Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

EU-Austritt Großbritanniens
Hunderte britische Juden wollen wegen Brexit Portugiesen werden

Wie geht es nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU weiter? Die Frage stellen sich derzeit Hunderte britische Juden - und gehen deshalb einen außergewöhnlichen Weg: Um ihren EU-Pass zu behalten, bemühen sie sich um die portugiesische Staatsbürgerschaft. Dank eines neuen Gesetzes ist das relativ einfach.

Von Marc Dugge | 06.01.2017
    Ein orthodoxer Jude läuft telefonierend an der Ahavas Torah Synagoge in Stamford Hill im Norden Londons vorbei.
    Einige britische Juden haben pootugiesische Vorfahren - und das macht es leicht, die portugiesische Staatsangehörigkeit zu bekommen. (afp / Niklas Halle'n)
    Michael Rothwell wird es nicht langweilig dieser Tage. Er ist Sprecher der Jüdischen Gemeinde in Porto. Seit Ende Juni hat es seine Gemeinde mit einer wahren Antragsflut zu tun - aus Großbritannien:
    "Diese Menschen wollen ihren EU-Pass behalten. Und da sie eine emotionale Verbindung zu Portugal haben, nutzen sie die Gelegenheit, Portugiese zu werden. Vor dem Brexit hatten wir nur wenige Anträge aus Großbritannien, sondern vor allem aus der Türkei oder Israel oder Brasilien."
    Die Zeiten haben sie geändert. In den zwei Monaten nach der Brexit-Entscheidung gingen nicht weniger als 400 Anträge bei ihm ein – vor dem Brexit waren es gerade mal fünf. Damit nicht genug: An einem Antrag hängt oft eine ganze Gruppe von Menschen. Daher ist die Zahl der Bewerber noch um ein Vielfaches höher.
    Ein Gesetz als späte Entschuldigung
    Möglich macht das ein Gesetz, das Portugal vor einem Jahr erlassen hat. Seitdem können Nachkommen portugiesischer Juden, der sogenannten Sepharden, relativ leicht die portugiesische Staatsangehörigkeit bekommen. Sie müssen nur nachweisen, dass sie enge Verbindungen zu Portugal haben. Das Gesetz ist eine späte Entschuldigung für die Ermordung und Vertreibung der Juden aus Portugal zum Ende des 15. Jahrhunderts. Viele der Sepharden tragen nach wie vor Portugal im Herzen, so Michael Rothwell:
    "Ja, das ist wirklich bewegend. Zum Beispiel sprechen viele von ihnen nicht nur weiterhin Portugiesisch oder Ladino, die mittelalterliche Sprache der Sepharden. In der Türkei gibt es sogar noch Gemeinden, in denen Menschen Ladino sprechen. Auch die alten Familiennamen sind geblieben."
    Die Familiennamen sind ein wichtiger Anhaltspunkt, um den Bewerbern die nötige sephardische Abstammung zu bescheinigen. Das erledigen in Portugal die jüdischen Gemeinden, so will es das Gesetz. Das Nachbarland Spanien hat mittlerweile nachgezogen und ein ähnliches Gesetz erlassen. Auch dort können Nachkommen der Sepharden eine neue Staatsangehörigkeit bekommen. Um Spanier zu werden, müssen die Bewerber allerdings auch Spanisch sprechen können. In Portugal gibt es die Voraussetzung nicht, die Landessprache zu beherrschen. Deswegen ist Portugal für Brexit-Flüchtlinge besonders attraktiv. Im Internet werben Anwälte damit, sich um die Rechtsfragen zu kümmern.
    Die Nachfrage ist groß. Das heiße aber nicht, dass die britischen Juden auch tatsächlich nach Portugal ziehen wollen, so Michael Rothwell:
    "Die britischen Juden fühlen sich wohl in England. Sie haben im Moment nicht die Absicht, auszuwandern – zumindest nicht der Großteil. Aber mit der historischen Bindung an Portugal und der Perspektive des Brexits stellen sie jetzt diesen Antrag. Deren große Zahl zeigt die Sorge über den Brexit."
    Auf der Suche nach einem sicheren Hafen
    Aber trotzdem ist es in der Synagoge von Porto voller geworden, der größten Synago der Iberischen Halbinsel. Aber es sind nicht so sehr frühere Briten, die hier auf den Bänken sitzen. Sondern vor allem auch Juden aus der Türkei. Denn auch von ihnen haben viele einen neuen Pass beantragt, auch sie wollen einen sicheren Hafen, wenn sich die Lage in ihrer Heimat verschlechtert, so Rothwell. Ein portugiesischer Pass - das Dokument für den Fall der Fälle.