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EU-Beitritt der Türkei
Parlament stimmt über Aussetzung der Gespräche ab

Im Europaparlament haben Vertreter aller maßgeblichen Fraktionen eine offizielle Aussetzung der Beitrittsgespräche mit der Türkei für den Fall gefordert, dass die heftig umstrittene Verfassungsreform in dem Land umgesetzt wird. Sie verlangen Konsequenzen aufgrund "systematischer Rechtsverstöße".

Von Jörg Münchenberg | 06.07.2017
    Die Weitwinkel-Aufnahme zeigt Mitglieder des Europäischen Parlaments bei der Abstimmung.
    Mit der Abstimmung positioniert sich das Europäische Parlament in Straßburg deutlich klarer als die Mitgliedstaaten und die Kommission. (AFP / Sebastien Bozon)
    Das Europäische Parlament hat seine Kritik gegenüber der Türkei deutlich verschärft. Unmittelbarer Anlass ist das Referendum zur Verfassungsänderung, das Präsident Erdogan knapp gewonnen hatte. Doch die immer schlechter werdenden innenpolitischen Zustände seit dem Putsch-Versuch im letzten Jahr könnten nicht länger ignoriert werden, sagt die zuständige Berichterstatterin im EU-Parlament, die sozialdemokratische Abgeordnete Kati Piri:
    "Wir sehen ernsthafte Verletzungen bei den Menschenrechten; es gilt weiterhin der Ausnahmezustand, 150.000 Menschen wurden per Dekret entlassen. Und mehr als 50.000 Menschen wurden in den letzten elf Monaten ins Gefängnis gesteckt".
    Forderung nach "deutlichen Zeichen für eine innenpolitische Kurskorrektur"
    Hatte das Europäische Parlament im Herbst letzten Jahres noch ein Einfrieren der Beitrittsgespräche mit der Türkei gefordert, gehen die Abgeordneten jetzt einen Schritt weiter: Sollte es demnächst nicht deutliche Zeichen für eine innenpolitische Kurskorrektur geben, müssten die Gespräche ausgesetzt werden, heißt es in der Resolution, über die das Parlament heute Mittag abstimmen wird:
    "Wir wollen damit nicht die türkische Bevölkerung extra bestrafen. Aber es geht einfach darum: Wenn es bei einem Beitrittskandidaten solche systematischen Rechtsverstöße gibt, dann muss das auch für die EU-Türkei-Beziehungen Konsequenzen haben," betont Piri.
    EU-Parlament positioniert sich stärker als Kommission
    Damit aber positioniert sich das Parlament deutlich klarer als die Mitgliedsstaaten und die Kommission, zumal es heute wohl eine breite, fraktionsübergreifende Mehrheit für die Resolution geben dürfte, sagt EVP-Fraktionschef Manfred Weber:
    "Wir wissen um der Probleme im Rat bei der Türkeifrage. Dass es dort verschiedene Lager gibt. Angesichts dieser Lage bin ich stolz darauf, dass sich das Europäische Parlament, dass wir in der Lage sind, eine parteiübergreifende Position zu entwickeln".
    "Nicht einfach weitermachen wie bisher"
    Natürlich ist die heutige Resolution nur ein Appell, mehr nicht. Die eigentliche Entscheidung über die Beitrittsgespräche liegt bei den EU-Außenministern. Doch der politische Warnschuss werde aufmerksam registriert, ist sich die Fraktionschefin der Grünen, Ska Keller, sicher:
    "Das ist schon ein wichtiges politisches Signal. In der Türkei wird immer sehr genau wahrgenommen, was das Europäische Parlament beschließt. Das ist immer das Nummer 1 Thema. Auch in der Berichterstattung. Deswegen ist es auch sehr wichtig, was wir hier sagen. Auch die Mitgliedstaaten, die das letztlich entscheiden müssen, auch die nehmen das wahr".
    Der politische Druck dürfte also weiter wachsen, das auch die EU-Außenminister beim Umgang mit der Türkei nicht einfach weitermachen wie bisher, nämlich nach dem Motto – Augen zu und durch.