer großzügigen Schenkung an, sodass ein Grundstock für ein Museum mitten im Grunewald entstand, das der Berliner Architekt Werner Düttmann entwarf.
    Künstler schrieben Kunstgeschichte
    "Es steht in der Tradition der Bauhaus-Architektur, ist also ein Flachbau, ein Innenhof, um den vier Räume unterschiedlicher Größe gruppiert sind. Und das Besondere an dem Gebäude ist, dass man die Bilder bei Tageslicht sehen kann. Wir haben auch keine Verglasung vor den Leinwänden, sondern man sieht sie wirklich ganz originalgetreu."
    Am 15. September 1967 wurde das "Brücke-Museum" eröffnet und bis heute nicht verändert. Weiße Wände und ein beigefarbener Kokosteppich verstärken die Leuchtkraft der Bilder, die man, in schwarzen, kastenförmigen Ledersesseln sitzend, betrachten kann. Je nach Lichteinfall von außen verändert sich die Stimmung. Zum Fundus gehören heute etwa 400 Gemälde und Plastiken sowie einige Tausend Zeichnungen, Aquarelle und Grafiken.
    "Die Künstler haben Kunstgeschichte geschrieben mit ihrer neuen Art des Malens und heute ist der Brücke-Expressionismus auf der ganzen Welt bekannt, gefragt, wird gekauft zu hohen Preisen und das ist das Tolle an dem Museum, man ist international hervorragend vernetzt."
    Das Museum besitzt weltweit die umfassendste Sammlung der "Brücke"-Künstler und dokumentiert den Aufbruch zur Moderne, den diese avantgardistische Vereinigung begründet hat.