Feministisches Kollektiv Las Tesis

Comandante Ramona nimmt es mit der Staatsmacht auf

05:45 Minuten
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Mitglieder von Las Tesis: Harsche Kritik am Polizeistaat. © Sebastián Leiva Arias
Von Burkhard Birke · 30.06.2020
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Das feministische Kollektiv Las Tesis sorgte im Herbst mit einem Song gegen Vergewaltiger für Aufsehen in Chile. Lied und Performance machten Schule und gingen bei Demos um die Welt. Gegen eine neue Aktion geht nun die Polizei vor.
Alle Bullen sind Bastarde: harsche Worte der Polizeikritik. Aufgenommen in einer 8 Minuten, 38 Sekunden langen Performance von Las Tesis, seit gut einem Monat zu sehen auf YouTube. Beklagt wird einmal mehr das Vorgehen und die Gewalt durch die Obrigkeit in Zeiten der Pandemie und Quarantäne, und zwar nicht nur in Chile.
"In diesem Augenblick der Ausgangsbeschränkungen verschärfen die Regierungen den Kampf gegen den sozialen Widerstand, die Armeen übernehmen unsere Straßen, nehmen uns die Rechte und Freiheiten", meldet sich eine vermummte, rot gekleidete Comandante Ramona mit ihren ebenfalls rot gekleideten Mitstreiterinnen zu Wort.

Der schlechte Ruf der chilenischen Polizei

Das ging den Carabineros, den chilenischen Ordnungshütern, zu weit. Sie haben Anzeige erstattet wegen Hetze, zumal das Video vor dem Kommissariat in Valparaíso aufgenommen wurde. Seit ihrer fragwürdigen Rolle bei den Straßenprotesten und aufgrund eines Betrugsskandals stehen die Carabineros massiv in der Kritik.
Ihre Popularität tendiert gegen Null, dabei sollten sie doch "Un amigo en tu camino" - ein Freund auf deinem Weg - sein. Daraus hatten die vier Mitglieder von Las Tesis freilich im Herbst den Protestsong "Un violador en tu camino" (Ein Vergewaltiger auf deinem Weg) gebastelt - als Klagelied gegen sexuelle Übergriffe gegen Frauen.
Ein Song, der wie die frühere Präsidentschaftskandidatin des Parteienbündnisses Frente Amplio, Beatriz Sánchez, erläutert, der bröckelnden Protestbewegung Ende letzten Jahres einen neuen, anderen Schwung verlieh.

Neuer Schwung für die Proteste

"Das war spektakulär. Ich habe an der großen Performance am Nationalstadion teilgenommen. Wir haben uns alle schwarz gekleidet - das war ein ganz besonders energiegeladener Moment. Wir waren alle auf der Straße und haben diesen Song aufgeführt, in dem wir den Staat als Unterdrücker angeklagt haben und uns als Frauen als vorverurteilt dargestellt haben. Das hatte etwas Befreiendes und gab dem sozialen Protest einen neuen Impuls, da er das Häßlichste der Ungleichheit zeigte."
Und vor allem mit der Polizei hart ins Gericht ging. Ist jetzt die Anzeige gegen die neue Performance die späte Rache der Carabineros? Es hat ganz den Anschein. Beatriz Sánchez:
"Es ist realitätsfern, dass die Carabineros ausgerechnet jetzt in Pandemiezeiten, wo es viele Sorgen und Tote gibt, sich einer so nebensächlichen Sache annehmen, wie vier junge Frauen wegen einer Performance zu verfolgen. Das ist die landläufige Meinung. Viele Chilenen haben das gar nicht mitbekommen, aber wir, die wir das mitverfolgt und bei der Performance über 'Einen Vergewaltiger auf deinem Weg' mitgemacht haben, halten das für völlig realitätsfremd."
Tausende Frauen demonstrieren im Dezember 2019 vor dem chilenischen Nationalstadion in Santiago de Chile gegen sexuelle Gewalt.
Dezember 2019: Bei einer Demonstration in Santiago de Chile gegen sexualisierte Gewalt singen Tausende Frauen den Tesis-Song "Un violador en tu camino" ("Ein Vergewaltiger auf deinem Weg").© Ramon Monroy / Aton Chile / imago-images
Viele Künstler und Akademiker in Chile wie im Ausland haben sich mit den vier Frauen von Las Tesis solidarisiert. Die Kritik an der Polizei ist freilich harsch und die Wortwahl sicher beleidigend. Noch ist keine offizielle Anklage erhoben worden, aber:
"Die Staatsanwaltschaft hat ausgerechnet eine Einheit der Carabineros mit den Ermittlungen beauftragt. Das ist ein Widerspruch in sich", sagt Beatriz Sánchez.
Die Carabineros zeigen an und werden mit der Ermittlung beauftragt: Wenn da mal das Ergebnis nicht schon feststeht. Kein Wunder, wenn der Unmut im Land wächst, der seit dem Ausbruch der sozialen Proteste nie verschwunden ist, im Zuge der Pandemie nur eingesperrt wurde. Beatriz Sánchez vom Frente Amplio:
"Viele Menschen können gar nicht in Quarantäne bleiben, weil sie von dem leben, was sie an einem Tag erwirtschaften. Die meisten Menschen gehen keiner regulären Arbeit nach und haben nicht genug, um die Miete und das Essen zu bezahlen. Die Vorstellung von einem soliden Chile entspricht keineswegs der Realität."
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